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Ausgabe:

1974

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

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Neuerscheinungen

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sprachlich gesehen zu einer gewissen Schwerfälligkeit neigen,
auch ein Wort aus der Alltagssprache auf, das aber erst
durch Umsetzung von einer Wortart in eine andere zum
Begriff heranreift für den der Mystik eigenen dialektischen
Denkprozeß. Das neue Substantiv ,nu' als Ausdruck eines
Minimums der Zeit stellt sprachlich das Umschlagen in das
,nu' der Ewigkeit dar, das nur noch im Übersinnlichen
erleb- und erfahrbar ist.

In engstem Zusammenhang mit den Begriffen für Zeit und
Ewigkeit stellt Vf. die Übersetzungswörter für saeculum und
dies: weralt und tag. Auch sie verlieren ihre ursprüngliche
temporale Bedeutung. Notker verleiht weralt eine räumliche
und gewinnt damit den „theologischen Welt-Begriff", den
Begriff für jenen Aon.

Einem ähnlichen Wandel unterliegt das Wort tag. In der
früh gebrauchten Wendung .ewiger tag' ist er bereits vollzogen
. Und wieder ist es dann Notker, der tag aus der Alltagssprache
herauslöst und die „Tag-Vorstellung" des umgangssprachlichen
Verkehrs überträgt auf das jenseits der Erfahrung
Liegende. Notker, der über starke wortbildnerische
Kraft verfügt und Freude empfindet am spielerischen
Umgang mit der Sprache, lotet alle sprachlichen Möglichkeiten
aus. Das beginnt z. B. mit Substantivierungen von
Verbformen und endet bei solch kühner Wendung ,der allo
tag', die jeder Grammatik hohnspricht. Erst durch eine
derartige „grammatische ,Verfremdung' wird — wie Vf.
zeigt — der Übergang von der normal-sprachlichen Redeweise
zur Formulierung der Ewigkeitsaussage geleistet".

Burger ist damit in die Tiefen der inneren Entwicklung
des frühdeutschen religiösen Wortschatzes vorgedrungen, in
die sich der Germanist wohl ebenso gern wie der Theologe
führen läßt. Mit großer Sachkundigkeit und hohem Urteilsvermögen
hat Vf. den Untersuchungsgegenstand in überraschend
vielseitiger Weise gesichtet und gedeutet und dabei
stets den dialektischen Zusammenhang von geistesgeschichtlicher
Entwicklung und Veränderung im Wortschatz
hergestellt. Aus der Zusammenschau zweier Wissenschaf ts-
berciche ist es B. in hervorragender Weise gelungen, ein
linguistisch-theologisches Problem zu erörtern und zu lösen.
Angesichts seines großen Wurfes möchte ich darauf verzichten
, gewisse Eigenwilligkeiten in der Durchsetzung seiner
Ideen oder gar Druckfehler anzumerken.

Halte/Saale Brigitta Schreyer-Kochmann

Kadlec, Jaroslav: Die homiletischen Werke des Prager
Magisters Nikolaus von Louny (Augustiniana 23, 1973
S. 242-270).

Molnär, Amcdon : I in Modell perrn:.....ntcr Kirchenkrit ik

Grundlinien der Waldenierbewegung des Mittelalter! (Die
evangelische Diaspora 44, 1974 S. 80-92).

Büsch, Ernst-Gerhard: Der St.-Galler Tropus von Felix und
Regula (ThZ 29, 1973 S. 257-264).

Schneyer, .loh. Baptist: Die Sermonesreihen des Johannes
Ludovici v. Würzburg, ü. E. S. A. (Augustiniana 23, 1973
S. 218-241).

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Kränzen, August: Bischof und Reformation. Iirzbischof
Hermann von Wied in Köln vor der Entscheidung zwischen
Reform und Reformation. Münster/Westf.: Aschendorff
[1971]. 111 S. gr. 8° = Katholisches Leben und Kirchenreform
im Zeitalter der Glaubensspaltung. Vereinsschriften
d. Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus
Catholicorum, 31. Kurt. DM 11,— .

Der 1972 verstorbene Verfasser, der zuletzt Professor der
Kirchengcschichtc an der Universität Freiburg/Breisgau war,

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ist durch zahlreiche Arbeiten zur Reformationsgeschichte am
Niederrhein und speziell zum Kölner Reformatioosversucb
hervorgetreten. Das vorliegende Heft, in dem er diesen
geschichtlichen Zusammenhang in einer lebendig geschriebenen
Darstellung einem breiteren Leserpublikum schildert,
ist so etwas wie sein Vermächtnis.

Das Thema ist viel behandelt, und da keine neuen Quellen
auszuwerten sind, bietet der Vf. sachlich nicht! wesentlich
Neues. Interessant sind aber die Akzente, die er setzt, und
die Wertungen, die er anbringt. Das Küchlein liefert über
sein spezielles Thema hinaus eine Art Musterbeispiel für die
Positionen einer bestimmten, vielleicht der VOrherrichenden
Richtung in der heutigen katholischen Reformationsge
schieb tssebrei bung.

Stark tritt die Kritik an der spätmittelalterlichen Kirche

hervor, das hartnäckige Fragen nach den Ursachen ihres
Verfalls und der lehrreiche Hinweis auf solche Ursachen.
Hermann von Wied erscheint als „ein typischer Vertreter
des hochadeligen feudalen Reichsepiskopates" (3) und als
Beispiel für einen der Struklurfehler der deutschen Kirche,
im Spätmittelalter, das „verhängnisvolle Adelsmonopol",
da! für den Episkopat galt; den „Teufelskreis", in dein das
Papsttum sich befand, „weil schlechte Kardinäle immer
wieder schlechte Päpste wählten und geblechte Päpste
ihrerseits wieder schlechte Kardinäle ernannten", gab es
auch im Episkopat (8). Wenn der Vf. allerdings, mit vielen
anderen katholischen Kirchenhistorikern, diesen Struktur
fehler vor allem in der Weltlichkeit und Mcformunwilligkcit,
der BitchOfe sich auswirken sieht, so läßt sich diese „Regel"
auf Hermann von Wied nur mit Hilfe erheblicher Modifikationen
anwenden; denn schließlich ist er ja gerade daran
gescheitert, daß er reformieren wollte, und auch den religiösen
Ernst will der Vf. ihm nicht völlig absprechen.

So kommt hier ein weiterer Topos ins Spieli die „theo
logische Ahnungslosigkeit" des Erzbischofs, der so gut wifl
nicht studiert halte, kaum Latein verstand und der Fach-
theologie mißtraute — was allerdings in der Reformationszeit
auch bei studierten Theologen vorkam, wie zum Beispiel
Karlstadt zeigt; eine Art Selbstevidenz der spätscholastischen
Theologie, wie der Vf. sie S. 16 anzunehmen scheint, gab es
doch wohl nicht. Unter den gegebenen Umständen konnte,
ja mußte Wied, so meint der Vf., der ihm von seinen Beratern
eingeblasenen Täuschung erliegen, mit Hilfe einer nur
auf die Liebe sich gründenden Neuordnung dem Dilemma
einer Entscheidung zwischen den Konfessionen entgehen zu
können — eine immerhin, wie man hinzufügen muß, von sehr
vielen und auch theologisch sehr viel besser unterrichteten
Zeitgenossen geleilte Illusion! Die Quellenzcugnissc, die behaupten
, daß der Erzbischof sehr wohl verstanden habe, was
er tat, überzeugen den Vf. nicht.

Was die Motive Wieds angeht, so treten ohnehin in der
Sicht des Vf.s die naiv-ideellen gegenüber den materiellen
in den Hintergrund. Was der Erzbisehof eigentlich suchte,
war die freie Verfügung über die kirchlichen Benefizien, sozusagen
das landesherrliche Kirchenrcgimcnt. Entsprechend
war dann die Treue der weltlichen Stände des Er/.stifts zu
dem Landesherrn und ihre Förderung des Reformationsversuchs
einerseits (105) durch „ganz konkrete wiitschaft-
liche Interessen", andererseits dadurch veranlaßt, daß Wied
„als der gute Landesvatcr (galt), der sich stets wohlwollend
und leutselig zeigte" (108) — es ist offenbar nahezu unmöglich
, wenn es zum Schwur kommt, jemandem, der nicht
mehr katholisch sein will, wirklich seriöse Motive zuzugestehen
.

Ganz anders lieht es bei denen am, die katholisch geblieben
sind. Bestreitbar ericheint mir vor allem die Schilderung
und Einschätzung Groppers, des wichtigsten Theologen
auf der katholischen Seite, der bekanntlich in der
Anfangsphasc der Kölner Reformation seine wesentliche
theologisch-kirchliche Übereinstimmung mit Ducer, mit dem
er seit 1540 regelrecht befreundet war, mehrfach und überaus

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 3