Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1973

Spalte:

850-851

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

X 1973

Rezensent:

Wingren, Gustaf

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

849

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 11

850

als das „de lectis non lecta componere" (270f), erlaubt es
biblisch zu denken und doch nicht biblizistisch am bloßen
Wortlaut der Schrift hängenbleiben zu müssen.

Nachdem bislang mehr auf das Verhältnis des Logos zum
Vater eingegangen wurde, handelt das Kap. 9 eigens über
die Stellung und Funktion des Hl. Geistes. V. versteht die
Trinität als doppelte Dyas, die jeweils nach dem Schema
Potenz-Akt "vorzustellen ist. Die erste Dyas ist bestimmt
durch die beiden Pole ruhendes Sein und bewegtes Sein,
die zweite durch die beiden Bewegungsrichtungen des Hervorgehend
und der Rückkehr; für Vater und Sohn gilt, daß
die beiden eins sind, während Sohn und Geist in einer einzigen
Bewegung zwei sind. Dabei stellt der Übergang von
der ersten zur zweiten Dyas keine innertrinitarische Zäsur
dar, denn die Kreisbewegung geht in einem einheitlichen
Schwung vom Vater aus und kehrt zu ihm zurück (296f).
Auch wenn der Leser die Schwierigkeit und Dunkelheit der
pneumatologischen Spekulation selbst noch in der Darlegung
von Z. empfindet, bleibt, wie dann weiter dargelegt
wird, für V. das soteriologische Anliegen entscheidend, daß,
wenn der Hl. Geist nicht Gott ist, das Heilswerk unvollendet
bleibt. Auch hier zeigt sich nach Z., dafj die Theologie
und die Pneumatologie V's. nicht nur eine christlich übertünchte
Metaphysik darstellt. Wäre es so, dann könnte man
nicht erklären, weshalb die „Rückkehr", die Geistbewegung,
im Brief an Candidus überhaupt nicht und im ersten Teil
von adv. Ar. I nur am Rande erwähnt wurde. Offensichtlich
griff V. auf entsprechende philosophische Darstellungsmittel
erst zurück, als die theologische Kontoverse dem Hl.
"Geist mehr Aufmerksamkeit zuwandte (319).

Z. kommt zum Ergebnis: im Rahmen (d. h. nicht in bewußter
pneumatologischer Themenstellung) der Kontroverse
um die Homousie des Logos entwickelt V. als einer der ersten
nachnizänischen Theologen eine Geistlehre, die hinsichtlich
ihrer biblischen Grundlegung und ihrer offenbarungstheologischen
Ausrichtung die Argumentation des Basilius
von Caesarea vorwegnimmt, ihn jedoch, was die
innere Geschlossenheit angeht, sogar übertrifft. Im großen
ganzen muß diese Konzeption als V's. eigene Leistung gewürdigt
werden (321).

Das 10. Kap., Das innergöttliche Leben als Grund des innerweltlichen
Heils, versucht schließlich, die Einheit bzw.
die innere Bezogenheit von immanenter und ökonomischer
Trinität im Denken V's. darzulegen. Hierzu wird über das
„Imago'-Verständnis gesprochen und nochmals eigens zu- ■
sammengefaßt, wie V. über die Möglichkeit der Gotteserkenntnis
und des Sprechens von Gott dachte: Hinsichtlich
des Problems der Aussage und Erkenntnis Gottes hat V.
zweifellos einen verhältnismäßig hohen Reflexionsstand erreicht
. Im Hintergrund dieser Konzeption steht die ploti-
nische Negation aller endlichen Vorstellungen vom Ersten;
auch nach V. verbirgt sich die göttliche Monas in totaler
Transzendenz. Jedoch ruht nach V. im Gegensatz zu Plotin,
im ersten eine innere Dynamik zur Selbst-Gestaltung und
-Erkenntnis; Gott kann nur von sich selbst adäquat erfaßt
werden. Diese Selbstgestaltung ist Voraussetzung jeder Gotteserkenntnis
überhaupt, aber noch nicht ihre Realisierung,
denn kein endlicher Geist kann Gott erkennen, wenn er sich
nicht selber gnadenhaft mitteilt, zunächst durch die allgemeine
Erleuchtung der Vernunft, besonders aber durch seine
heilsgeschichtliche Selbstoffenbarung. Das bedeutet im Hinblick
auf die trinitarische Soteriologie: wenngleich es V.
vor allem um das An-sichnSein Gottes, um seine Immanenz
geht (und darin, so würden wir sagen, hält sich nun doch
trotz und in allem theologischen Anlaß auch ein ursprüngliches
Interesse an der Metaphysik als solcher durch!), läßt
sich doch nicht leugnen, daß V. auch das Moment der Heilsökonomie
im Auge hat. Von einer totalen Metaphysizierung
oder „Hellenisierung" zu sprechen, wäre nach Z. einseitig
und ungerecht.

Die einzelnen Überlegungen Z's zum Theologe-Sein V's.
sind sicher beeindruckend; geht der Vf. aber nicht doch etwas
zu weit, wenn er nicht nur von einem soteriologischen
Interesse oder Anliegen V's. spricht, das nicht bestritten
werden soll, sondern gar das Adjektiv des „heilsgeschicht-
lich" für V's. Trinitätstheologie glaubt einsetzen zu sollen
(342)? Schließlich bleibt doch auch das innere Verhältnis
von immanenter und ökonomischer Trinität und daher auch
letztlich das Verhältnis von metaphysischem Wissen und
offenbarungstheologischem Glauben ungeklärt, da der ganze
Komplex des Wollens Gottes bei V. kaum reflektiert wird
(353). Dieser Frage, die das Verhältnis zwischen naturhaft-
kosmologischer und personal-offenbarungstheologischer Gotteslehre
von einem eigenen Gesichtspunkt her beleuchten
könnte, müßte erst in einer ebenfalls weit ausholenden und
die ganze antike Metaphysik mitbedenkenden Abhandlung
nachgegangen werden. Dabei könnte es dann auch zu einer
Auseinandersetzung mit der eingangs erwähnten These
des Buches von E. Benz kommen. Z. selber schlieft das Kap.
mit der Bemerkung, es müsse bedauert werden, daß trotz
der klaren Trennung der drei triadischen Entfaltungen das
Wirken Gottes nach außen zu wenig als freies Handeln
erfaßt und dargestellt wird (355).

Das Buch ist eine inhaltsreiche Arbeit, das sich mit Erfolg
um einen zähen und dunklen Stoff bemüht. Der Vf. versteht
es zudem, spürbar zu machen, daß die Hinwendung zu einem
Thema der historischen Theologie nicht Abwendung
von aktuellen Problemen ist, sondern unser theologisches
Denken mit Erfahrungen befruchten kann, auch wenn es
mühsamer Kleinarbeit bedarf, eine solche Erfahrung „wie-
der-zu-holen".

Wiirzburg W. Simonis

Roshkow, W.: Der heilige Gregor von Nyssa und seine Zeit
(Stimme der Orthodoxie 1973 Heft 2 S. 55-59).

Schneider, Hans: Concilium supra Papam? Ekklesiologische
Fragen katholischer Theologie im Spiegel der Auslegungsgeschichte
der Konstanzer Dekrete von Febronius bis zur
Gegenwart (Theol. Dissertation, Göttingen 1972).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Nicolaisen, Poul Juul: Samfund og individ i Albrecht Ritschis

teologi. Kobenhavn: Gad 1972. 138 S. 8°. dän. kr. 23.-.

Das kleine Buch über Albrecht Ritsehl, das Poul Juul Nicolaisen
jetzt herausgegeben hat, ist eine Vorübung. Nicolaisen
hat eine größere Arbeit über die Wirkungen der von
Ritsehl inaugurierten Theologie, besonders die sozialen Wirkungen
in der Periode 1890-1914, schon geplant. Er erwähnt
auch hier dieses zukünftige Werk (S. 8 und 131), das
sich auf die Beziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft
konzentrieren wird. Von dort kommt der Titel des
im voraus erschienenen kleinen Buches, „Samfund og individ
" ( = Gesellschaft und Individuum).

Man versteht besser die Thematik der nun publizierten
Schrift, wenn man Nicolaisens Andeutungen über die folgende
Entwicklung bis zum ersten Weltkrieg studiert. Nach
Ritsehl kommen Wilhelm Herrmann und Julius Kaftan einerseits
(= eine stärkere Betonung des Einzelnen und sein
Verhältnis zu Gott), Johannes Weiß und Ernst Troeltsch
andererseits (= eine stärkere Kritik den gegebenen gesellschaftlichen
Ordnungen gegenüber) (S. 132—134). Bei Ritsehl
ist das Verhältnis des Einzelnen zu Gott mit einer positiven
Beziehung zur Welt zusammengehalten (S. 72f und 129).
Das ist die These von Nicolaisen; er meint auch, daß er
hier etwas Neues und bisher Vernachlässigtes gesehen hat.

So allgemein wie die These bisweilen von Nicolaisen formuliert
wird, ist es aber schwer zu sehen, wie sie sich von