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Ausgabe:

1974

Spalte:

204-207

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Burger, Harald

Titel/Untertitel:

Zeit und Ewigkeit 1974

Rezensent:

Schreyer-Kochmann, Brigitta

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Theologische Literaturzeilung 99. Jahrgang 1974 Nr. 3

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überzeugend. In seiner abschließenden Einschätzung des
Beweises Anselms macht Schmitt zunächst darauf aufmerksam
, daß viele Interpreten diesen nicht präzise erfaßt
haben. Weder der Begriff des ens perfectissimum noch der
des ens necessarium sei nach Anselm für das Schlußverfahren
geeignet; Anselm habe nie behauptet, daß die Existenz zum
Wesen gehöre (gegen Kant). Gott lasse sich überhaupt nicht
durch positive Aussagen erschöpfen. Auch Thomas habe
zwar Anselms Beweisverfahren nicht völlig erfaßt, doch sei
sein Einwand, der auf der Unmöglichkeit des Sprunges von
der logischen in die ontologische Ordnung beruhe, nie überzeugend
entkräftet worden. Anselms Argumentation bleibe
im Bereich des puren Gedankens und erreiche nicht das
extramentale Sein. So sei die Idee genial, aber wirkungslos
im Hinblick auf den Beweis für das wirkliche Dasein Gottes.

Vincent J. Ferrera (Indiana, Penns.) stellt in seinem
ausdrücklich als nicht-historisch gekennzeichneten Beitrag
„Some Reflections on the Being-Thought Relationship in
Parmenides, Anselm and Hegel" an, über die die Religionsphilosophen
weiter diskutieren müssen. Belastet ist dieser
Beitrag bereits durch die anfängliche Behauptung, 25 Jahrhunderte
der Spekulation hätten zur Krankheit zum Tode
und zum Verlust des Seins geführt, denn der moderne
Mensch habe seinen Platz im Universum verloren und müsse
jetzt in sich statt in der Außenwelt den Sinn seiner Existenz
suchen; diese Behauptung übersieht vollständig die grundlegend
unterschiedliche geistige Situation in Ost und West.
Ferrera geht aus von der fundamentalen Einheit von Denken
und Sein bei Parmenides. Hier sei das Sein noch Maß für
Gedanken und Sprache, und das Sein komme zum Sein in
und durch Denken. Der Zirkelcharakter des Seins bei
Parmenides und Heraklit mache jedoch die jeden Wandel
ausschließende Monotonie zum Preis dieser Einheit. Der
Gegensatz zwischen Denken und Sein beginne bereits bei
Anselm, denn dieser sei der Barriere des Denkens auf der
Suche nach Gott schmerzhaft innegeworden. An die Stelle
der Objektivität trete hier die vom Glauben gereinigte
Subjektivität, denn die Beziehung von Denken und Sein sei
ein wesentlicher Aspekt der Suche nach Gott. Der Mensch
finde Gott, indem er Antwort auf die Frage nach dem
eigenen Sein finde. Im ontologischen Beweis sei noch eine
enge Beziehung zwischen Gott als Gedanke und Gott als
Existierendem gegeben. Durch den Verstand werde bereits
die Einheit von Sein und Denken zerrissen, doch seien beide
noch in Gott zusammengehalten. Die Lösung dieses Grundproblems
habe Hegel gezeigt, für den Gott mittels des
dialektischen Prozesses erreicht werde, so indes, daß er
implizit in jedem Beginnen und in jedem Hinstreben auf ein
Ziel präsent sei. Alle menschliche Erfahrung erfordere nach
Hegel letztlich und sei gegründet in religiöser Erfahrung, und
dessen Logik sei folglich zugleich Metaphysik und natürliche
Theologie, trage also onto-theologischen Charakter. Nur
unter prinzipieller Einbeziehung Gottes könne die Relation
Sein-Denken dialektisch von allen Widersprüchen befreit
werden.

Den Höhepunkt des Bandes III stellt zweifellos der Aufsa tz
von Siegfried Dangelmayr (Bonn) „Anselm und Cusanus.
Prolegomena zu einem Strukturvergleich ihres Denkens" dar,
Der Vergleich der beiden Denker, die den Anfang bzw. das
Ende der Scholastik markieren und beide entscheidend von
einer jeweils eigenständig adaptierten neuplatonischen
Tradition geformt sind, ist ungemein ertragreich. An
Gemeinsamkeiten weist Dangelmayr auf: Beide Denker
stehen außerhalb einer „Schule" im eigentlichen Sinne, wie
sie für die Scholastik typisch ist, da Anselm noch vor der
Ausbildung dieser Schulen lebte und Cusanus sich die
Freiheit und Offenheit eines Neuheginns erwarb. Beide verfügen
nicht über eine ausgebildete Methode, beide bedienen
sich gern der dialogischen Form der Darstellung. Sie stehen
ganz im Glauben und sind zugleich radikale Denker. Beide
verbinden die christliche Trinitätslehre mit der (neu-)
platonischen Logosspekulation und suchen so spekulativ die

Einheit von Schöpfungs- und Trinitätsdogma zu erfassen.
Über diesen gemeinsamen Zügen darf aber die Spannung
zwischen dem Denken beider nicht übersehen werden.
Anselm baut intensiv die via affirmativa und die via luper-
eminentiae aus, während bei Cusanus die Negationsmethode
ein entscheidendes Übergewicht besitzt. Für ihn ist Gott das
maximum, cum quo minimum coincidit. Ist die Wahrheit für
Anselm primär rectitudo, so für Nikolaus von Kues aequa-
litas, zu der alles Endliche in unendlichem Abstand steht,
die aber immer neue Schritte auf die Wahrheit hin ermöglicht.
Für beide ist Gott das schlechthin Absolute, für Cusanus
jedoch nicht mehr der grundsätzlich widerspruchsfreie
Begriff. Wir finden bei ihm keine Gottesbeweisthematik,
weil es für ihn sinnlos ist, die Existenz des Absoluten ZU
beweisen oder auch zu bestreiten. Der Mensch ist wesentlich
Sehnsucht nach Gott, und durch den Vorgeschmack (prae-
gustatio) seiner Weisheit wird er auf der Suche nach ihm
gehalten und kann darüber nicht mehr zur Ruhe kommen,
so daß die Begriffe quaerere und desiderare für Nikolaus
hervorragende Bedeutung erlangen. Diese Sehnsucht als
Grund Verfassung des Menschen wird auf Erden nie gestillt,
zwingt ihn aber zu immer neuer Bemühung und Bewegung.
Vor allem der menschliche Geist ist es, der Ständig auf dem
Wege zu Gott bleibt, weil er ebenso wie Gott selbst eine
complicatio (umschließende Einfaltung) und folglich ein umgreifendes
schöpferisches Prinzip darstellt. Während allem
andern Seienden nur Ähnlichkeit (similitudo) mit Gott zukommt
, ist der Geist (mens) allein Abbild (imago) Gottes.
Die mit dem Gottesbeweis Anselms eingeleitete Entwicklung,
die das ganze mittelalterliche Denken bestimmte, erreichte
in der eusanischen Methodenreflexion ihren Unischlagspunkt:
Daß der Spätscholastiker Cusanus zugleich die Renaissance
miteinleitete, erhellt nicht zuletzt daraus, daß es bei ihm
zur expliziten methodischen Reflexion auf den Vollzug der
Erkenntnis selbst kommt. Während Anselm Gott durch sein
Proslogion ein für allemal bewiesen zu haben glaubte, sucht
Cusanus immer neue Gottesnamen, die jeweils Thema und
Inhalt einer wichtigen Schrift bilden. Jedes nomen bleibt für
ihn ein relatives Zwischenergebnis, denn das Absolute wird
nie endgültig erreicht. Seine Gottesnamen verstehen sich
denn auch nicht als wirkliche Beweise, sondern als darstellende
Rätselbilder, und er wählt bewußt die Anselm noch
unbekannte konjekturale oder änigmatische Methode der
Gotteserkenntnis.

Schließlich macht Edward J. O' Toolc (Englewood Cliffs,
N. J.) in seinem Beitrag „Anselm's Logic of Faith" noch
einmal auf das Wesen der Logik Anselms aufmerksam, die
als Glaubenslogik gleichsam vor Gott auf den Knien liegt,
dadurch aber nicht aufhört, strenge Logik zu sein. Als
Glaubenslogik erfordere sie eine spezifische Methodologie, so
daß die Anwendung der traditionellen Logik auf Gott unmöglich
sei.

Rostock Gert WenoVlborn

Burger, Harald: Zeit und Ewigkeit. Studien zum WorttchatC
der geistlichen Texte des Alt- und Frühmitlelhoch-
deutschen. Berlin - New York: de Gruyter 1972. XI, 330 S.
gr. 8° = Studia Linguistica Germanica, hrsg. v. L. E.
Schmitt u. S. Sondereggcr, 6. Lw. DM 72, — .
Die deutsche Sprache stand in ihren Anfängen unter dem
Einfluß des römischen Christentums. Der Strom dieses
zunächst noch fremden Ideen- und Wortgutes ergoß sich
über sie, vermochte aber nicht, sie zu überfluten und damit
ihre Entwicklung zu ersticken. Sie machte sich vielmehr
weit, um die Fülle des neu Andringenden aufzufangen und
sie in den eigenen Wachstums- und Reifeprozeß hineinzuziehen
. Mit Neuprägungen, die in enger Anlehnung an
christlich-lateinische Wörter entstanden, erfüllte die „unge-