Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1973

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

853

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 11

854

ritualistischer Elemente, die sich auch in der »bewußteren
Hinwendung zur Wiedergeburtslehre" zeigt (S. 46). Im
Raum des mystischen Spiritualismus (neben Hoburg werden
Weigel, Felgenhauer und Betkius befragt) findet sich keine
eigenständige Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment.
Hier galt der Kampf der Papocaesarie (Obrigkeit als verführter
Erfüllungsgehilfe des verdorbenen Predigerstandes).
Speners praktische Erfahrungen ließen ihn zunehmend die
Richtigkeit dieser These erkennen.

Für die Spcnerforschung besteht der Wert dieser soliden
Arbeit, die durch ihren deduktiv angelegten inneren Aufbau
zum ständigen Mitdenken zwingt, vor allem darin, daß am
Beispiel der Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment
Speners zunehmende Abwendung von Traditionen des orthodoxen
Luthertums bei gleichzeitiger Auf- und Übernahme
wichtiger Ideen und Anliegen des mystischen Spiritualismus
nachgewiesen wird. Angesichts der Kontroverse in der neuesten
Spenerforschung (M. Schmidt - J. Wallmann) wird die
Arbeit trotz ihrer Begrenzung auf eine Teilfrage befruchtend
wirken. Außerdem gewinnt das oft kritisierte inkonsequente
kirchenpolitsche Verhalten Speners durch diese Untersuchung
an sachlich-theologischer Motivierung und Berechtigung
. Die Bedeutung der Arbeit reicht jedoch über
die Spener- und Pietismusforschung hinaus. Wichtige Teilergebnisse
zur Geschichte der innerprotestantischen Kritik
am landesherrlichen Kirchenregiment werden vorgelegt. Es
ist zu hoffen, daß die weiterführenden Anregungen von der
Forschung aufgenommen werden.

Halle (Saale) Helmut Obst

Bauberot, Jean: L'antiprotestantisme politique ä la fin du
XXIe siecle, I: Les debuts de rantiprotestantisme et la
question de Madagascar (RHPhR 52, 1972 S. 449-484).

Cause, Maurice: Luden des Mesnards, evangeliste du Reveil,
etude sur la division du protestantisme charentais au
XXIe siecle (RHPhR 52, 1972 S. 415-448).

Friedrich, Peter: Ferdinand Christian Baur als Symboliker
(Theol. Dissertation, Münster 1973).

Schmidt, Wolff A. von: Mythologie und Uroffenbarung bei
Herder und Friedrich Schlegel (ZRGG 25, 1973 S. 32-45).

PHILOSOPHIE
RELIGIONSPHILOSOPHIE

Nordentoft, Kresten: Kierkegaards Psykologi. With a sum-
mary in English. Kopenhagen: Gad 1972. 522 S. 8°. dän.
• Kr. 57.50.

Bisher hat es keine Gesamtuntersuchung über Soren Kierkegaards
Psychologie und seinen Einfluß auf moderne Richtungen
innerhalb der Psychologie gegeben. Es ist - und
Nordentoft schildert das prägnant im ersten Kapitel - ein
Unterschied, ob man von seinem eigenen psychologischen
Standpunkt aus Kierkegaard diagnostiziert, wie es seit G.
Brandes bis hin zum einseitig geschriebenen Werk des C.
G. Jung-Schülers A. Künzli „Die Angst als abendländische
Krankheit" (Zürich 1948) oder in W. Waltthers Untersuchung
„Die Angst im menschlichen Dasein" (München/Basel 1967)
geschehen ist, oder ob man Kierkegaard selbst als Psychologen
anerkennt, von dem man sich belehren läßt. Letzteres
hat Ib. Ostenfeld in seiner Studie „Om Angst-Bogrebet i
Soren Kierkegaard: Begrebet Angst" (Kobenhavn 1933) getan
. Auf ihn und die Essaysammlung „Med syvtallet" von
Esbern Lomholt (1959) beruft sich Nordentoft vor allem,
um Kierkegaards Erkenntnisse auf dem Gebiete der Psychologie
zu erfassen und sorgfältig zu gliedern. Neben den
in die Mitte gestellten Werken „Der Begriff Angst" (1844)
und „Die Krankheit zum Tode" (1849) werden die das Gebiet
der Psychologie streifenden Passagen sowohl der Pseudonymen
Romane, der anderen Werke (besonders auch der
Reden) wie der verschiedenen Tagebuchaufzeichnungen herangezogen
.1 Um den weitgespannten Bogen von Analysen
und Vergleichen auf einen Nenner zu bringen, kann man
sagen: Kierkegaards Weg führt von einer „introspektiven"
zu einer „prospektiven" Psychologie (190).

Die ersten drei Kapitel „Kierkegaard als Psychologe",
„Wenn das Kind entwöhnt werden wird", „Das Individuum
und das Geschlecht" führen geschickt zu den beiden Hauptkapiteln
IV und V: „Das anthropologische Modell" (als Basis
) und „Das Konfliktmodell". In diesem letzteren Kapitel
wird besonders intensiv Kierkegaard mit Freud verglichen.
Danach folgt die genaue Vergegenwärtigung des Hauptthemas
von „Der Begriff Angst" nämlich „Kontinuierlichkeit
der Sünde" im Kap. VI, im Kap. VII das Hauptthema von
„Die Krankheit zum Tode" nämlich die „Formen der Verzweiflung
". Im Kapitel VIII „Die Heilung im Grunde" wird
der Therapeut Kierkegaard in den Mittelpunkt gestellt.

Um die Vielfältigkeit in den Griff zu bekommen, muß
'Kierkegaard in seinen Romanen typenpsychologisch vorgehen
. Es geht ihm um eine methodische Abstraktion von der
'Komplexität der Wirklichkeit. Ein bestimmtes Phänomen
muß also unter bewußter Abstraktion von den konkreten
Begleitumständen methodisch analysiert werden, was besonders
gut verdeutlicht werden kann an Figuren wie Don
Juan, Johannes dem Verführer, den drei Frauen innerhalb
der „Schattenrisse" in Entweder-Oder I. Besonders wichtig
ist es auch, daß Nordentoft sauber scheidet zwischen dem
Autor Kierkegaard selbst und den Pseudonymträgern, die
ja schon wieder agierende Typen innerhalb des Denksystems
Kierkegaards sind und eine ganz bestimmte Verhaltensweise
manifestieren, was wiederum ergänzt wird durch
Gegenüberstellungen der in den verschiedenen Pseudonymwerken
geformten Figuren (vgl. 32-38). Trotz oder gerade
wegen bemerkenswerter Aphorismen, die geprägt sind von
guter psychologischer Beobachtungsgabe, kann, vergegenwärtigt
man sich immer solcher Werke wie „Der Begriff
Angst", gesagt werden: „Kierkegaards Psychologie ist da
zu betrachten als eine methodenbewußte Konstruktion auf
der Grundlage primärer Erfahrung" (37). Werden die verschiedensten
, psychologischen Gedankengänge erfaßt und
wird eine diesbezügliche Einteilung vorgenommen, dann
erweist sich, daß diese Methode Kierkegaards stichhaltig
ist, auch wenn jene heute heute anders praktiziert wird.
Zur Orientierung wird ein Grundschema angegeben, das
Kierkegaards psychologischen Grundgedanken verdeutlichen
soll. Danach kann folgendes gesagt werden: Der Unmittelbarkeit
folgt die Krise mit verschiedenen Stufen im
Bewußtsein seiner selbst unter aktiv-passiver und passivaktiver
Verzweiflung, was wiederum bei der ersten Verzweiflungsform
zur Angst vor dem Bösen und Angst vor
dem Guten, bei der zweiten Verzweiflungsform zur Geist-
losigkeit und zum Ritualismus führt. Die beiden Zielrichtungen
der Angst können wieder ihrer Tendenz nach entweder
zur Einfalt (positiv im Sinne des Glaubensgehorsams
als echte Antwort auf die „Zweideutigkeit" im Gegensatz
zur „Eindeutigkeit" [vgl. SV XI 43; Nordentoft 195])
oder zum Trotz wie zur Geisteskrankheit führen (39).

Diesem Grundschema folgt Nordentoft gleich zum Anfang
seiner Untersuchung, indem er unter Berufung auf die Anfangskapitel
von „Der Begriff Angst" (Adam vor dem Sündenfall
!) zusammen mit der Abhandlung des Ästhetikers A
in „Entweder-Oder" I über „Die unmittelbar erotischen Stadien
oder das Musikalisch-Erotische" die drei unmittelbaren
Stadien des Bewußtseins herausarbeitet, und zwar a) das
des Pagen in Figaros Hochzeit als träumenden Zustand, b)
das des Papageno in der Zauberflöte als Ich-Werdung ohne
Konflikt, c) das des Don Juan als substantielle Angst, aber
oben noch nicht subjektiv reflektierte. Ganz richtig wird im
ständigen Verweis auf die ähnlich gelagerten Stadien bei
Adam gezeigt, wie bei diesen in sich verbundenen Stadien