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Ausgabe:

1974

Spalte:

236-238

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Friemel, Franz Georg

Titel/Untertitel:

Johann Michael Sailer und das Problem der Konfession 1974

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 9!). Jahrgang 197'i Nr. 3

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logische Bundesgenossen für seine wichtigsten Grundan-
liegen hat.

Dazu gehört der Nachweis, daß der schwarze Widerstand
uicht erst mit Marlin Luther King, Black Power oder der
Black Panther-Parlei beginnt, sondern seine Wurzeln bereit!
in der Sklaverei hat, die alten Spirituals also nicht im
Gegensatz zur heutigen Freiheitsbewegung stehen, sondern
sie vorbereiten. Denn der zentrale theologische Leitgedanke
der Sklavengcsänge ist „die göttliche Befreiung der Unterdrückten
aus der Sklaverei" und die Überzeugung, „daß
Sklaverei Gott widerspricht" (S. 50). Der im Sinne von
Lk 18,17 kindliche Glaube an die Zuverlässigkeit dei in dei
Schrift geoffenbarten Gotleswortes (S. 52) von der Befreiung
aus menschlicher Knechtschaft ist „der theologische
Grundgedanke in der Religion der schwarzen Sklaven, wie
ihn die Spirituals widerspiegeln" (S. 63).

Unter diesem Aspekt wird die Bedeutung Gottes als
Befreier, die Bedeutung von Jesus Christus, des Leidens,
des Todes, des Satans und der Sünde in zwei Kapiteln
untersucht. Das Kapitel über „die Bedeutung des Himmels
im schwarzen Spiritual" bildet den Schwerpunkt der Untersuchung
. Unter dem Stichwort „die transzendente Zukunft"
wird das „noch nicht" (1. Joh 3,2) des Himmels „als einem
ganz anderen Ort nach dem Tode" und „einer neuen Art
der Zeit" (S. 115) beschrieben, worauf sich die Hoffnungen
der Sklaven konzentrierten. In diesem Sinne waren die
Spirituals „jenseitig" (S. 118). Alle Betonung liegt nun aber
(Stichwort: „die transzendente Gegenwart") darauf, daß es
diese Vision von Gottes Zukunft war, welche die Schwarzen
befähigte, die Sklaverei zu überleben, ihr zu widerstehen, die
gegenwärtige Unterdrückungssituation nicht als endgültig zu
betrachten und „einen Vorgeschmack von der Freiheit"
(S. 110) zu bekommen. Die Gewißheit der bevorstehenden
Vollendung läßt die schwarze Eschalologie „primär eine
theologische Perspektive der Gegenwart" sein (S. 124) und
macht sie zum „vielleicht bedeutendsten Beitrag dei
schwarzen Religion" (S. 124). Der Glaube an die letzte
Befreiung, „die primär von Gott und nicht vom Menschen
ausgeht, von der künftigen und nicht von dieser Welt"
(S. 119), ist nach Cone's Überzeugung auch für den heutigen
Befreiungskampf der Schwarzen von ausschlaggebender
Bedeutung. „Die schwarzen Theologen werden herausfinden,
daß das stärkste Gegengewicht gegen die Widerstünde auf
dem Wege zur historischen Befreiung die Vision einer
Zukunft ist, wie sie von den unterdrückten schwarzen
Sklaven beschrieben worden ist" (S. 120).

Gegenüber dieser voll zu akzeptierenden Grundtendenz,
die nicht nur die historische Bedeutung vom „Himmel" als
„Vision einer neuen schwurzen Humanität" (S. 118) für die
Vergangenheit, sondern erst recht für die Gegenwart und
Zukunft der Schwarzen betont, können andere Aussagen, die
man anders bewerten könnte, hier unerwähnt bleiben — bis
auf zwei Ausnahmen.

Cone bietet für die Tatsache, daß die Spirituals nirgends
eine Andeutung von Haß gegenüber den Weißen erkennen
lassen, folgende Erklärung: „Die weißen Menschen sind
schließlich die Repräsentanten Satans auf P>den; und mit
dem Satan läßt man sich auf keinen Handel ein. Die Verantwortung
des Christen besteht darin, gegen das Böse anzukämpfen
" (S. 102). Und er beschließt sein Buch (mit einem
Kapitel über die Hoffnung im Blues, dem weltlichen Bruder
des Spirituals) mit folgendem Schlußsatz und Blueszitat:
„Heimat könnte nur Freiheit sein und der Wille, eine neue
Welt für die Menschen zu schaffen, die ich liebe.

Ja, ich geh mir jetzt eine kleine Eisenbahn kaufen.
Ja, ich geh mir eine kleine Eisenbahn kaufen, ganz für
mich allein.

Und nur die dürfen mitfahren, die schokoladenbraun
bis auf die Knochen sind" (S. 163).
Die Gleichung: der Satan = der Weiße (die in den Spiritualtexten
wirklich nicht den geringsten Anhaltspunkt hat)

und das IJnerwünschtsein aller Nicht-Schokoladenbraunen
im Freiheitszug macht deutlich, daß die schwarze Theologie,
die sich gegen den weilten Ilassismus wendet, nicht ganz frei
ist von der Gefahr, ihrerseits zum Rassismus mit umge
kehrtem Vorzeichen zu werden. Ich verstehe, wenn Menschen,
die durch den „europäischen Wahnsinn" (S. 89) so maßlos
beleidigt wurden und werden wie die Schwarzen, so reagieren
. Ich bin mir auch darüber im klaren, daß ich als
Weißer nach allem, was durch Weiße geschehen ist und zui
Artikulierung einer militanten schwarzen Theologie geführt
hat, nicht das geringste Recht habe, in dieser Sache ein
Urteil abzugeben. Aber gerade weil ich die von Cone vertretene
schwarze Theologie als eine längst fällige und lange
erwartete Notwendigkeit begrüße, möchte ich an diesen
beiden Punkten — um der schwarzen Theologie willen — in
aller Zurückhaltung ein Fragezeichen setzen. Ich denke aber,
daß die schwarzen Theologen erst dann über diese Frage
nachzudenken bereit sein werden, wenn die weißen Theologen
darüber nachgedacht und entsprechende praktische
Konsequenzen (S. 1251) gezogen haben. Daß Cone's in oft
geradezu prophetischer Diklion geschriebenes Buch tu
solchem Nach- und Umdenken zwingt, macht seinen eigentlichen
Wert aus.

Cone benutzt als Quellenmateiial Texte aus der Zeit vor
dem Sezessionskrieg (leider immer ohne Quellenangabe). Es
wäre zu wünschen, daß eine gleiche Arbeit über jüngere und
zeitgenössische Texte aus der Eeder eines schwarzen Theologen
folgt. Denn wenn Cone z. B. der Frage nachgeht,
warum der Blues verhältnismäßig wenig direkten Protest
gegen die Rassentrennung enthält, so müßte einmal unter
sucht werden, warum das bei den modernen Gospel Songs
noch viel weniger der Fall ist.

Für den deutschen Leser (Druckfehler auf S. 8, 20, 83,
107, 104; warum werden die Liedertitel auf S. 28, 55 und
100 plötzlich übersetzt?) wäre es hilfreicher, wenn hei den
Literaturangaben neben oder statt der englischen Original-
titel auch die im Deutschen erschienenen Übersetzungen an
gegeben würden. Vor allein sollte kein wissenschaftliches
Buch ohne Index erscheinen.

Karl-Marx-Sladt Theo J.etiiniinn

MISSIONSWISSENSCHAFT, ÖKUMENE

FriemeL. Franz Georg: Johann Michael Salier und das
Problem der Konfession. Leipzig: St. Benno-Verlag 1972.
XVIII, 363 S. gr. 8° = Erfurter theologische Studien, im
Auftrag d. Philos.-theol. Studiums Erfurt hrsg. v. E.
Kleineidam, H. Schürmann u. VV. Ernst, 29. Kart. M28, —.
F. geht von der Neuschätzung der Evangelischen durch
das Vaticanum II aus und findet beim Blick in die Vergangenheit
in Johann Michael Sailer einen Mann, der vieles
von dem, was sich heute durchsetzt, zu seiner Zeit vorweggenommen
hat und deshalb unsere besondere Aufmerksam
keit verdient. „Wäre ein jeder Christ in der Tradition der
Kirche so fest verwurzelt wie Sailer und wäre er wie dieser
mit den getrennten Brüdern auf der Basis gemeinsamer
Christusliebc fest verbunden, dann wäre die Ökumenische
Bewegung auf katholischer Seite ihrem Ziel einen wesentlichen
Sehritt näher gekommen" (S. Of).

F. gliedert seine Arbeit in vier Teile. Im ersten skizziert
er die Welt, in der Sailer lebt. Es ist die Welt einer gemäßigten
Aufklärung, in der die Konfessionen Verständnis
füreinander haben und „Friedensworte" austauschen (S. 29).
Die Unionsbestrebungen bei Sailers Freunden Beda Mayr und
Benedikt Stattler werden näher dargestellt (S. 30 — 49).
Schließlich gibt F. einen Überblick über Sailers Lebensgang
und würdigt dabei in abgewogenem Urteil Sailers Charakter,
seine religiöse Entwicklung, seine eigengeprägte Stellung