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Ausgabe:

1973

Spalte:

902-903

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Studies in Torah Judaism 1973

Rezensent:

Michel, Otto

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 12

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Anfänge der Judensiedlung in den ersten christlichen Jahrhunderten
, über die erst verhältnismäßig friedliche Ausbreitung
im frühen Mittelalter, die ersten schweren Verfolgungen
während der Zeit der Kreuzzüge und über die folgenden
wechselnden Schicksale. Lebendig beschrieben ist
das Gcmcindeleben und die Kultur, die mit dem Bibel-
und Talmudkommentator Raschi ihren Höhepunkt erreichte.

Der zweite Teil, die Zeitspanne von 1501 bis 1789 umfassend
, ist in vier Kapitel unterteilt. Das erste, von Gilbert
Cahen verfaßt, handelt von der Geschichte der Juden in
Lothringen, von ihrer Gemeindeorganisation, ihrem wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Leben. Georges Weil],
der Autor des zweiten Kapitels, schrieb über das elsäßischc
Judentum. Er bringt eine Tabelle über die verschiedenen
Austreibungen der Juden und eine Karte der jüdischen
Siedlungen. In vielen kleinen Landgemeinden war das
Judentum verwurzelt, aber der in den Städten gepredigte
Antijudaismus brachte immer neues Unglück über die
Judenschaft. Zwei bedeutende jüdische Persönlichkeiten
kamen aus dieser Landschaft: Josel von Rosheim zu Anfang
des 16. und Samson Cerf-Berr von Medelsheim, Ende des
18./Anfang des 19. Jahrhunderts. Über den Süd-Osten
berichtet Hugues Jean de Dianoux: vor allem in den Einflußbereichen
der Städte Avignon und Nice lebten Juden
unbehelligt bis ins 18. Jahrhundert. Flüchtlinge, vor allem
aus der Provence und aus Spanien fanden hier eine neue
Heimat. Elie Szapiro hebt - im Kapitel über den Südwesten
Frankreichs - zunächst die Schicksale der spanischportugiesischen
Juden hervor: als Maranen kamen sie in
viele Teile Frankreichs, fühlten sich zwischen den Religionen
hin- und hergerissen, wurden zwar als Katholiken geduldet
, aber gleichzeitig als ehemalige Juden verdächtigt
und bedrängt. In Saint-Esprit und Bordeaux bestanden große
Gemeinden von Krypto-Juden, die mit jüdischen Gemeinden
des Auslandes, vor allem in Amsterdam und Israel, in
Verbindung standen. In Paris und im französischen Königreich
waren seit 1394 keine Juden mehr zugelassen. Erst
unter dem Sonnenkönig siedelten sich dort Juden wieder
an. Ml 1 1 i

Von den sechs Kapiteln des dritten Teils schrieb Francois
Delpech die beiden ersten: Die Französische Revolution, an
der sich Juden nur wenig aktiv beteiligten, brachte ihnen
zwar einerseits die Bürgerrechte; andererseits richtete sich
aber die allgemeine Religionsfeindlichkeit auch gegen Juden.
Hauptvertreter der von Mendelssohn ausgehenden Emanzipation
war in Frankreich Samson Cerf-Berr. Napoleon,
der die Vorurteile Voltaires gegen das Judentum teilte,
begünstigte aber aus politischen Gründen das Judentum.
Zu Anfang des 19. Jh.s entstand eine liberale Organisation
des französischen Judentums, zum erstenmal traten jüdische
Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler hervor. Mit dem
Nationalsozialismus erwachten aber auch Rassismus und
Antijudaismus. - Das dritte Kapitel von Claude Klein ist
vor allem dem Prozeß Dreyfuß mit seinen Hintergründen
gewidmet. - Wladimir Rabi gibt dann eine soziale Analyse
des französischen Judentums in der Zeit zwischen den
beiden Weltkriegen und zeigt, wie sich der Antisemitismus
besonders durch den Einfluß Nazideutschlands immer mehr
verschärfte. - Im fünften Kapitel beschreibt Olga Wormser-
Migot die Schicksale der Juden im geteilten Frankreich
des zweiten Weltkrieges, die Verfolgungen, Deportationen
und Konzentrationslager, die gespaltene Haltung der französischen
Bevölkerung, die Hilfe vor allem von Seiten der
Kirchen und die jüdische Widerstandsbewegung. - Zuletzt
geht Roger Berg auf die Probleme der jüdischen Gemeinden
Frankreichs in der Gegenwart ein: die Neukonsolidierung
nach der Katastrophe, die Schwierigkeiten der Eingliederung
vieler Einwanderer aus Nordafrika seit 1956
und die Beziehungen zum modernen Staat Israel.

Tabellen und Register beschließen das Buch, das mit
seinen vielen und wertvollen Bildern ein reichhaltiges

Dokument nicht nur der Geschichte der Juden in Frankreich,
sondern auch jüdischen Lebens und jüdischer Kultur ist.
Tübingen Reinhold Maver

Stitskin, Leon D. (Ed.): Studies in Torah Judaism. New
York: KTAV Publishing Housc 1969. XXI, 587 S„ 1 Taf.
gr. 8°. Lw. $ 12.50.

Die in diesem Band zusammengefaßten Beiträge sind
Dr. S. Belkin, dem langjährigen Präsidenten der Yeshiva
Universität, gewidmet. Er selbst, Dr. Belkin, kommt in
seinem Beitrag: „Die Philosophie der Absicht (purpose)"
zu Wort: die rationale Fragestellung bemüht sich um Ursprung
und Ursache, die „intentionale" will darüber hinaus
ihre Bedeutung für den Menschen zum Ausdruck bringen.
Selbst die jüdischen Philosophen, die in aristotelischen
Kategorien dachten, bemühten sich um die Übereinstimmung
zwischen „rationaler" und „intentionaler" Betrachtung.
In Wirklichkeit zeigen biblische und rabbinischc Tradition
das Übergewicht der „intentionalen" Fragestellung an;
philosophische Argumente bei Philo, vor allem aber bei
Maimonides zeigen die Richtung an, wie ratio und intentio
zur Übereinstimmung gebracht werden können. Wir stehen
hier vor einem „traditionellen" Judentum, das nicht nur
feststellen will, sondern nach Sinn und Bedeutung fragt.
Die Hauptteile des Bandes behandeln die religiösen Perspektiven
(Sabbat und Feste, Gebet, Kaddisch), die halachi-
schen Strukturen (Wesen und Geschichte des jüdischen Gesetzes
, Jüdisches Gesetz angesichts moderner Probleme,
Wissen und Liebe in rabbinischer Lehre) und Wissenschaftliche
Erkenntnis und Religion.

Die genauen englischen Bezeichnungen, Begriffe und
Überschriften sind so wiedergegeben, wie die gegenwärtige
deutsche Situation sie verstehen kann. Die Wendung: „The
purpo9eful philosopher" auf S. 1 ist im Deutschen schwer
wiederzugeben: ich würde an einen intentional bestimmten
Philosophen denken. Wir erfahren, daß Dr. S. Belkin
dem „traditionellen Judentum" Amerikas zuzurechnen ist
(„Architect of American Traditional Judaism") und daß
durchweg gefragt wird, was Sinn und Bedeutung des
Gesetzes sei - man will also nicht nur „feststellen". Vgl.
dazu Dr. Rackman über den Sabbat S. 57 f., über Gesetz
und Eigenrumsfrage S. 61 und die zusammenfassende Feststellung
S. 79: Wir dürfen uns nicht damit begnügen, zu
sagen: Gesetz ist Gesetz. Wir müssen das Gesetz und seine
letzten Absichten so gut wir können verstehen, und wir
müssen darauf vorbereitet sein, das Gesetz zu interpretieren
und weiter zu entwickeln wie es die Rabbinen der Vergangenheit
getan haben. Diese Zusammenfassung stimmt
mit der Tendenz des gesamten Bandes, zu einem konservativen
, verstehenden Judenrum zu erziehen, überein.

Die Auseinandersetzung mit philosophischen Einwänden
wird von Dr. Berkovits („Über das Gebet" S. 81 ff) sehr
ernst genommen (vgl. die Auseinandersetzung mit I. Kant,
S. 153-157). „Kants Gott ist groß, doch nicht groß genug,
deshalb kann man nicht zu ihm beten" (S. 156). Gerade
dieser Abschnitt über das „Gebet" ist beachtlich (vgl. auch
das, was über das Gebet der Märtyrer gesagt wird,
S. 180-184, vor allem auch wegen des reichen Quellenmaterials
, S. 184-189).

Über die gegenwärtige Lage des Tora-Judentums in den
Vereinigten Staaten finden sich manche Hinweise im Band
(vgl. das vorsichtige Vorwort des Herausgebers am Eingang
des Abschnittes von R. Mendell Levittes S. 241-243). Es ist
daher verständlich, daß ausführlich von modernen Problemen
innerer und äußerer Art die Rede ist (Dr. Jakobovits).

Aufs Ganze gesehen, ist dieser Band aufschlußreich für
das Verständnis einer bestimmten Gruppe amerikanischen
Judentums, die philosophische und rabbinische Bildung im