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Ausgabe:

1973

Spalte:

758-759

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Trocmé, Etienne

Titel/Untertitel:

Jésus de Nazareth 1973

Rezensent:

Kieffer, René

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 10

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(lenkt Vf. an eine katechetische Formel (Aber: Gab es
derzeit schon Katechismusfragen und -antworten im Stil der
mittelalterlichen Katechismen? Hätte man nicht zuerst die
Möglichkeit eines derartigen „Sitzes im Leben" zu erweisen
?). Oder (etwa bei Eph 2: S. 181 ff.) er gibt zwar zu,
daß die Verse 14—18 insgesamt im Kontext ein Exkurs sind,
schneidet dann jedoch die nicht-parallelisicrbaren Aussagen
für die Vorlage weg. Hatte nicht zu gellen, daß, da wir
nicht wissen, wann die Ablösung der Prädikation durch die
Erzählung eingesetzt hat (in den Od.Sal. ist sie im wesentlichen
abgeschlossen: nur eine von den mehr als dreißig
Oden besteht aus prädikativen Elementen, und dies auch
nur am Schluß), die Analyse nicht von ästhetischen Erwägungen
, sondern von literarkritischen Beobachtungen
auszugehen hat?

4. Die vorliegende Studie hebt sich von allen übrigen durch
den energischen Versuch ab, die Gattungsfragc voranzutreiben
. So entsteht der Eindruck, die christologischen
Nieder ließen sich einteilen. Aber was heißt nun eigentlich
eine „Gattung" ? Gegen meinen Versuch bemerkt W. (S. 22),
meine Gattungsmcrkmale bewährten „sich aber in ihrer
Gesamtheit an keinem einzigen" Text. Leider geht es ihm
nachhe r ebenso: Das „Weglied" soll auf die Kyrios-Akkla-
"inlion hin konzipiert sein, „wenn diese selbst auch nur in
einem der drei uns bekannten Lieder dieser Gattung erscheint
" (S. 165). Aber darf man die vom Vf. parallelisierten
drei Lieder überhaupt im Sinne einer „Gattung" einander
zuordnen, wenn doch Phil 2 vom gnostischen Erlösermy thos
und 1 Tim 3,16 darüber hinaus vom Inthronisationsschema
(ägyptisch!) geprägt sein sollen (das 1 Petr-Lied ist ohnehin
nur das Produkt einer Vermutung) ? Hatte nicht jedes dieser
Lieder einen selbständigen Hintergrund? Und überhaupt:
Seit wann haben religionsgeschichtliche Hintergründe
fWttungsbildende Gewalt, wenn es sich um Gegenstände des
'irchristlichcn Gottesdienstes handelt? Von einer Gattung
kann man doch erst reden, wenn die formale Parallelität
mehrerer Lieder durch bestimmte Ursachen — nun nicht:
,m religionsgeschichtlichen Hintergrund, sondern — im
b'ottesdicnstlichen Vordergrund bedingt ist, wobei gattungsanzeigend
nicht die Vollständigkeit der Merkmale, sondern,
wie Vf. richtig sieht, die Gemeinsamkeit der Zielrichtung ist.
Das Wesentliche kann man methodisch immer noch aus
H. Gunkels Einleitung in die Psalmen lernen. Entscheidend
erscheint mir für christologische Lieder zu sein, daß diese
aus der gottesdienstlichen Proskynese herzuleiten sind, also
auch — trotz sich ständig ändernder rcligionsgeschichtlichcr
Umicrgrünje _ cine einheitliche Gattung bilden. Untergattungen
würde ich nur anerkennen, wenn nachgewiesen
werden kann, daß sich spezifische Eigenarten bestimmter
Gottesdienste (wie Tauf-, Mahl-, Epiphaniefeier usw.) mehrfach
in spezifischen Formmerkmalen auswirken.

5-Der entscheidende Mangel der Studie von K. Wengsl
geht jedoch nicht zu dessen Lasten. Vf. nennt natürlich für
seine Untergattungen Ursachen. Aber er entdeckt diese
n'cht, wo sie zu suchen sind, im gottesdienstlichen Leben
der Gemeinden, also im Vordergrund, sondern — im reli-
Rionsgeschichtlichcn Hintergrund. Niemand wird die Berechtigung
rcligionsgeschichtlichcr Differenzierungen bestreiten
. W. bringt auch wenigstens eine neue Teilcinsicht
(S- 71): Der Gedanke eines stellvertretenden Sühnetodes
dürfte nicht auf dem Hintergrund des palästinensischen,
«Widern auf den des jüdisch-hellenistischen Judentums entwickelt
worden sein. Verwechselt man jedoch (wie W.
durchweg) die religionsgcschichtlichcn Hintergründe mit der
Geschichte der Urchristenheit (daß es einen jüdischen
Hellenismus gegeben hat, erzwingt doch nicht die Konsequenz
, daß es eine jüdisch-hellenistische Gemeinde gegeben
haben müsse!), so müssen den übersichtlichen Analysen
wirklich erstaunliche religionsgeschichtlieh-geschichtliche
Bemerkungen folgen: Für die Auferweckungsformel stellt er
in der Mehrzahl der Fälle einen hellenistischen Gehalt fest,
"m sie dann (S. 41 f.) doch möglicherweise „auf eine Formel

der aramäisch sprechenden Gemeinde" und (gegen den
einzigen Beleg 1 Thcss 1,10) auf den Titel „Menschensohn"
zurückzuführen. Der umgekehrte Vorgang: Abwanderung
vom hellenistischen in den palästinensischen Bereich, wird
gar nicht in Erwägung gezogen. Ähnlich wird Maranatha
eingeordnet (S. 53); der Satz ist daher „scharf zu trennen"
vom Akklamations-Kyrios (S. 54; auch 133). Bei den
Liedern: Wcglieder haben den gnostischen Erlüsermythos
zum Hintergrund, Schöpfungs-Inthronisationslieder den
Sophiamythos, der auch für die Inkarnationslieder Pate
stand (Warum gab es dann aber die unterscheidbaren Liedformen
?), während bei den Vcrsöhnungsliedern „die hellenistisch
-judenchristliche und die hellenistisch-heidenchrist-
lichc Gemeinde" als Autorin in Frage kommen (S. 194).
Derartige Ergebnisse sind für mich der bündige Beweis, daß
zwischen den religionsgeschichtlichen Hintergründen als dem
Hintergrund und der Geschichte der Urchristenheit als dem
Vordergrund scharf und methodisch zu differenzieren ist.
Lieder und Gattungen von Liedern entstehen grundsätzlich
nur im Vordergrund, nämlich innerhalb der Geschichte des
Gottesdienstes, der natürlich von außen beeinflußt werden
kann (weshalb der Gottesdienst selbst bzw. einzelne Lieder
spezifische Prägung annehmen können). Von Gattung sollte
man daher nur im Zusammenhang mit dem Gottesdienst
sprechen, während die religionsgeschichtlichen Hintergründe
sowohl für die Gattungsgeschichte als auch für die
Gestaltgcbung einzelner Lieder wichtig werden konnten. Ein
Beispiel: Die Gattung der Epiphanielieder gibt es seit
ziemlich zweitausend Jahren, wobei Motive und Zielpunkt:
das Lob der Epiphanie Christi, vergleichbar geblieben sind,
obgleich sich die einzelnen Weihnachlslieder erheblich —
eben zeit-, religions- und kirchengcschichtlich bedingt —
unterscheiden, zumal das Einzellied niemals die Aufgabe
gehabt hat, alle Epiphanie-Molive vollzähhch aufzuführen
(das hat nicht einmal der Gottesdienst, sondern nur die
Systematik).

Die kritischen Bemerkungen, die die Lektüre des vorliegenden
Buches auslöst, gehen nur zum Teil zu Lasten des
Verfassers, dessen Arbeit im übrigen meine volle Anerkennung
findet.

Druckfehler: S. 18 Z. 23 „festgestellt" ; S. 23 oben beruht
das Argument auf einem Druckfehler meines Buches (S. 85
Anm. 160 bezieht sich selbstverständlich auf Kol 1,12 ff.);
S. 163 Z. 23 „zusammengefaßt".

Horsdorf b. Leipzig Gottfried Schille

Trocme, Etienne: Jesus de Nazareth vu par les ternoins de sa
vie. Neuchätel: Delachaux et Nicstle [1971]. 155 S. gr. 8°=
Bibliotheque Theologiquc.

Professor Trocme hat in seinen zwei ersten Büchern (Le
„Livre des Actes" et l'histoire, Paris 1957; La formation de
l'Evangile selon Marc, Paris 1963) sein starkes Interesse an
den historischen Fragen bekundet. Informiert über die Nach-
Bultmannschc neue P'rage über den historischen Jesus, ist
Trocme skeptisch über die bisherigen Besultate dieser
Richtung im deutschsprachigen Raum. Er schöpft lieber bei
den französischen, anglo-sächsischen und skandinavischen
Forschern, nimmt jedoch gerne seinen Ausgangspunkt bei
Bultmann selbst. Das Ziel, das er sich setzt, ist natürlich
nicht eine Jesusbiographic (die nach allgemeinem Conscnsus
heute als unmöglich erscheint), sondern eine Studie über den
Eindruck, den Jesus von Nazareth auf die verschiedenen
palästinischen Gruppen ausgeübt hat. Als Leitfaden der
Untersuchung werden die positiven Beiträge der Form- und
der Bcdaktionsgeschichte angesehen.

Nach einer kritischen Bewertung der neueren „Leben-
Jesu"-Forschung (Kap. 1, S. 9—22) wird der redaktionsgeschichtliche
Aspekt unserer Evangelien mit ihrem Hintergrund
in der mündlichen Tradition erforscht (Kap. 2, S.
23 — 37). Hier wird der Formgeschichte vorgeworfen, sie habe