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Ausgabe:

1973

Spalte:

763-764

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Soto, Emmanuel

Titel/Untertitel:

Lineamenta iuris criminalis fundamentalis in doctrina S. Augustini 1973

Rezensent:

Lorenz, Rudolf

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Seite 1

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Der Vf. bezeichnet die Sache, der Ausdruck gegeben wird,
als Ausdruck im Sinne von Stil. Dahinter steht die existen-
tialistischc Verschmelzung von Subjekt und Objekt. Es
handelt sich um existentialistische Stilanalyse. Die sterbende
Existentialphilosophie scheint sich jetzt in Stilistik und
Grammatik zu flüchten — während im Zeitalter Augustins
diese Disziplinen zuweilen (so bei Isidor von Sevilla) auf
metaphysische Gehalte befragt wurden. Vom existentiellen
Anliegen Augustins her wird also hier sein Stil bestimmt.
Der Vf. verzichtet weithin auf die Untersuchung der rhetorischen
Figuren (sie fehlt nicht völlig), sondern richtet sein
Interesse allein auf die Absicht, welche hinter dem Stil steht.
Dadurch erhält die Thematik des Berichtes den Vorrang vor
der Betrachtung der Form, ja der Wechsel der Themen
erscheint bereits als Wandel des Stils. Damit gerät der
Begriff „Stil" in die Gefahr völliger Auflösung, und der
Wunsch, im Wechsel der Themen einen Wechsel des Stils
zu seilen, führt zu subjektiv-ästhetischen Urteilen. Das
Verfahren, welches von der Analyse der Form ausgeht, um
dann das Verhältnis von Form und Inhalt zu bestimmen, so
wie es mit Meisterschaft von E. Auerbach geübt wurde
(Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spät-
antike und im Mittelalter, Bern 1958, S. 25ff. zu sermo
humilis) zeitigt jedenfalls Ergebnisse, denen der Leser mitdenkend
folgen kann, ohne auf bloßes Mitfühlen angewiesen
zu sein.

Obwohl die Anschauung Pizzolatos über „Stil" und ihre
zuweilen gewaltsame Durchführung dem Rezensenten anfechtbar
erscheint, ist seiner Arbeit über die Konfessionen
Augustins eine Reihe interessanter und wichtiger Anregungen
zu entnehmen.

Mninz Rudolf Lorenz

<o

Soto, y. Emmanuel, 0. S. A.: Lineamenta iuris criminalis
fundamcntalis in doctrina S. Augustini. Roma: Libri in
Vendita Presso Economato Generale 0. S. A. 1972.
209 S. gr. 8°.

Zur Beleuchtung der schwierigen Probleme des Slrafrcchts
— etwa des Streites um Wesen, Grenzen und Ziel der
Strafe — will der Vf. die Prinzipien und die Lehre, welche
Augustin zum Strafrecht darbietet, beschreiben. Er bringt
den Stoff in zwrei Teilen. Der erste handelt de natura, ratione
et fundamento punitionis socialis; der zweite de coneeptu et
constitutivis elcmentis criminis.

Der Vf. löst seine Aufgabe mit Hilfe der scholastischen
Methode. Er besitzt von daher einen systematischen Aufriß,
in dem an den passenden Stellen die augustinischen Bausteine
eingefügt werden. Diese Methode ermöglicht nicht nur
die Ordnung des Stoffes, sondern sie wirkt auch als heuristisches
Prinzip: sie wirft bestimmte Probleme auf, an
denen das vorgegebene System interessiert ist und auf
welche hin Augustin dann befragt wird. Und das scholastische
Verfahren der Distinktionen ermöglicht die Durchleuchtung
einer Frage bis in feinste Verästelungen. Dies muß angesichts
eines heute unzeitgemäßen Verfahrens um der Gerechtigkeit
willen gesagt werden, obwold dem Rezensenten die Gefahren,
welche die Methode in sich trägt, nicht verborgen sind.

Ich beschränke mich darauf, dem Leser eine Vorstellung
des Befundes zu geben, den der Vf. bei Augustin erhebt, und
gehe nicht auf die Polemik gegen moderne, positivistische
Strafrechtslehren ein, die unter Heranziehung einer umfangreichen
Literatur geführt wird.

Augustin begründet die Strafe auf die Verantwortlichkeit
des Menschen, die aus seinem liberum arbitrium folgt. Die
Gesellschaft übt mit der Bestrafung der Verbrecher nicht
ein ihr übertragenes, sondern ein ihr natürlich inhärierendes,
d. h. von Gott gegebenes Recht aus. Der Auftrag zur Bestrafung
der Verbrechen kommt von Gott. Die Könige
dienen Gott, indem sie bestrafen, was gegen die Gebote
Gottes geschieht. Freilich stehen die hier vom Vf. an-

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gezogenen Äußerungen Augustins in einem Zusammenhang,
wo er das sacrilegium des Schismas und der Häresie auf die
gleiche Stufe stellt wie kriminelle Delikte. Der Vf. betrachtet
dies nicht als eine Gedankenlinic Augustins, die durch den
Zwang der Donatistenpolemik in eine bestimmte Richtung
gedrängt wurde, sondern integriert sie als festes Element in
sein System, ebenso wie den Gedanken, daß für Augustin
die Strafe der Bewahrung der sozialen Ordnung dient. Die
Spannung zwischen der theokratischen Deutung der Rechtslehre
Augustins und der Meinung, der Bischof vertrete einen
wertfreien Rechtsgedanken (so S. Cotta in seinem bemerkenswerten
Buch „La citä politica di sant' Agostino",
Mailand 1960) kommt nicht in den Blick. Der Vf. hehl den
Zusammenhang zwischen göttlicher und menschlicher
Gerechtigkeit hervor, obwohl er sich auch ihres Unterschiede«
bewußt ist. Aber die göttliche Gerechtigkeit sei für Augustin
Urbild und Fundament der menschlichen Gerechtigkeit. So
trägt die von Menschen verhängte Strafe in Analogie zur
göttlichen Strafe vergeltenden Charakter, wobei freilich der
menschliche Richter an das Gesetz gebunden ist, während
Gott als die Gerechtigkeit selbst, sich selbst Gesetz ist. Der
Vf. sieht also den sozialphilosophischen und den theo-
kratischen Aspekt des Rechts bei Augustin nicht als verschiedene
Gedankenlinien, sondern bringt das alles in einen
strengen logisch-systematischen Zusammenhang: die Gerechtigkeit
ist das absolute Fundament der menschlichen
Bestrafung, das in der Freiheit des Menschen begründete
meritum criminis ihre unmittelbare Ursache; der Schutz der
sozialen Ordnung bezeichnet die Grenze der Strafgewall.
Hinsichtlich des Strafmaßes mahnt Augustin: in omnibus
tenendus est modus aptus humanitati (C. Cresc. Donal.
3,51,57).

Im zweiten Teil seiner Arbeit untersucht der Vf. die strafrechtliche
Terminologie, die sich bei Augustin findet, und
bespricht die Begriffe malum, malefactum — malcficium,
flagitium — facinus, iniuria — nefas, scelus — probrum —
commissum, peccatum (das ja auch im juristischen Sinne
gebraucht wird), delictum, crimen. Für Augustin ist für das
Vorliegen eines Deliktes der böse Wille und die äußere Tat
konstitutiv. Der Vf. meint zwar, daß Augustin das römische
Rechtsprinzip kenne: nulla poena sine lege, aber nur eine
relative, keine absolute Notwendigkeit einer vorhergehenden
legalen Strafbestimmung für die Bestrafung vertrete. Der
Grundsatz nullum crimen sine lege hat sich erst seit der
Magna Charta (1215) in der Neuzeit entwickelt.

Für den Historiker (und nur von diesem Gesichtspunkt,
nicht vom juristischen her kann der Rezensent urteilen)
bringt das vorliegende Buch, von dessen ziemlich ungenießbarer
Schale (es wimmelt leider auch von Druckfehlern) man
sich nicht abstoßen lassen sollte, vor allem zwei Denkanstöße
. Eine ganze Reihe von juristischen Texten sind
Augustins Quaeslioncs in I lepl a lern liuni entnommen. Das
wirft das Problem des Verhältnisses Augustins zum Recht
des Alten Testaments auf. Und bei der Untersuchung der
strafrechtlichen Terminologie Augustins vergleicht der Vf.
mit dem Sprachgebrauch des römischen Rechtes und
bemerkt gelegentlich (z. B. zu delictum), daß August in den
römischen Rechtsbcgril'f kennt. Der Vf. ist allerdings mehr
an der Umschreibung des juristischen Gehaltes der Begriff«'
interessiert als an einem historischen Nachweis der Vertrautheit
Augustins mit dem römischen Recht. Angesichts
der Tätigkeit Augustins in der rpiscopalis audientia (man
ist hier im Wesentlichen immer noch auf die Arbeit von
F. Martroye angewiesen: Saint Augustin et la competence
de la juridiction ecclesiastique au Vc siecle, Mein, de la Soc.
nationale des antiquaires de France, 7e serie, t.X, 1911,
1 — 78) wäre eine Untersuchung über die Kenntnisse, welche
Augustinus (zu dessen Freundeskreis Juristen zählten) vom
römischen Recht besaß, wünschenswert. Dafür bietet das
Buch eine ganze Menge Material.

Mainz Rudolf Lorenz

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 10