Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1973

Spalte:

71-72

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Haendler, Otto

Titel/Untertitel:

Tiefenpsychologie, Theologie und Seelsorge 1973

Rezensent:

Heidrich, Peter

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

71

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 1

72

Aber es kommt wohl auf die Grundsätzlichkeit ihres theologischen
Kontextes und die konkrete, auch polemische
Zuspitzung der Einzelformulierungen an. Rahner spricht
grundsätzlich und konkret in einem. Wenn wir das Feld
der speziellen Pastoraltlicologie neu bestellen, sollten wir
ihm darin folgen.

IMorehagen b. Berlin .lürgen Henkya

Haendler, Otto: Tiefenpsychologie, Theologie und Seelsorge.
Ausgewählte Aufsätze, hrsg. v. J.Scharfenberg u. K.Winter
. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1971]. 271 S.
gr. 8°. DM 24,80.

Bei der Frage, ob Theologie Weisheit sei, da sie doch
durch Studium erworben werde, unterscheidet der Aqui-
nate einen modus inclinationis und einen modus cognitio-
nis. Wer den Habitus der virtus habe, urteile recht über
das, was dieser virtus entsprechend zu tun sei. „Unde et
dicitur, quod virtuosus est mensura et regula aetuuni
humanorum." Wer aber der Moralwissenschaft kundig
sei, könne auch urteilen, ohne daß er selbst den Habitus
der virtus hätte. Der erste modus iudicandi nun gehöre
zur Weisheit, auf ihn treffe das Areopagitenwort zu:
doctus est nun solum discens, sed et patiens divina. Die
zweite Art gehöre zur Theologie, die durch Studium erworben
werde.

Otto Haendler gehört auf seinem Fachgebiet gewiß zu
den sapientes im Sinne der genannten Unterscheidung;
auf das hier zitierte pati divina zielt sein praktisch-theologisches
Lebensthema: Bedeutung des Subjekts für das
Evangelium. Die Herausgeber, die mit dieser Sammlung
den 80jährigen ehren, sehen, welche aktuelle Bedeutung
die Haendlersche Fragestellung heute in der Theologie gewonnen
hat, oder genauer: wie sehr die theologische
Wissenschaft ihre Aufmerksamkeit dem nicht nur aktuellen
Problem zugewandt hat, welche Voraussetzungen im
Theologen und Prediger, ja, im Hörer selbst das Evangeliumsverständnis
formen. Man kann nur wünschen, daß
diese Sicht der Herausgeber ihr Recht hat - der praktische
Bildungsweg des jungen Theologen („Ausbildungsweg"
wäre im Haendlerschen Sinn zu einseitig-technisch) verrät
noch nicht viel davon. Freilich, hier wird die Suche
nach erfahrenen Menschen dringlicher, nach Menschen, die
nicht nur per Studium Kenntnisse erwarben, sondern divina
passi sind. Doch es mag die Aufgabe der akademischen
Schüler Haendlers sein, in diesem Sinne beharrlich
, aber gelassen an der Bildung einer jungen Pfarrergeneration
zu arbeiten.

Die Aufsätze, die in dem Band gesammelt worden sind,
stammen aus den Jahren 1954-1965. H. geht der Frage
nach, wieweit unsere Wahrheitserkenntnis durch Projektionen
geprägt wird, und zwar durch individuelle wie
kollektive. Es ist zwar paulinische Einsicht, daß unser
Wissen Stückwerk sei, was Paulus vermutlich auch auf die
theologische Erkenntnis bezogen hat, aber daraus für die
Praxis eine lebendige Folgerung zu ziehen, fällt doch
schwer, weil man oft fürchtet, einem Subjektivismus zu
verfallen, sobald man Absolutsheitsansprüche aufgibt. Den
Voraussetzungen theologischer Entwürfe nachzugehen,
führt aber in einen Bereich beschreibbarer Wirklichkeit,
der man Rechnung tragen muß. Die „Handschrift"
ist eben auch für den theologischen Ansatz aufschlußreich
. H. geht der Frage der Projektion auf das Gottvaterbild
nach, stellt das Verhältnis von Religion und Psychologie
dar, beschreibt das Schuldproblem in theologischer
und psychologischer Sicht. H. ist nicht nur an der Situation
des Einzelnen interessiert, sondern auch an der einei
Zeit. So zeigt er etwa im Säkularismus die Probleme, aber
auch die Möglichkeiten des Glaubens. Er ist immer bereit

zu verstehen, tiefer zu verstehen sogar als der ungläubige
Partner, ohne daß es zu einem billigen „tout comprendre
c'est tout pardonner" kommt. H. macht Mut, ungewohnte
Verständniswege (etwa für „Erlösung") zu gehen. Andere
Aufsätze gehen den subjektiven Voraussetzungen im
Seelsorger nach, wie den Voraussetzungen im betreuten
Menschen. H. ist dem Lebenswerk C.G.Jungs eng verbunden
- ein kurzer Aufsatz ist dem Gedächtnis Jungs
gewidmet -, aber er steht ihm selbständig gegenüber, die
weiterführende Literatur ist verarbeitet. Beichte, Eheprobleme
, das Geheimnis des Vertrauens im ärztlichen
wie seelsorgerlichen Dienst sind weitere Aufsatzthemen.
H. lehrt nicht nur die Verschiedenheit der Gaben beachten
, sondern darauf sehen, wie Reichtum oder Mangel
an Gaben im Gesamt der Person eingebaut ist und dort
ganz persönliche, unvertauschbare Möglichkeiten schafft.
„Das Alter im Lichte der Seelsorge": wer kann darüber
reden, wenn nicht ein Altgewordener selbst? H.s Offenheit
für Gedichte von Hesse und Seidel ist sicher dem zu
wenig konturiert, der nach „reiner" christlicher Verkündigung
sucht, aber er wird sich fragen lassen müssen,
wie lebendig in ihm die Glaubenswahrheit geworden ist,
so daß sie sich nicht immerfort in theologischer Begrifflichkeit
artikuliereu muß. Hier ist man endgültig im
Bereich des per Studium nicht Erreichbaren, im Bereich
des „pati divina", das für H. immer ein pati humana einschließt
.

Ein Aufsatz spricht von Lebensgestaltung als Glaubenshilfe
, bietet Erfahrung dar von der Kraft der Gebärde,
spricht von der „guten Gewohnheit", betritt damit das
Gebiet der Lebenskunst und Lebensweisheit. Was die
Gestaltung eigenen Lebens dem Prediger für die Predigtarbeit
bedeutet, sei hier nur angedeutet. Der letzte, kleine
Aufsatz, „Über Meditation", beschreibt einen Erfahrungsweg
, auf dem andere mitzunehmen der über Achtzigjährige
auch heute noch nicht müde geworden ist.

Die großen Veröffentlichungen H.s winden durch diesen
Sammelband dankenswert ergänzt.

Kimtock l'etor Helilrlcli

Wrage, Karl Horst, u. Peter Petersens Seelsorger und Therapie.

Einführung in die Neurosenlehre und Psychiatrie. Gütersloh
: Gütereloher Verlagshaus G.Mohn [1971]. 112 S. 8°
= Seelsorgepraktikum, hrsg. v. K.H. Wrage, 1. Kart.
DM 9,80.

Diese Veröffentlichung besteht aus zwei Teilen: 1. „Die
menschlichen Bedürfnisse und ihre Entfaltung, ihre Störungen
und Hemmungen. Vorlesungen zur Einführung in
die allgemeine Neurosenlehre und die analytische Entwicklungspsychologie
unter dem Gesichtspunkt der
Neopsychoanalyse" von Harald Schultz-Hencke im Rahmen
eines Seelsorge-Einführungs-Kurses für Vikare" von
Dr. med. K.H.Wrage, Leiter des Sozialmedizinischen
Amtes der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover. - 2. „Einführung
in die psychiatrische Krankheitslehre" vonPriv.-
Doz. Dr. med. P.Petersen, Leiter der Arbeitsgruppe für
Gruppenarbeit und Psychohygiene, Medizinische Hochschule
Hannover.

Wrage stützt sich in seinem Abriß ausdrücklich auf die
Literatur von Sehwidder, Heigl und Heigl-Evers sowie
A.Dührssen und erwähnt als Ergänzung auch die Grundformen
der Angst nach F.Riemann. Die Ausführungen
sind sehr knapp und übersichtlich; sie werden durch zahlreiche
graphische Darstellungen erläutert.

Petersen beruft sich auf Eugen Bleulers Lehrbuch der
Psychiatrie und skizziert in ähnlicher Kürze wie Wrage
die Einteilung der psychiatrischen Krankheiten, die allgemeine
Psychopathologie und Syndromlehre, die psy-