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Ausgabe:

1973

Spalte:

916-920

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schmitt, F. S.

Titel/Untertitel:

Analeota Anselmiana 1973

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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Seiner Übersetzung der Abhandlung „De patientia"
hat E. Stanula erfreulicherweise mehr Bibelnachweise beigegeben
als Kellner der deutschen. Zur Anm. 19 (Hinweis
auf Mt 5,39) könnte noch die Erinnerung an Mk 7,15
zugefügt werden. - Beim Abschn. 16 (poln. Ausg., S. 167)
wird unter Anm. 26 auf Ps 2, 9 und Offb 2, 27 verwiesen.
Eher wäre hier wohl an 2 Kor 4, 7 und 2 Tim 2, 20 zu
denken.

Zu Beginn der Abhandlung „De paenitentia"
schreibt T. von den „blinden" Heiden, sie seien vom eigentlichen
Verständnis der Buße weit entfernt („a ratione
paenitentiae .. . absunt"). Die Übersetzung läßt nicht klar
erkennen, daß dieser Satz sich auf die Heiden selbst bezieht
. - In Abschn. 2 ist die Rede von der menschlichen
„temeritas", die „a principe generis Adam" ihren Anfang
nahm. Diese markante Wendung sähe man gern in wörtlicher
Übersetzung. - Im 3. Abschn. spricht T. nicht von
der Abhängigkeit („zaleznosc") der zwei Substanzen des
Menschen, sondern von ihrer „congregatio". Nach T. sind
„caro et Spiritus" Gottes Werk - die Übersetzung sagt da:
„cialo i dusza" ( Leib und Seele!). Der Geist ist nach
T. eine „res", die durch Gottes Anhauch vollendet wurde
(„consummata") - das letzte Wort fehlt in der Übersetzung
. - Nach Abschn. 4 ist die Buße das Leben, sie gibt
es nicht bloß („Pokuta daje zycie"). Hier ruft T. dem Sünder
zu: „ita amplexare (seil, paenitentiam), ut naufrjgus
alieuius tabulae fidem". Die letzten Worte sind - wie so
oft bei T. - schwer zu übersetzen. Aber der Begriff „fides"
(als Erklärung und Ergänzung des „amplexare") müßte in
jeder Übersetzung wiederkehren. - „Nos vero" - diese
betonten Anfangsworte eines Satzes sollten in der Übersetzung
nicht fehlen. T. schreibt dann (diese Sätze sind
auch für die heutigen Streitgespräche über die hl. Taufe
zu beachten!): „Lavacrum illud obsignatio est fidei; quae
fides a paenitentiae fide ineipitur et commendatur". Den
zweiten Teil dieses Satzes konnte man wohl so wiedergeben
: Dieser Glaube beginnt mit der Zuverlässigkeit der
Buße und empfiehlt sich dadurch. Der polnische Übersetzer
schreibt jedoch: "Wiara zas rozpoczyna sie; i powierza sie.
solidnej pokucie" (= Der Glaube aber beginnt und empfiehlt
sich einer soliden Buße), „desiimus" = wir haben aufgehört
(zu sündigen) - sollte wörtlich übersetzt sein und erst
recht das Sätzchen „jam corde luti sumus", das mit „juz
posiadamy serce czyste" ( wir besitzen schon ein reines
Herz) wiedergegeben wird. Nach T. will der böse Feind
den Geist des Christen in weltliche Verlockungen verstricken
. T. braucht hier das Zeitwort „irretire", das mit
„opanowac" ( beherrschen, überwältigen) nicht angemessen
übersetzt zu sein scheint. Auch erscheint „oslabic duch"
(= den Geist schwächen) nicht stark genug, um T.s Wendung
„subruere spiritum (seil, desperatione)" wiederzugeben
. - In Abschn. 9 fällt die Übersetzung „okazujgc . . .
zmiane" ( eine Änderung anzeigend) für „conversationem
iniungens" auf. Wurde statt „conversationem" vielleicht nach
einer abweichenden LA „conversionem" gelesen? Nach T.
dient die Beichte dazu, „die ewigen Strafen ... zu tilgen
(expungat)". Dies ist mehr als „zasta.pic" ( ersetzen, wie
auch Kellner hier übersetzt). - In Abschn. 10, Abs. 2 fehlt
hinter dem zweiten Satz das Fragezeichen, „conscientia Dei"
ist wohl eher „Gottes Bewußtsein" als sein „Zeugnis"
(swiadeetwo Boze). Zu Abschn. 11: Die anschauliche Beschreibung
damals längst üblicher kosmetischer Bemühungen
(„quid ficti nitoris" und „quid coacti ruboris") sollte
genauer übersetzt und nicht nur mit dem einen Wort
„szminka" zusammengefaßt werden. - Das Bersten feuerspeiender
Berge, die verschlungen werden und doch nicht
zugrunde gehen, ist für uns nach T. ein Erweis der ewigen
Dauer des Strafgerichts („quod nobis iudicii perpetuitatem
probat"). Hier spricht die Übersetzung eine mildere Sprache:
„Jest to dla nas obraz wieeznego wyroku" ( Das ist
für uns ein Bild des ewigen Gerichtsurteils).

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Diese kritischen Bemerkungen zu Einzelheiten der vorliegenden
Übersetzung könnten vergessen lassen, welch
große Leistung hinter dem Werk steht. Auch für einen
Kleriker, der mit der lateinischen Sprache täglich Umgang
hat, ist es keine Kleinigkeit, Tertullian zu übersetzen -
und zwar so, daß der heutige Leser nicht durch eine altertümliche
Sprechweise abgeschreckt wird. Das Bemühen,
dem Menschen unserer Tage den Zugang zur christlichen
Wahrheit zu erleichtern, verdient alle Anerkennung. Nur
muß der Leser in jedem Fall sicher sein, die »Worte des
Lebens" so zu vernehmen, wie sie einmal gemeint waren.

Lüneburg Arnold Stnvko

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Schmitt, F. S. [Hrsg.] in Verb. m. K. Flasch, B. Geyer, R. Kli
banski, H. K. Kohlenberger, S. Ottaviano, R. Roques und
R. W. Southern: Analeota Anselmiana. Untersuchungen
über Person und Werk Anselms von Canterbury. Bd I:
Frankfurt'Main: Minerva 1969. V, 331 S. gr. 8".
Da es kein eigenes wissenschaftliches Organ für die
Anselm-Forschung gibt, entstand der Gedanke, über Person
und Werk Anselms von Canterbury eine Buchreihe herauszubringen
, von der bisher drei Bände vorliegen. Hier soll
zunächst Bd. I besprochen werden. Im ersten Aufsatz fragt
Jean-Robert P o u c h e t O. S. B. (Abbaye N. D. de Maylis):
„Existet-il une .Synthese' Anselmienne?", wobei er die Synthese
als organische Einheit einer Lehre versteht, in der
alle Aussagen harmonisch um eine Zentralidee geordnet
sind. Eine Gesamtsynthese scheint ihm nicht vorzuliegen,
wohl aber partielle Synthesen bzw. synthetische Aspekte.
Schon der Aufbau und Zusammenhang der einzelnen Schriften
Anselms zeuge von großer synthetischer Kraft; nichts
werde hier der Improvisation überlassen, andererseits sei
aber die Koordinierung der Werke mehr spontan als systematisch
vorgenommen worden. Inhaltlich stoße man auf
zwei Grundgedanken: Gott, über den hinaus nichts Größeres
und Vollkommeneres gedacht werden könne, und die
Rechtheit (rectitudo), auf deren Bedeutung der Vf. bereits
in seiner eindrucksvollen Monographie „La rectitudo chez
saint Anselm. Un itineraire augustinien de l'äme ä Dieu"
(Paris 1964) hingewiesen hatte. Der eine Gedanke sei
logisch und ontologisch, der andere moralisch und geistlich
strukturiert, so daß sie nicht aufeinander rückführbar
seien, doch weise Anselm durch seine Kennzeichnung Gottes
als summa veritas, iustitia vel rectitudo auf die Möglich
keit einer noch weitergehenden Synthese hin.

Helmut K. Kohlenberger (Tübingen) widmet seinen
philosophisch tiefgründigen Aufsatz der „Metaphysik
des Visuellen bei Anselm von Canterbury". Er zeigt die
Ursachen der häufigen und vielgestaltigen Verwendung des
Lichtmotivs im Zusammenhang mit der Bevorzugung des
Gesichtssinnes - typisch auch für Aristoteles wie für
Augustin - auf. Das Visuelle werde bei Anselm mit einem
seine sinnliche Bedeutung weit transzendicrenden Inhalt
beladen, wobei der ontologische und gnoseologische Aspekt
bei Prävalenz des erstcren einen unlösbaren Zusammenhang
darstellen. Die Vernunft selbst erscheine als Licht,
Wahrheit als das Resultat ihrer Tätigkeit. Das ursprüngliche
Licht aber sei die Sphäre des Göttlichen als Ort des
Ursprungs des Seins, doch dieses sei als solches unzugänglich
. Obgleich Hilfe und Medium des Sehens, ist es zugleich
der Grund für das Scheitern des Lichtes. Das Licht ist nur
in dem vielen Licht, in sich selbst dagegen Dunkelheit. So
kann die Vernunft nur das einzelne Wahre wahrnehmen.
Gott ist für sie kein mögliches Erkenntnisobjekt, das für
sich isoliert betrachtet werden kann, sondern das Medium
jeder Erkenntnis und also deren Bedingung der Möglich-

Theologische Litcraturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 12