Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1973

Spalte:

115-117

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Peter

Titel/Untertitel:

Die Vorstellung vom Heiligen Geist in der rabbinischen Literatur 1973

Rezensent:

Hartmann, Lars

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

115

tet eine Fülle gut geordneten Materials über eine Zeit, die für
die Wissenschaft immer noch ins Dunkel gehüllt ist.

Praha Miloä Die

Schäfer, Peter: Die Vorstellung vom Heiligen Geist in der
rabbinischen Literatur. München: Kösel-Verlag 1972. 186 S.
gr. 8° = Studien zum Alten und Neuen Testament,
hrsg. v. V. Hamp u. J. Schmid unter Mitarb. v. P. Neuenzeit
, XXVIII. Kart. DM 55,-.

Obgleich die meisten Neulcstamentler oft auf rabbinisches
Material verweisen, besitzen sie selten wirkliche Kompetenz
auf dem Gebiet der Rabbinistik. Die Weise, in der sie das
Material verwenden — in der Regel aus dem Kommentar P.
Dillerbecks geholt —, läßt vermutlich allzuoft den Rabbinisten
einen Schauder über den Rücken laufen. Um so mehr
wird man als Neutestamentler Arbeiten wie die hier zu besprechende
Dissertation von Peter Schäfer willkommen heißen
.

Vf. hat sich die Aufgabe gestellt, „auf der Grundlage ausführlicher
Quellenanalysen und -interpretationen Einblick
in die rabbinische Vorstellung vom hl. Geist zu gewinnen"
(S. 13). Im ersten Teil (S. 21—70) wird die nahe Verbindung
zwischen dem hl. Geist und der Prophetie behandelt,
was in einiger Kürze geschehen kann (S. 21—25), weil dieses
Thema in der bisherigen Literatur (z. B. J. Abelson, P. Billerbeck
und G. F. Moore) verhältnismäßig breiten Raum eingenommen
hat. Danach präsentiert er Abschnitte der rabbinischen
Literatur, wo bestimmte Personen als geistesbegabt
angesehen werden (S. 27—61). Indem er die Ergebnisse dieses
Teiles zusammenfaßt (S. 62—70), findet er, daß der hl. Geist
in den untersuchten Texten vorwiegend als Offenbarungsmittler
verstanden wird. Der Geist wird nicht mit Gott identifiziert
, sondern wird als eine „Offenbarungsweise der Gottheit
" aufgefaßt, sowohl wenn er individuelle prophetische
Offenbarung gibt, als auch wenn die Offenbarung im Zusammenhang
mit der Gegenwart der Schckinah dem ganzen Volk
zugeschrieben wird.

Im zweiten Teil (S. 73—162) analysiert und interpretiert
Vf. zitierte Stellen der rabbinischen Literatur zu folgenden
Themen: 1. Der Ort der Offenbarung (S. 73—88: u. a. Israel,
Jerusalem, der Tempel; Israel gegen die Völker; der Hohepriester
; der Geist beim Schöpffest im Tempel — hier könnte
man wohl auch auf Joh 7,37ff. verweisen), 2. Das Aufhören
des Geistes (S. 89—111: u. a. mit dem Tod des letzten Propheten
; mit der Zerstörung des ersten Tempels; wegen der
Schuld des Volkes), 3. Die Wiederkehr des Geistes in der
Endzeit (S. 112—115), 4. Das Weiterwirken des Geistes
(S. 116—134: u.a. bei den Rabbinen ?—als Lohn für gute Werke
und Torahstudium). Im Schlußkapitel (S. 135-162) faßt
Vf. die Ergebnisse der Ausführungen des zweiten Teiles zusammen
. Mehr als irgendeiner seiner Vorgänger (auch A. M.
Goldberg) will er eine enge Beziehung zwischen dem hl. Geist
und dem Heiligtum und zwischen dem Geist und der im
Tempel anwesenden Schekinah sehen. Von da aus betrachtet
er Stellen, die eine Wirksamkeit des Geistes im Hohenpriester
sowie im Volk bis an die Zerstörung des ersten Tempels
nennen, wenn auch nach einigen Stellen gewisse Gelehrte in
späterer Zeit des Geistes würdig gewesen seien. Dementsprechend
wird auch in der Endzeit — mit dem neuen Tempel! —
der Geist wiederkehren. Neben diesem Hauptfaden des Denkens
findet sich aber auch eine Auffassung, nach der der
Geist mehr als individuelles Charisma und als Lohn für
Frömmigkeit, Torahstudium und dgl. gegeben wird.

Abschließend folgt eine Liste der angeführten Rabbinen
und eine Übersicht über den Sprachgebrauch. Ein Anhang
gibt u. a. Quellen- und Literaturverzeichnis und Register
(S. 165—186), wo festzustellen ist, daß ungefähr ein Drittel
der im Literaturverzeichnis aufgenommenen Verfasser, so
weit ich sehe, nicht im Buche zitiert sind.

Obwohl ich kein Rabbinist bin, erlaube ich mir, dieser
Präsentation einige Bemerkungen zuzufügen. Rühmenswert

116

und nachahmungswert ist m. E., daß Vf. versucht, die angeführten
Traditionen zu analysieren und gewisse Stufen ihrer
Traditionsgeschichte auszuarbeiten, ebenso, daß er die Tendenz
verschiedener Abschnitte angibt und sie nicht schlechthin
als nackte dogmatisch fixierte Sätze heranzieht. Statt
dessen betont er mit Recht die Vielfältigkeit der rabbinischen
Anschauungen. Vielleicht systematisiert er trotzdem die rabbinischen
Vorstellungen ein wenig zuviel. Es scheint sich eine
Tendenz von seiten des Vf.s bemerkbar zu machen, Stellen,
die die Idee von der Verbindung Geist — Tempel stützen, hervorzuheben
. Diese Idee bestimmt wohl auch die Versuche
mach haqqodesch zu verstehen, als bedeute es ursprünglich
„Geist des Heiligtums". M. E. ist dabei haqqodesch zu eng
verstanden.

Andererseits scheint es mir, daß gewisse rabbinische Sätze
vom hl. Geist unnötig im Schatten gelassen oder gar nicht
erwähnt wurden. So wird der Gedanke, daß der Messias Gci-
steslräger ist, auf S. 113 nur im Vorbeigehen und im Zusammenhang
mit dem Thema der Rückkehr des Geistes ins endzeitliche
Heiligtum erwähnt. Aber Targ Jon Is 11,lf. (S. 113,
A. 5, steht, wohl fehlerhaft, 11,12) wird nie diskutiert, auch
nicht GnR 2,3 (ad 1,2), nach dem der Geist, in der Schöpfung
wirksam, als der Geist des Messias interpretiert wird. So
hätte wohl auch diese Targ-Stelle es verdient, in dem Kapitel
angeführt zu werden, wo „sämtliche Stellen in der rabbinischen
Literatur und in den Targumim" untersucht werden,
„die bestimmten Personen dem hl. Geist zuschreiben"
(S. 27). Überhauptfrageichmich,ob nicht für den zweiten Teil
die Targumim in größerem Maße herangezogen werden könnten
. Jetzt findet Vf. (S. 66), daß „der hl. Geist bei den klassischen
' Offenbarungen am Sinai, im Dornbusch und im
Stiftszelt an keiner Stelle erwähnt" wird (vgl. S. 76, wo LvR
1,12 zitiert ist, welches die Prophetie mit dem Stiftszelt verbindet
). Aber TargJon Nu 7,89 sagt doch: „Als Moses in da«
Stiftszelt ging, um mit ihm zu sprechen, hörte er die Stimme
des Geistes mit ihm sprechen, als sie aus dem Himmeln
der Himmel herunterkam."

Mit der Systematik des Vf.s sind andere Stellen ausgefallen,
die vom Vf. nicht behandelte Auffassungen andeuten, z. B.
ExR 48,lff., ad 35,30ff.: u. a. „in dieser Welt hat mein Geist
euch Weisheit gegeben, aber einst wird mein Geist euch Le«
ben geben (Ez 37,14)", oder MidrPs ad 104,30, nach dem der
Geist die Auferstehung wirkt.

Falls man wirklich einen Einblick in die rabbinischen Vorstellungen
vom hl. Geist gewinnen will, genügt es m. E. nicht
nur, die rabbinische Literatur heranzuziehen. Ich denke dabei
weder an die Pseudepigraphen, an Philo oder an Josephu»
noch an die Tatsache, daß Vf. bewußt von dem Thema vom
hl. Geist als Inspirator der Schrift abgesehen hat, sondern
daran, daß eben die Schrift in gewisser Hinsicht auch zum
Traditionsstoff der Rabbinen gehört und ihr Denken prägte.
Man sollte also m. E. bewußt die Interpretationen der Bibelstellen
untersuchen, wo der Geist genannt oder hineininterpretiert
wird. Dieses Prinzip führt u. a. zu den oben zitierten
Stellen und auch z. B. zu Targ Jon Is 34,16, wo der TM „sein
Geist" liest, der Targ. aber „sein Memra". Eine solche Interpretation
sagt wohl doch etwas vom Denken des Deutenden?
An ein paar Stellen hätte vielleicht auch dem im angeführten
Midrasch interpretierte Bibeltext besserer Raum zuteil werden
können: so S. 44, wo, nach unserem Vf., Josua geistesbegabt
sei, weil er der Diener des Moses war; der grundlegende Anlaß
, warum die Rabbinen Josua den Geist zusehreiben, ist
natürlich, daß die Schrift es tut (Dt 34,8, Nu 27,18; vgl. NuR
15,25 und 21,15). Ebenso wird S. 82 etwas, was die Schrift
ausdrücklich aussagt (Jos 19,51), als „rabbinische Tradition"
charakterisiert. Ein letztes Beispiel ist die Diskussion von
Ex 15,1 (S. 50, 65, 127): der Leser des Buches von S. bekommt
leicht den Eindruck, daß das Vertrauen Israels, das
nach dem Midrasch mit der Geistesgabe belohnt wird, ein
Interpretament der Rabbinen wäre. Aber dieses Vertrauen
ist im vorhergehenden Vers des Bibeltextes (14,31) genannt.
Der Ausgangspunkt der rabbinischen Interpretation war

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 2