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Ausgabe:

1973

Spalte:

869-873

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Scharfenberg, Joachim

Titel/Untertitel:

Religion zwischen Wahn und Wirklichkeit 1973

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 11

870

zing of Man, ed. by J. M. Robinson. Los Angeles: The
Council on the Study of Religion 1973 S. 133-144.

Sorensen, Andrew A.: Need for Power Among Alcoholic
and Nonalcoholic Clergy (Journal for the Scientific Study
of Religion 12, 1973 S. 101-108).

Springe, Christa: Kirchlicher Dienst in der Industriegesellschaft
(Theologia practica 8, 1973 S. 194-207).

Sudbrack, Josef: „Urteile nicht" - Eine aszetische Weisheit
und mehr als dies (Geist und Leben 46, 1973 S. 25-40).

Treblin, Heinrich: Mitarbeiter Gottes. Thesen wider den
frommen Egoismus und Passivismus (JK 34, 1973 S. 122
bis 126).

Veatch, Robert M.: Medical Ethics. Professional or Universal
(HThR 65, 1972 S. 531-559).

Wächter, M. de: Ethiek en revolutie. Enkele thesen over
macht, gezagt en geweld (Bijdragen 32, 1971 S. 384-399).

Williams, Preston N.: James Cone and the Problem of a
Black Ethic (HThR 65, 1972 S. 483-494).

Wood, Robert A.: The Search for Alternative Institutions
and Forms of Community (ER 25, 1973 S. 50-58).

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Scharfenberg, Joachim: Religion zwischen Wahn und Wirklichkeit
. Gesammelte Beiträge zur Korrelation von Theologie
und Psychoanalyse. Hamburg: Furche-Verlag [1972].
321 S. 8° = Konkretionen - Beiträge zur Lehre von der
handelnden Kirche, hrsg. v. H.-E. Bahr, 13.

-: Seelsorge als Gespräch. Zur Theorie und Praxis der seelsorgerlichen
Gesprächsführung. Göttingen: VandenhoeckA
Ruprecht [1972). 153 S. gr. 8" = Handbibliothek für Beratung
und Seelsorge, hrsg. v. Guido N. Groeger u. J. Scharfenberg
, 8. Kart. DM 18,-.

Während in der Generation vor uns Theologen wie O.
Haendler, A. Köberle, A. D. Müller und W. Uhsadel im Gespräch
mit den Klassikern der Tiefenpsychologie sich vor
allem C. G. Jung zuwandten, steht heute S. Freud weithin
im Mittelpunkt. Damals war es oft noch erforderlich, tiefen-
psychologischc Erkenntnisse gegenüber theologischen Verdächtigungen
in Schutz zu nehmen und dikutabol zu ma- I •£
chcn, aber auch das Umgekehrte zu tun, nämlich die Anliegen
der Theologie gegenüber den Psychoanalytikern zu vertreten
. In der Gegenwart kann man sich, frei von apologetischen
Intentionen, darauf konzentrieren, den tiefenpsychologischen
Beitrag zur Religionspsychologie und zum Menschenbild
sachlich festzustellen, um daraus die notwendigen
Konsequenzen für Theologie und Seelsorge zu ziehen, wobei
nicht zuletzt die Weiterentwicklung der psychoanalytischen
Impulse von Interesse ist.

In Erfüllung dieser Aufgabe hat sich Sch. mit seinen Büchern
über Blumhardt (1959) und Freud (1965), als langjähriger
Schriftleiter der „Wege zum Menschen" und als
Verfasser zahlreicher einschlägiger Artikel einen guten Ruf
erworben. Seine doppelte Erfahrung in der psychoanalytischen
Tätigkeit und in der kirchlichen Beratungspraxis prädestinierte
ihn für eine fruchtbare Vermittlerrolle zwischen
Tiefenpsychologie und Theologie. Ein Zeichen für die Nachfrage
nach solchem Dienst ist die Veröffentlichung der beiden
hier zu besprechenden Bücher im selben Jahr, - und
wohl auch ein Hinweis darauf, daß der Vf. nun als Professor
für Praktische Theologie in Kiel sich anschickt, seine
literarische Wirksamkeit noch zu verstärken.

In dem Aufsatzband sind einundzwanzig Beiträge enthalten
, die zwischen 1SS3 und 1971 in verschiedenen Zeitschriften
bereits publiziert wurden, sowie fünf bisher unveröffentlichte
Artikel (Identitätskrise und Identitätsfin-
dung im psychoanalytischen Prozeß, Religion als Psychologiekritik
?, Der Dialog zwischen Theologie und Psychologie
, Predigt über Apg 9,1-20, Lebensnot). Das Ganze ist in

fünf Abschnitte eingeteilt, deren Inhalt wir hier natürlich
nur andeuten und an wenigen Stellen akzentuieren können.

I. „Zur Theorie und Praxis der Psychoanalyse". In den fünf
Beiträgen unter dieser Überschrift bemüht sich Vf. darum,
die psychoanalytischen Grundlehren gegen individualistische
Verengungen abzusichern und ihren sozialen Aspekt
hervorzuheben. Er kommt damit einem zeitgemäßen Bedürfnis
nach und schliefet sich u. a. an die Positionen von Mit-
scherlich, Marcuse und Erikson an. Als sehr überzeugend
kann die gesellschaftsbezogene Auswertung der Psychoanalyse
wohl nicht betrachtet werden, wie auch Sch. zugibt
(z. B. S. 30).

Mit dem II. Teil „Fremdprophetie und theologische Impulse
im Werk Sigmund Freuds" kommt Vf. auf die Thematik
seiner Arbeit von 1965 zurück. Er schildert die bekannte
Einschätzung der Religion bei Freud als einer universalen
Zwangsneurose bzw. als Illusion sowie ihrer „historischen
Wahrheit", die darin besteht, „dafj die religiösen Phänomene
,als Wiederkehren von längst vergessenen bedeutsamen Vorgängen
in der Urgeschichte' angesehen werden müssen"
(S. 92). Trotz des bei Freud unzureichenden Religionsbegriffs
kann nach Sch. heute unter hermeneutischen Aspekten die
Kritik der mythischen, autoritären und vielfach neurotisie-
renden Religion als positiver Versuch gewertet werden,
„den Freiheitsraum des Menschen gegenüber den unbewußten
und damit zwanghaft wirkenden Strukturen der menschlichen
Seelentätigkeit" auszuweiten. Auch mit dem Stichwort
„Sprache als Therapeutikum" weist Sch. in diesem und
dem folgenden Abschnitt oft auf Freuds Urheberschaft für
gegenwärtige theologisch-seelsorgerliche Erkenntnisse hin.

„Themen der Theologie und Psychoanalyse" lautet der
Titel für den III. Teil, an dem der theologische Leser besonderes
Interesse haben dürfte. Auch hier erfolgt die Wiederaufnahme
eines früheren Forschungsgegenstandes des Vf.s:
Blumhardts Seelsorge wird nun zum Modell für „die entschlossene
Preisgabe jedes Anspruches auf eine Suggestiv-
wirkung und das tiefe Sich-Einlassen auf die Struktur des
Gespräches, das den Erlaubnisraum freigibt für ein Stück
neuer Erfahrung" (171). In einer Anmerkung (S. 167) nimmt
Sch. übrigens gewisse Thesen seines Buches von 1959 ausdrücklich
zurück. - Das Problem der Angst stellt Vf. unter
Bezug auf Kierkegaard, Pfister und Tillich dar. Hier bleibt
aber m. E. gegenüber einem vorschnellen Insistieren auf der
Angst als Existential die gesellschaftliche Dimension des
Phänomens ganz außer Acht. - Provozierend sollte der Aufsatz
„Jenseits des Schuldprinzips?" wirken, denn in ihm
werden unsere theologischen Grundlagen angefragt. Äußerungen
von Luther wie von zeitgenössischen Theologen geben
den Eindruck, daß die Kirche sich vielfach um die Lösung
von Schuldproblemen bemüht, die sie selbst erst erzeugt
hat, indem sie bis heute mehr die Über-Ich-Struktur
als die Ich-Funktionen des Menschen entwickeln half. Man
wünschte sich allerdings gerade dazu weniger Zitate und
längere eigene Ausführungen Sch.s! - Ein ähnliches Anliegen
wie in dem eben genannten Beitrag vertritt Vf. im Blick
auf „Religionspädagogik und Gruppendynamik", wenn er
auf psychoanalytischer Basis den Religionsunterricht als Reifungshilfe
versteht.

Auch im Abschnitt IV, „Konkretionen des Menschseins
heute", werden wichtige seelsorgerlich-psychologische Fragen
erörtert, wie Sexualität, Ehe und Familie. Die Kirche
wird nachdrücklich aufgefordert, „ihre an der Vergangenheit
orientierten Leitbilder von Ehe und Familie einer kritischen
Prüfung zu unterziehen" (248). Die Beachtung des sozialen
Umfeldes findet sich hier als deutliches Postulat an die moderne
Seelsorge, die als partnerschaftlicher Dialog und nicht
als autoritäres Verkündigungsgeschehen verstanden wird.
- Ein knapper Artikel „Das Gespräch mit Neurotikern"
gibt Orientierungshilfen, für die der praktische Seelsorger
dankbar sein wird. - An ein offizielles Tabu rührt Sch. unter
der Überschrift „Die Freiheit zum Sterben": „Dem Menschen