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Ausgabe:

1973

Spalte:

755-758

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wengst, Klaus

Titel/Untertitel:

Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums 1973

Rezensent:

Schille, Gottfried

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755

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 10

75G

meiner Anzeige der Ausgabe des Johannes-Evangeliums in
ThLZ 90, 1965 Sp. 40f. berichtet. Nun liegt auch die seit
längerer Zeit vergriffene Ausgabe des Markus-Evangeliums
in einer völlig neuen Bearbeitung wieder vor. An dem durch
Jülicher nach offenbar subjektiven Prinzipien konstituierten
Text der nicht-afrikanischen altlateinischen Handschriften,
der als Leitlinie für die Angaben über die Lesarten der Handschriften
dient, ist nichts geändert worden, dagegen sind alle
Angaben über die Lesarten der Handschriften mehrfach
kontrolliert worden, und ein Vergleich dieser Ausgabe mit
der 1. Auflage von 1940 zeigt, daß zahlreiche Angaben verbessert
worden sind, so daß die Übereinstimmung der nun
vorliegenden Ausgabe mit dem in den Handschriften noch
erkennbaren Text so vollständig wie überhaupt möglich sein
dürfte. D. h., diese neue Ausgabe stellt das Maximum an
Genauigkeit dar in der Wiedergabe der handschriftlichen
Lesarten und wird darum für diesen Bereich maßgeblich
bleiben, bis in einer wohl noch fernen Zukunft sich die
Beuroncr Vetus-Latina-Ausgabe auch den Evangelien zuwenden
wird. Der Herausgeber K. Aland und seine Mitarbeiter
verdienen den Dank aller an der neutestamentlichen
Textkritik und der Geschichte des lateinischen Bibeltcxtes
Interessierten.

Marburg/I.ahn Werner Georg Kümmel

Wengst, Klaus: Christologische Formeln und Lieder des
Urchristentums. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd
Mohn [1972]. 223 S. gr. 8° = Studien zum Neuen Testament
, hrsg. v. G. Klein, W. Marxsen, W. Schräge, 7. Lw.
DM 38,-.

Gälte bei Dissertationen die Regel, daß deren Brauchbarkeit
in umgekehrtem Verhältnis zur Drucklegungszeit
steht, so dürfte die nun endlich nach fünf Jahren im Druck
vorliegende Studie eine erfreuliche Erscheinung sein. Wer
die Dissertation (Bonn 1967 unter Ph. Vielhaucr) bereits
kannte — sie ist um den Absatz zur Prologvorlage ergänzt
worden —, wird dies bestätigen.

Nach der Einleitung (S. 11 — 26) mit einer Forschungsgeschichte
im Abriß untersucht der Vf. Formeln der aramäisch
sprechenden Urgemeinde (S. 27—54): die Auf-
erweckungsformel (§ 1) und Maranatha (§ 2), und kat-
cchetischc Formeln der hellenistisch-judenchristlichen und
der hcllenistisch-heidenchristlichen Gemeinden (S. 55—129),
zuerst soteriologische Formeln (Sühnedeutung des Todes
Jesu): Dahingabe- (§ 3), Sterbens- (§ 4), andere Sühneformeln
(§ 5) und die Kombination von Todes- und Er-
weckungsaussage (§ 6: 1 Kor 15,3b —5); sodann Personenformeln
: Taufbekenntnis (§ 7: Gottessohn), Einsetzung zum
Gottessohn (§ 8: Rom l,3f.), Erweiterungen mit Elementen
aus der Vita Jesu (§ 9: Ignatiancn); der Abschnitt endet
mit Hinweisen auf die Ausbildung des christologischen
Bekenntnisses (§ 10). Auch der dritte Teil (S. 131-208)
befaßt sich zuerst mit Formeln, die allerdings Ruf-Charakter
haben und darum als „gottesdienstliche" Rufe bezeichnet
werden (Kyrios-: § 11 und Einzig-Akklamation: § 12). Im
letzten Drittel der Studie (S. 144 — 208) folgen die „Lieder",
die W. in die Gattungen der „Weglieder" (§ 13 = Phil
2,6-11; 1 Tim 3,16; 1 Petr 1,20 und 3,18.22), der „Schöpfungsmittler
-Inthronisationslieder" (§ 14 = Hebr 1,3; Kol

I, 15-20), der „Versöhnungslieder" (§ 15 = Eph 2,14-16;
Kol 2,13—15: eine „Taufliturgie") und der „Inkarnationslieder
" einteilt (§ 16 = Ign Eph 19,2f; Joh 1,1.3-5.9 bis

II. 14.16). Die Analysen überzeugen weithin, auch wenn
man hier und da anderer Meinung bleiben muß. So ist mir
zum Beispiel unklar, warum Kol 2,13 zwar mit Eph 2,15
zunächst als gleichwertig gelten kann, nachher aber im
Kontext von Kol 2,13—15 gegen Eph 2,5ff. bevorzugt
werden soll. Kol 2 ist doch in seinem Kontext uneinheitlich!
Vf. muß die Vorlage operativ herstellen; außerdem gilt jetzt,
da das Stichwort „lebendiggemacht" nirgends im Neuen

Testament ins Sprachfeld der Kreuzigungsmotive gehört,
daß Vers 13 die Osteraussage vor den Kreuzigungsmotiven
von Vers 14f. bringt, was nicht gerade als Zeichen der
Ursprünglichkeit gelten kann. Eph 2,5 ff. vereint demgegenüber
auf sich alle Kennzeichen des gegenüber dem Brief und
dem Neuen Testament Einmaligen bei gleichzeitiger innerer
Einheitlichkeit. Gegen Eph 2 sprechen allenfalls die sattsam
bekannten Aversionen der modernen kritischen Forschung
gegen den Ephcserbricf überhaupt!

Auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Forschungssituation
ergeben sich folgende Gesichtspunkte:

1. Die Hymnenforschung im neutestamentlichen Bereich
hat sich in den letzten zwanzig Jahren zu einer Art Geheimwissenschaft
entwickelt, die selbst der nicht mehr zu überschauen
vermag, der sie unentwegt verfolgt. Es ist kein
Nachteil, daß K. Wengst nur einen Teil der Literatur bewältigen
konnte (und daraus nicht sämtliche Argumente),
auch wenn dadurch einige gute Teilergebnisse unberücksichtigt
geblieben sind. Gerade weil sich in Fragen der
Hymnenforschung jeder seinem eigenen Genius verpflichtet
wußte, erscheint mir eine weitere Zusammenfassung der
Erkenntnisse als wertvoll. Die hier erarbeiteten methodischen
Einsichten sollten nicht wiederum in den Wind geschrieben
worden sein.

2. K. Wengst grenzt seinen Gegenstand einleitend (S. 'i(i)
stark ein „auf die christologischen Traditionsstücke". Dem
entspricht die Anlage des Buches, das nur zu einem Dritte]
der Hymnenfrage gewidmet ist. Jedesmal, wenn Vergleichsmaterial
vorliegt, wird Vf. ausführlicher; er kann daher zu
den knappen „Formeln" mehr als bei den „Liedern" sagen.
Hier wird künftig ein methodischer Hinweis zu beachten
sein: Die Forscher haben sich auf ein gemeinsames Verständnis
dessen geeinigt, was ein „Lied" ist (andere sagen
„Hymnus", ohne, wie Vf. fürchtet, damit die altorientalische
Gattung der Lobgesänge == „Gattung Hymnus" zu verwechseln
) — was Vf. mit „Formel" meint (nach anderen
wie Ferd. Hahn oder W. Kramer), bleibt dagegen strittig.
Handelt es sich um festliegende, allgemein verbindliche
Sätze (das wird am ehestens bei § 7 : Taufbekenntnis gelten) ?
Oder sind nur gefestigte Redewendungen gemeint, für die
eine einigermaßen feste Terminologie, ein geschlossenes Vorstellungsfeld
und ein vermutbares Anwcndungsfeld (..Sil/
im Leben" wäre schon zu viel) festgestellt werden können
(das würde bei vielen der von W. vorgeführten „Formeln"
gelten) ? Ist die Studie also mehr ein Beitrag zu der von
E. Käsemann geforderten umfassenden Darstellung der neutestamentlichen
Formelsprache (Wengst S. 26) ? Aber man
kann doch die unterschiedlichen Festigungsgrade kaum verkennen
. Während ein Taufbekenntnis oder ein Lied ohne
die wörtliche Übernahme gar nicht praktizierbar gewesen
wären (Ausnahme: literarische Produkte!), waren die
„Formeln der Verkündigungsrede" zwar gewiß übertragbar,
aber doch nur wie Schlagworte, also ohne Wortkonstanz,
grammatische Verpflichtung usw. Das zeigt Vf. gerade darin,
daß sich das Material bei vielen seiner „Formeln" nur
mühsam grammatisch festnageln läßt. Die Festigkeit der
Sätze kann daher zum Unterscheidungsmerkmal zwischen
Bekenntnis/Lied und geprägter Wendung verwendet werden.

3. Darum empfinde ich es nicht als glücklich, daß die
Hymnenforschung in den Schatten der Bckenntnisformel-
Betrachtung gerät. Vorsicht (man erkennt nur separate
Prädikationen an) schadet nie dem Forscher, aber stets der
Sache. Auch die vorliegende Studie trägt Spuren dieser
Entscheidung: Bei der Forschungsgeschichtc bleiben Namen
wie H. Gunkel und E. Lohmeyer unerwähnt. Zeitlich gelten
die Apostolischen Väter als Grenze; die kaum wesentlich
jüngeren Oden Salomonis bleiben unberücksichtigt. Das
wirkt sich dahin aus, daß W. im allgemeinen nur prädikative
Wendungen, aber kaum (die spätestens in den Od. Sal.
dominierenden und von Qumran her bekannten) Aussagesätze
in Hymnen beläßt. Wo Aussagen ohne klaren prädikativen
Stil begegnen (etwa bei 1 Petr 2,21 ff.: S. 83 ff.),