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Ausgabe:

1973

Spalte:

56-57

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Trautwein, Joachim

Titel/Untertitel:

Die Theosophie Michael Hahns und ihre Quellen 1973

Rezensent:

Zeller, Winfried

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 1

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Widerlegung dieser These. Es ist nicht uninteressant, daß
sie Dieter Forte in seinem spektakulären Bühnenstück
„Martin Luther & Thomas Müntzer oder Die Einführung
der Buchhaltung" (Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 1971,
S.29.59 u.ö.) wieder aufleben läßt! Hans Wolter wendet
sich dem von Karl V. am 19. April den Ständen vorgelegten
und eigenhändig verfaßten Bekenntnis zu, dessen Bedeutung
in seiner Integrität er neben Luthers engagierte
Aussage plaziert. „Bekenntnis stellt sich gegen Bekenntnis
, in beiden Fällen wurde es zu einer Erklärung von
weltgeschichtlichem Rang" (S.236).

Wesentlich ist selbstverständlich die kuriale durch die
Nuntien Aleander und Caracciolo vertretene Politik zur
Gestaltung des Reickstagsverlaufs. In feiner Charakteristik
stellt Gerhard Müller die oft wechselnde Taktik
in Distanz und Nähe zur Haltung des kaiserlichen Hofes
heraus. Er kommt zu dem Ergebnis, daß Rom während
des Reichstags „eher reagiert als agiert" (S.255) habe
und lediglich anfangs von der Voraussetzung ausging, die
weltlichen Obrigkeiten hätten nur zu vollstrecken, was
durch den Abschluß des römischen Prozesses längst
manifest war. Die Entwicklungen in Worms machten das
Agieren Aleanders dann doch erforderlich, nur hatte
man in der Kurie die Bedeutung der Sache und ihre konsequenzenreiches
Gefälle in keiner Phase der Verhandlungen
erkannt. So blieb die Vertretung Roms weithin den
Verhandlungsgeschick Aleanders überlassen.

Eine besondere Aufsatzgruppe schildert die Stellung
der Kurfürsten während des Reichstags (Anton Philipp
Brück: Kardinal Albrecht von Brandenburg; Aloys
Schmidt: Der Trierer Erzbischof Richard von Greiffen-
klau; August Franzen: Hermann von Wied, Erzbischof
von Köln; Karlheinz Blaschke: Friedrich der Weise von
Sachsen; Gerd Heinrich: Joachim I. von Hohenzollern;
Wolfgang Eger: Ludwig V. von Wittelsbach, Pfalzgraf
bei Rhein). Es ist aufschlußreich für das Weitergehen der
Reformation, wenn mau die Interessen- und Ärgumen-
tationsskala der Kurfürsten mit Hilfe dieser anschaulichen
Beiträge vergleicht. Hervorgehoben zu werden verdient
Blaschkes Studie, die den seiner Haltung wegen immer
wieder umstrittenen Landesherrn Luthers, Friedrich den
Weisen, ohne irgendeinen Rettungsversuch' in quellengerechter
Weise darzustellen bemüht ist. Der Vf. meint,
Friedrichs Eintreten für Luther, ja sogar ein Bekenntnis
zu seiner Person (S.335), aus dem gewiß dürftigen Material
erheben zu können, „ohne daß eine .evangelische'
Überzeugung des Kurfürsten bemüht zu werden braucht,
für die es ohnehin keine ausreichenden Quellenzeugnisse
gibt" (S.334).

Ein weiterer Beitrag gilt der hessischen Vertretung auf
der Ständeversammlung (Heinrich Steitz), deren temperamentvolle
Spitze der jungendliche Landgraf Philipp
bildete, dessen spätere Parteinahme für die Reformation
sich 1521 aber noch auf keine Weise abzeichnete (S.414).
Immerhin gab es in der Kasseler Kanzlei Lutherfreunde.
Diese Situation ist in viel weiter gespanntem Rahmen
in bezug auf die Stellung der „Humanisten auf dem
Reichstag" festzustellen. Ernst-Wilhelm Kohls differenziert
für das Wormser Geschehen zwischen drei Humanistengruppen
, die als Befürworter der „theologischen
Anliegen Luthers" (S.436), als Vermittler im Sinne des
Erasmus oder als altgläubig Gebliebene (S.435) zu erkennen
sind.

Wer künftig über den Wormser Reichstag, vornehmlich
über die „Luthersache" während dieser bewegenden
Tage, zu arbeiten gedenkt, wird das nicht gut an den
Quellenerhebungen des vorliegenden Sammelbandes vorbei
tun können. Ein sehr gut ausgestatteter umfänglicher
Bilderteil - mit z.T. weniger bekannten Wiedergaben -,
ein auch marxistische Arbeiten einbeziehendes Literaturverzeichnis
sowie ein Namen- und Ortsregister (das allerdings
nicht erschöpfend Auskunft gibt) runden den Ein-
diuck ab. Daß er durch sathbedingte „Überschneidungen
und Wiederholungen" (s.S.IX) einzelner Phänomene in
verschiedenen Aufsätzen nur wenig getrübt wird, soll dem
Herausgeber abschließend freundlich gesagt werden.

Berlin _ Joachim Kogge

Bakken, Grete T.: Martin Reinhard de forste lutherske ut-

sending til norden (NTT 73, 1972 S. 67-92).
Delhis, Hans-Ulrich: Königlicher Supremat oder evangelische

Reformation der Kirche. Heinrich VIII. von England und

die Wittenberger 1631-1540 (WZ Greifswald 20, 1971 Ges.-

wiss. R. Heft 4/5 S.283-291).
Ebeling, Gerhard: Luther und der Anbruch der Neuzeit (ZThK

69, 1972 S. 185-213).
Haas, Martin: Die Täuferkirchen des 16. Jahrhunderts in der

Schweiz und in Münster - ein Vergleich (Zwingliana XIII,

1972 S. 434-462).
Hausammann, Susi: Die Textgrundlage von Zwingiis „Fidei

expositio" (Zwingliana XIII. 1972 S. 463-472).
Kohls, Ernst-Wilhelm: Zur Deutung der Schrift Luthers „De

servo arbitrio" (ZRGG 24, 1972 S. 167-170).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Trautwein, Joachim: Die Theosophie Michael Hahns und ihre
Quellen. Stuttgart: Calwer Verlag [1969]. 403 S.m. 12. Abb.
a. Taf. gr. 8° = Quellen u. Forschungen z. württembergischen
Kirchengeschichte, hrsg. v. M.Brecht u. G.Schäfer.
2. Lw. DM 34,—.

Das vorhegende Buch, aus einer von Heinrich Bornkamm
angeregten Heidelberger Dissertation hervorgegangen
, stellt die erste umfassende wissenschaftliche
Untersuchung dar, in der die Theosophie Michael Hahns
eingehend dargestellt und nach ihren theologie-geschicht-
lichen Quellen gefragt wird. Um ein möglichst objektives
Bild der Person und der Anschauungen Hahns zu gewinnen
, hat der Vf. neben zahlreichen gedruckten Quellen
eine Fülle von bisher nicht erschlossenem handschriftlich
überliefertem Archivmaterial ausgewertet. So hat er nicht
nur die Bestände des Landeskirchlichen Archivs Stuttgart
und des Staatsarchivs Ludwigsburg herangezogen,
sondern auch die zuständigen Dekanats- und Pfarrarchive
durchgearbeitet. Aus dem weiteren Aktenmaterial seien
hier noch die im Archiv der Brüder Unität zu Herrnhut
befindlichen Berichte der einst in Württemberg tätig gewesenen
Herrnhuter Diasporaarbeiter sowie Archivalien
des Pfarramts der Brüdergemeine in Korntal erwähnt. Als
besonders verdienstvoll muß es bezeichnet werden, daß
die wichtigsten Stücke dieser handschriftlichen Quellen
im „Aktenteil" des Anhangs der Forschung zugänglich
gemacht worden sind. Um so bedauerlicher ist es freilich,
daß die Leitung der Hahnischen Gemeinschaft eine Einsicht
in die in ihrem Besitz befindlichen Handschriften
Michael Hahns nicht gestattet hat. Für die Werke Hahns
ist somit die kirchengeschichtliche Forschung auch
weiterhin auf die Drucke angewiesen, die nach Hahns Tod
von seinen Mitarbeitern Immanual Gottlieb Kolb und
Anton Egeler veranstaltet wurden.

Nicht minder sorgfältig ist Trautwein der Frage nach
den Quellen Hahns nachgegangen. Wenn der Herrnhuter
Diasporaarbeiter Furkel Hahns „große Belesenheit" gerühmt
hat, so trifft das nach Trautweins Forschungen in
erstaunlichem Maße zu. Hahn war nicht nur mit Erbauungsschriftstellern
wie Tauler, Thomas von Kempen
und Johann Arndt vertraut, sondern kannte auch auf
Grund eigenen Studiums neben Schriften von Boehme,
Bengel und Oetinger Werke von Tersteegen, Jung-Stil-
ling, Lavater, Karl Friedrich Harttmann und Philipp
Matthäus Hahn. Während die Anregungen Boehmes,