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Ausgabe:

1973

Spalte:

840-841

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

O'Neill, John C.

Titel/Untertitel:

The recovery of Paul's letter to the Galatians 1973

Rezensent:

Schmithals, Walter

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 11

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mehrere Argumente zusammen, die allesamt vor einer pauschal
negativen Verwendung des Begriffes „Konstantinismus
" als kirchengeschichtlicher Kategorie warnen. - Wolfgang
G er icke spürt auf Grund eigener Forschungen der
„Wahrheit über das Buch von den Drei Betrügern" nach
(89-114). Er prüft die ältesten erhaltenen Drucke und sonstigen
Zeugnisse für dieses einst viel gelesene Buch, wobei er
erstmalig mit einem bisher unbekannten Druck aus der Zeit
vor 1688 bekannt machen kann, der in der Bibliothek des _
Wittenberger Predigerseminars ans Licht gekommen ist. G.
gelangt zu dem Ergebnis, daß die Grundschrift des Betrügerbuches
um 1540 entstanden sein muß. - H.-G. Fritz-
s c h e müht sich verdienstlich um die heute vielfach empfundene
Verlegenheit, die die Frage nach Sinn, Wert und
Bedeutung des Todes Jesu bereitet (115-128). Er erläutert
16 Thesen zur „Bedeutung des Kreuzestodes Jesu für eine
Wende der Welt" in engem Anschluß an K. Barths Versöhnungslehre
. Drei Gesichtspunkte bilden das Ergebnis: Jesu
Tod ist „ein aufdeckendes, entlarvendes Geschehen", weiter
„ein in die Geschichte schneidendes Geschehen" und als solches
das Angebot „einer tragikfreien Existenz" und endlich
„die Stiftung jenes Abendmahlssakramentes, von dem die
Kraft eines Neuen ausgeht". - Rudolf Mau äußert sich unter
dem Thema „Klarheit der Schrift und Evangelium" zum
Ansatz des lutherischen Gedankens der claritas seipturae
(129-143). Überzeugend wird gezeigt, daß mit der Wahrheit
der claritas scripturae für Luther das Evangelium steht und
fällt. Allerdings erschließt sich diese Klarheit nur kraft des
der Schrift innewohnenden Geistes und bei intensiver Arbeit
an der Schrift. Inhaltlich ist sie für Luther christologisch bestimmt
und wird praktisch wirksam im Unterscheiden von
Gesetz und Evangelium im Rahmen exegetischer und keryg-
matischer Arbeit. - Harald S c h u 11 z e reflektiert instruktiv
über „Das Gewissen als normgebundene und normsetzende
Instanz" (145-161), auf das sich gerade eine an Mitmenschlichkeit
und Weltverantwortung orientierte Ethik
neu besinnen muß. Erst in der strengen Bindung an Gottes
Anrede gewinnt das Gewissen Autorität und Freiheit zugleich
. Diese Bindung bedeutet wohl Unmittelbarkeit der
Verantwortlichkeit, nicht aber ebenso Unmittelbarkeit ethischer
Erkenntnis, sondern Orientierung des Gewissens an
jenen Normen, die die Gemeinde auf Grund ihres Hörens
auf das Wort Gottes bezeugt. - Friedrich Winter bemüht
sich, Merkmale jener Situation ins Bewußtsein zu heben,
die heute der Prediger individuell und kollektiv bei seinen
Hörern voraussetzen mufj (163-178). „Der Hörer und die
Hörer der Predigt" stellen den Prediger vor neue Aufgaben,
unter denen die Vermittlung „einer befreienden Entscheidungshilfe
" und die Hinführung dazu, „hörend zum Dialog
fähig zu werden", mit Vorrang zu nennen sind. - Jürgen
H e n k y s ' Beitrag steht unter dem Thema: „Zur Katechu-
menatsidee von C. A. G. von Zezschwitz" (179-193). Der Vf.
erhellt im Detail den historischen Hintergrund dieses in der
prinzipiellen Katechetik durch Zezschwitz zu hohem Ansehen
gekommenen Leitbegriffes, indem er die Entwicklung
bis zu Marheineke und Claus Harms zurückverfolgt. Abschließende
gegenwartsbezogene Überlegungen gipfeln in
der These, dafj heute das funktionelle Verständnis des Kate-
chumenats Vorrang verdient vor dem institutionellen. -
Erstmalig bringen die „Theologischen Versuche" abschließend
einen Aufsatz aus dem Bereich der kirchlichen Kunstgeschichte
. Hans Georg Thümmel behandelt mit ausgezeichneter
Sachkenntnis das Thema: „Typologische und analogische
Argumentation in der christlichen Kunst" (195
bis 214). Ausgehend von der These, daß für die inhaltliche
Bestimmung von Typologie und Analogie der jeweilige Realitätsgehalt
entscheidend ist, erläutert der Vf. in einem
ersten Teil die hauptsächlichsten Gestalten, unter denen typologische
und analogische Argumentation in der Kunst
begegnen. Ein zweiter Teil skizziert deren historische Entwicklung
. Dabei zeigt sich, daß erst seit der Mitte des 12. Jh.s

gehäuft typologische Darstellungen in expliziter Form (Typus
und Antitypus nebeneinander dargestellt) erscheinen.
Der darin sich dokumentierende Verlust an Realitätsgehalt
entspricht der gleichzeitigen Auflösung des Realismus in
der Philosophie. Sieben Abbildungen veranschaulichen den
dargestellten Sachverhalt.

Greifswald Günter Haufe

O'Neill, J. C.: The Recovery of Paul s Letter to the Galatians.

London: SPCK 1972. VIII, 87 S. Lw. £ 2.60.

Der Verfasser knüpft an die radikale Literarkritik der
paulinischen Briefe an, wie sie erstmals von Bruno Bauer,
dann von den Holländern vorgenommen wurde. O'Neill hält
den Galaterforief für einen sehr stark überarbeiteten Paulusbrief
: „Nobody but Paul could have written Galatians, yet
the Galatians we possess is not entirely Paul's" (S. 8). Der
paulinische Grundstock, knapp zwei Drittel des vorliegenden
Briefes, wurde nach der Meinung O'Neills teils durch
Randglossen, die später in den Text gerieten, teils durch gezielte
Interpolationen verschiedener Kommentatoren vermehrt
. Er zählt etwa 25 Glossen und die folgenden Interpolationen
: l,13f.22-24; 2,17; 3,3f.6.15b.l6b.l9b-20.23-25.28;
4,l-3.4f (?).8-10.24b-27.30; 5,13-6,10.

O'Neill geht davon aus, daß Paulus ein klarer Denker gewesen
sei und also auch einen glatt lesbaren, logisch zusammenhängenden
Text geschrieben haben müsse. Von dieser
Grundvoraussetzung her weist O'Neill mit Hilfe des Vergleichs
von paulinischem Stil und Wortgebrauch, der Textkritik
und der Sprachlogik die obengenannten Stellen als
Anachronismen, Angleichung an die Apostelgeschichte oder
an den Römerbrief, Verstehenshilfen usw. den Glossatoren
und Interpolatoren zu, die das Schreiben bereichern oder den
Apostel glorifizieren wollten. Die größte Interpolation, 5,13
bis 6,10, kann z. B. deshalb nicht von Paulus stammen, weil
dieser Abschnitt sich nicht wie der übrige Brief gegen Ju-
daisten, sondern eher gegen Antinomisten wendet; O'Neill
zufolge haben wir es bei diesen Versen mit einer unzusammenhängenden
Sammlung von 15 Ermahnungen zu tun,
einem Zwei-Wege-Katechismus vergleichbar.

Der Vf. weiß, daß er oft im Zirkelschluß argumentiert, und
dies sein Verfahren wird man ihm nicht vorwerfen können.
Freilich scheint mir sein Zirkel in sich unschlüssig zu sein.
Denn wenn man davon ausgeht, daß Paulus einen logischen
und klaren Brief geschrieben hat, kann man die Glossen und
Interpolationen nicht weitgehend darauf zurückführen, daß
die Bearbeiter den paulinischen Text mißverstanden haben
bzw. dunkle Stellen erhellen wollten. Das von O'Neill rekonstruierte
.Original' ist als Paulusbrief lesbar; gerade dieser
klare Brief aber macht die meisten .Glossen' unverständlich.
Man kann sich auch nur schwer vorstellen, daß ausgerechnet
ein durch zahlreiche Hände modifizierter Galaterbrief in
den Kanon aufgenommen wurde, jede Spur von weniger veränderten
Exemplaren des Schreibens aber verlorengegangen
sein soll. Das ist um so unvorstellbarer, als nach der
Meinung von O'Neill die Interpolationen erst erfolgten
, als der Brief zum Gebrauch für Katechese und Predigt
in den Gemeinden verbreitet war und die Bearbeiter daraus
das Recht auf Kommentierung des Originaltextes ableiteten.
Kurzum: Die - notwendige - Zirkelargumentation vermag
konkret nicht zu überzeugen, zumal das Zentrum dieses Zirkels
, die Forderung nach einem .glatten' Paulustext, durchaus
willkürlich gewählt ist und der uns vorliegende Text
übrigens bei sachgemäßer Interpretation nicht weniger .glatt'
sein dürfte als der von O'Neill rekonstruierte.

Im einzelnen kann der Vf. natürlich an manche Schwierigkeiten
im Text des Galaterbriefes anknüpfen, doch überzeugen
auch seine Einzelargumente in den meisten Fällen
nicht. Wenn sich, was ich für richtig halte, der Galaterbrief
in bestimmten Abschnitten mit Antinomisten auseinander-