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Ausgabe:

1973

Spalte:

957-960

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Reichert, Andreas

Titel/Untertitel:

Der Jehowist und die sogenannten deuteronomistischen Erweiterungen im Buch Exodus 1973

Rezensent:

Reichert, Andreas

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 12

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hat man zu entscheiden, ob die Antithesen von V. 3 f forensisch
oder polemisch aufzulösen sind und das Himmelshaus
von V. 1 individuell oder kollektiv zu deuten ist. Im individuellen
Verständnis ist es übrigens nicht so wichtig, ob
man allgemein auf die Existenz oder speziell auf den Leib
bezieht; denn wo nicht mehr der Tod, traditionell als
Trennung von Leib und Seele verstanden, das Thema bildet
, wird die anthropologische Dichotomie entbehrlich.

Am Ende steht eine eigene Auslegungsskizze, vorbereitet
durch Exkurse zur Polemik des Kontextes und zur Bildsprache
des Textes. Der Vf. spricht sich für ein kollektives
Verständnis des Himmelshauses und ein forensisches und
zugleich indirekt polemisches Verständnis von V. 3 f aus.

Reichert, Andreas: Der Jchowist und die sogenannten
deuteronomistischen Erweiterungen im Buch Exodus. Diss.
Tübingen 1972. 271 S., 3 Taf.

Ausgangspunkt der Arbeit sind die „deutcronomistisch
stilisierten Zusätze" (Noth) zu J und E im Tetrateuch und
die daran sich anschließende Frage nach einer umfassenden
deuteronomisch/deuteronomistischen Redaktion der beide i
älteren Qucllenschichten, womöglich im Zusammenhang
mit ihrer redaktionellen Vereinigung und Erweiterung
(R-'E R<1?).

Die in den frühen Stadien der Pentateuchanalyse gelegentlich
(Wellhauscn) beobachtete sprachliche Nähe dieser
„deuteronomistischen" Stücke zum Jehowisten (JE) wurd?
im weiteren Verlauf der Verfeinerung und Fixierung der
Quellenkritik aus dem Blick verloren zugunsten einer
späten, post-deuteronomischen Redaktion bei oder nach der
Zusammenarbeitung des fertigen Deuteionomiums mit den
älteren Quellen (R-IED).

In neueren Sprach- und Stilanalysen zu einzelnen Exodus
-Texten (Lohfink, Brckelmanis, Plöger, Caloz u. a.) ist
ihre post-dt oder dtr Einordnung wieder diskutiert und der
prä- oder sogar proto-deuteronomistische Charakter ihres
Stils herausgestellt worden. Damit hatten wir in ihnen nicht
nur Vorformen des geprägten Stils der dt Reden und
Paränescn, sondern die immer vermißten Vorstufen der
dt Theologie, wie sie vor allem im Buch Dt entfaltet wird.
Die Genesis dieser Theologie wird in das 7. Jh. fallen, in
annähernd denselben Zeitraum, in dem man die Vereini
gung und Ergänzung der judäischen und nordisraelitischen
Traditionsgeschichten J und E zum „Jehowisten" durch die
„jehowistische" Redaktion anzusetzen hat.

Um methodisch zu gesicherten Kriterien und Ergebnissen
zu gelangen, beschränkt sich die Untersuchung im
Tetrateuch zunächst auf diejenigen Komplexe im Buch
Exodus in denen sich anerkanntermaßen deuteronomistisch
formulierte Texte an J/E-Elemente angeschlossen haben.
Notwendigerweise gerät bei der Abgrenzung der Texte
das reiche JE*-Material viel stärker in den Blick als bisher
und erweist sich traditionsgeschichtlich als überaus wertvoll.

Die literarische Analyse geht vom Komplex der Beru
fung des Mose (Ex 3 und 4) aus (Kap. II) und weist eine
breite Schicht sukzessiver Ergänzungen zu J und E nach,
die in vielfältigen Bezügen zur Plagen- und Auszugserzählung
(Exkurs zu Ex 5, 3-6, 1) und zur Sinaitradition stehen
und deren theologischer Skopus im Kontext herausgearbeitet
werden kann (wie z. B. die Zuordnung von Glaube
und Zeichen bei den sogenannten „Bcglaubigungswundern"
Moses, 4,1-9, oder die prophetische Wortbegabung Moses,
4, 10-12). Ein Gesamtbild dieser jehowistischen Redaktionsarbeit
in Ex 3 und 4 eröffnet sich durch die formgeschichtliche
Analyse der Gattungselemente der Berufungsberichte
(Synopse Taf. I). W. Richters Analyse kann in einzelnen
Punkten bestätigt, im ganzen aber bedeutend vereinfacht
werden durch die These, daß die J-Anteile in der vorliegenden
Gestaltung schon von E abhängig und also jeho-

wistisch sind, ebenso wie die meist E oder E* zugeordnete,
traditionsgeschichtliche „Gelenkstelle" (Alt) 3,13-15. So
zeigt sich innerhalb des durch das Berufungsschema ge
bildeten Rahmens der Wandel des Mosebildes in den verschiedenen
Traditionsschichten vom „charismatischen Führer"
zu dem des berufenen „Propheten" und Aharon vorgeordneten
„Priesters".

Während in Ex 3 und 4 keine eigentlich proto-deutero-
nomischen Stücke vorlagen, wenn auch einige deutlich auf
das Dt hinzielende Tendenzen zutage traten (bes. Israel
als erstgeborener Sohn Jahwes 4,22 f), werden nun die
Ergänzungen zu den Passa-, Massot- und Erstgeburts
bestimmungen im Ex 12 und 13 (Kap. in, Synopse Taf. II)
als sicher protodeurcronomisch erwiesen und an ihnen die
sprachlichen und stilistischen Kriterien erarbeitet, die als
Maßstab für eine solche Zuordnung dienen können. (Überlegungen
zur Entstehung des Numcrswechsels in der fiktiven
Anredesituation der Gesetzesverkündigung an die
Exodus-Generation). Die literarische Verankerung kultgesetzlicher
Traditionen in der Auszugserzählung führt
nicht nur zu einer expliziten „Historisierung des Passa",
sondern auch zu einer gewissen „Enthistorisierung" der
F.xodustradition. Das neue Verständnis des Passa als Gemeinschaft
stiftender zäbah ist auf dem Weg zur dt
Auffassung und Praxis des Passa-Opfcrs. Die hier ange
schlossene Historisierung des Erstgeburtsopfers 13,11-16
steht im Zusammenhang mit der Konzeption Israels als des
„Erstgeborenen" Jahwes, die im Zuge der Neuinterpretation
der Sinaitradition mit personalen Kategorien, wie sie auch
in der sog. Fundtradition bei Hos, Jcr, Dt begegnet, entwickelt
worden sein muß.

Im Erzählungskomplex der Wanderung durch die Wüste
Ex 15-17 (Kap. IV) kann an den proto-dt Ergänzungen
der Mara-, der Manna- und der Massa- und Meribapcrikope
das Eindringen dieser Tradition in der verschiedenen Verwendung
des Motivworts „versuchen" im Sinn von .erziehen
" und des singularischen Torabcgriffs bis hin zur
dt Reihenbildung der Ausdrücke für Gesetz nachgewiesen
werden. Ex 17,1-7 wird als eine einheitlich sekundäre, aus
vorgegebenen J- und E-Elementen zusammengesetzte „theologische
Lehrerzählung" interpretiert, die zeigt, über welche
schöpferischen Kräfte dieses Stadium der jehowistischen
Redaktion verfügt.

In der Sinaiperikope Ex 19-24 (Kap. V) läßt sich die
komplizierte Schichtung der Thcophaniedarstcllung in Ex 19
aus dem literarischen Vorgang der Zusammenfügung zweier
sehr verschiedener Traditionen (J und E) und der daran
sich anschließenden sekundären Ergänzungen und Korrekturen
begreifen. Auch die ursprüngliche Dekalogeinleitung
20,18-21, die Ansätze zur dt Theologie zeigt, gehört einer
J und E vereinigenden „jehowistischen" Schicht an, auf die
auch der Einbau des Dekalogs zurückgeht. Deutlich proto-
deuteronomischen Charakter trägt hingegen die feierliche
Introduktion der Sinaiereignisse 19,3b-9, die die Sinai-
mit der Exodustradition verbindet. Zur gleichen proto-dt
Ergänzungsschicht dürfte 24,3-8 gehören, das die ursprüngliche
E-Übcrlieferung 24,9-11 uminterpretiert, sich auf den
bereits eingearbeiteten Dekalog zurückbezieht, den Bundesbegriff
einführt und einen sakramentalen Bundesschlußakt
(re)konstruiert, d. h. wiederum eine einheitliche erzählerische
Komposition verschiedener vorgegebener Elemente
darstellt, die deshalb weder der üblichen Frühansetzung
noch einer Spätdatierung (Perlitt) dienen können. Diese
Schichtendifferenzierung ermöglicht eine vollständige Rekonstruktion
der komplizierten Redaktionsgeschichte von
Ex 19-24 (Taf. III) bis hin zur Umstellung des Dekalogs
und dem Einbau des Bundesbuches, in der sich verschiedene
Neukonzeptionen der Stellung Moses als Mittler zwischen
Israel und Jahwe niedergeschlagen haben.

Zusammenfassend werden die Arbeitsweise und die
Intentionen dieser Redaktionsschichten nachgezeichnet, die