Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1973

Spalte:

749-754

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kommentar zu Kap. 1,1 - 9

Titel/Untertitel:

50 1973

Rezensent:

Grundmann, Walter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

749

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 10

750

schätzen, wenn man seine Warnungen durchaus mit theologischen
Streitigkeiten der Galatcr in Verbindung bringen
zu müssen glaubt" (S. 143, nach Oepke zu Gal 5,26).

Mir scheint, hier werden die Argumentationsweisen vertauscht
; der Text selbst läßt doch wohl nur zu, Gal 3 — 4
traditionsbezogen, Gal 5 — 6 aber sittiationshczogen auszulegen
. Nun, diese Vertauschung ist so alt wie die Judaisten-
hypothese für den Galaterbricf, die Eckert mit großem Elan
erneuert hat, freilich ohne wesentlich neue Argumente beizubringen
. Dies letztere festzustellen, ist kein Vorwurf. Daß
man die alte These mit den alten Argumenten im aktuellen
Streit um die Gegner des Paulus in Galatien vertreten kann,
spricht einfach für die Schwierigkeit der .Materie, die nur
problematische Lösungen zuläßt. Daß es keine anderen
Argumente für die Judaistenhypothcse gibt als die problematischen
alten, war für mich allerdings das aufschlußreichste
Ergebnis der Lektüre von Eckerts sympathischer
Arbeit, die es eben deshalb freilich nicht hätte versäumen
sollen, den Beitrag zu berücksichtigen, den die anderen
P&ulugbriefe für die Erhellung der galatischen Situation
leisten können.

Berlin Wolter Schmitlials

Schürmann, Heinz, Prof.: Das Lukasevangeliiun, [. Kommentar
zu Kap. 1,1—9,50. Freiburg-Bascl-Wien: Herder [1969].
XLVIII, 591 S. gr. 8° = Herders Theologischer Kommentar
z. Neuen Testament, hrsg. v. A. Wikenhauscrf,
A. Vögtle u. R. Schnackenburg, III.

Wer dem vorliegenden Kommentar IL Schürmanns zum
ersten Teil des Lukasevangeliums (1,1—9,50) gerechtwerden
will, wird erkennen und anerkennen müssen, daß er auf der
einen Seite eine gründliche und saubere wissenschaftliche
Arbeit von hoher Qualität vor sich hat, aber auch daß sie
erwächst aus jenem glaubenden Engagement, das im Mittvollzug
des liturgischen Lebens der Kirc he und in eigener
Meditation des Textes geschieht. Von daher formt sich die
Sprache, die kritisch-abwägend sprachlich-grammatische
Sachverhalte und religionsgeschichtlichc Unterschiede und
Bezüge nüchtern registriert, abweichende Meinungen abweist
und die eigene befestigt, und die zugleich geradezu
dichterisch-hymnisch und bekennend zu formulieren und
übergreifende Zusammenhänge herauszustellen vermag. Es
'st eine Sprache, die wissenschaftliche Erkenntnisse vorlegt
und begründet und zugleich mit dem ausgelegten Text den
Leser in das liturgische und dogmatische Leben der Kirche
ruft. Das führt freilich an einer Reihe von Stellen zu der
Bückfrage an den Autor, ob sein Engagement dem kritischwissenschaftlichen
Fragen vor letzten und u. U. unangenehmen
Ergebnissen ein vorschnelles Halt gebietet und zu
1 larmonisierungsversuchen führt.

Der Kommentar besitzt eine erhebliche Spannweite.
Gründliche sprachliche und wortstatistischc Untersuchungen,
fuellenkritische Analysen von einer bestechenden Exaktheit,
wenn auch verbunden mit kühn wagenden Hypothesen,
doch nie ohne Begründung, lassen eine imponierende
Gesamtschau der lukanischen Konzeption und des Weges
von den Vorlagen bis zu ihr entstehen. Sorgfältige exegetische
Arbeit vermittelt immer wieder neue Einsichten und Anregungen
. Ihre ekklesiologisch bestimmte Art aber veranlaßt
zugleich zu kritischen Fragen an den Kommentator.
Er versteht seinen Kommentar unter der Aufgabe, „den
damaligen Text zu kommentieren als ein Wort in und für
die Kirche der damaligen Zeit und ihm nachzudenken im
Heute und für das Heute" (Vorwort VI).

In der Interpretation des Prologes wird die ckklesiologische
Art der Kommenticrung grundgelegt. Der Prolog läßt erkennen
, daß Lukas aus dem innerkirchlichen gottcsdienst-
"chen und katechetischen Raum in die Öffentlichkeit hinausstrebt
, innerhalb deren die Gemeinde lebt, vor allem, soweit
sie durch religiöse Strömungen der Zeit bewegt ist. Das

Lukasevangelium steht im Spannungsfeld des religiösen
Synkretismus, wie in Zustimmung und Abgrenzung etwa zu
G. Kleins verschiedenen Beiträgen festgestellt wird. Dieser
Synkretismus bereitet der Kirche die „Lchrunsicherheit des
ausgehenden nachapostolischen Zeitalters", die auch mitbestimmt
wird durch die Verschiedenheit der Überlieferungen,
die ihr Lehen formen. Die Abhilfe, auf die Lukas sinnt,
erhält ihre Mittel in der „apostolischen Paradosis", die die
Unterschiede der verschiedenen Überlieferungslinien ganz-
heillich umspannt und eine feste Position zu geben vermag.
Der Prolog (1,1 — 4) wird allein auf das Evangelium bezogen;
seine Weiterführung in einer Apostelgeschichte sei noch nicht
beabsichtigt; für sie werden vielmehr „neue Anstöße aus der
kirchlichen Situation" postuliert (4). Können aber dann
Partien der Apostelgeschichte so erhebliche Schlüsselfunktion
für das Verständnis des Evangeliums bekommen wie etwa
das Paulustestament in Apg 20, z. B. auch für das Verständnis
der „Predigt am Berg" (Lk 6)? Davon hat Schürmann
schon in Aufsätzen vor dem Erscheinen des Kommenlars
gehandelt. El muß gerade in Apg 20 mit „neuen Anstößen
aus der kirchlichen Situation" gerechnet werden. Der
Überlieferungsprozeß, von dem Lukas spricht (zu seinen
Vorlagen vgl. (i A. 31), wird „von jenen verantwortlichen
.Dienern des Wortes' (1,2) kontrolliert und autorisiert'
vorgestellt. Indem das heemin ekklesiologisch und ihre Zeit
eschatologisch verstanden wird, wird der Schluß gewonnen:
„Dieser ckklesiologische Tatbestand (sichert) die adäquate
schriftliche Wiedergabe der Paradosis ebenso . . ., wie er die
asphaleia der kirchlichen Unterweisung garantiert" (8).
Aber die Apostel sind doch nicht Vertreter eines kirchlichen
Lehramtes gewesen, das auf ihre Nachfolger übertragen
worden wäre. Von dem erwähnten Schluß aus wird die
Aufgabe des Lukas bestimmt. Er schreibt nicht als Historiker,
sondern er wird „zum sorgfältig sammelnden und die vorhandenen
Ttaditinncn normativ präsentierenden kirchlichen
Tradenten" (10), der sie in einem archaischen Zustand
beläßt und zugleich ekklesiologisch-aktuell interpretiert.
„Die Verifizierung der tradierten Berichte in persönlichem
Kontakt" (11) wird nicht ausgeschlossen; „seine auf die
Gesamt tradition sich erstreckende sorgfältige Nachforschung
hat ihn „über die auf die legitimierten apostolischen Augenzeugen
zurückgehenden Traditionen" hinausgeführt, so zu
den Vorgeschichten von Lk 1 und 2. Lukas erstrebt die
Vollständigkeit der Überlieferung in Abgrenzung „gegen
wuchernde pseudochristliche Geheimtradition"; und er will
„unterschiedliche Traditionen als zusammengehöriges apostolisches
Erbe deutlich werden . . . lassen" (11). Das
geschieht in einer Zeit, für die die Apostclzeit Vergangenheil
geworden ist, „mit dem Anspruch, . . . dem Glauben die
apostolische Tradition in maßgeblicher Weise — ,kanonisch'
gültig — zu präsentieren" (12). Der Rahmen für die Aufnahme
der Überlieferungen ist nicht ein historisch-chronologischer
Ablauf eines Lebens Jesu, sondern ein tradiertes
Schema vom ,Weg Jesu' ", „der durch den Tod in die
Auferstehung (und Erhöhung) führte" (12f.). Die Arbeit des
Lukas gilt der Kirche in gefährdeter Situation und hat
Zusammenhänge mit der Taufunterweisung (15). Lukas
erweist sich als „ein sehr umsichtiger und in seiner Zeit
begnadeter Kirchenmann, dem die praktischen Fragen des
kirchh'chen Lebens der ausgehenden Apostclzeit Sorge
machten und der darum verantwortlich zur Feder griff" (17).
Es ist mir die Frage, ob man das ganze Schwergewicht, das
den Begriff der kirchlichen Tradition belastet und die mit
ihm zusammenhängende Frage des kirchlichen Lehramtes
so in die Zeit und in das Werk des Lukas zurücktragen
darf. So berechtigt die Kritik an verschiedenen Charakterisierungen
des Lukas in der Forschung ist — sie werden
auf S. 16 aufgezählt —, so gewiß ist das rechtskirchliche
liild, in das er eingezeichnet wird, neuer Rückfrage würdig.
Die Spannungsverhältnisse der wissenschaftlichen Methodik
von Form- und Redaktionsgeschichte kann man nicht mit
der rechtlich-theologischen Spannung von Paradosis und