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Ausgabe:

1973

Spalte:

747-749

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Eckert, Jost

Titel/Untertitel:

Die urchristliche Verkündigung im Streit zwischen Paulus und seinen Gegnern nach dem Galaterbrief 1973

Rezensent:

Schmithals, Walter

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747

Theologische Literalurzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 10

negative Handlungsweisen suchen. Ob ein Vergleich zwischen
Herodes dem Großen und Antipas unbedingt zugunsten
des Antipas ausfallen muß, wie es in der Tendenz von H.
liegt, darf doch wohl bezweifelt werden.

H. hat in seiner ausführlichen Studie nicht nur alle
wichtigen Quellenaussagen über seinen Gegenstand, sondern
auch eine Fülle von Literatur verwertet und dadurch einen
instruktiven Überblick über die Forschungssituation an
diesem Punkt geboten. Dank seiner großen Kombinationsfreudigkeit
ist er zu vielen Hypothesen gelangt, die auf alle
Fälle anregend sind, wenn sie auch meist zum Widerspruch
reizen. Die Hauptkritik richtet sich aber bei diesem Buch
weniger gegen einzelne Ergebnisse als vielmehr gegen die
apologetische und harmonisierende Tendenz, die H. die
gängigen kritischen Methoden der neutestamentlichen
Wissenschaft mißachten läßt. Dadurch hat die vorliegende
Dissertation eine bedauerliche Einbuße an Wert erlitten.

Berlin G. Baumbach

Eckert, Jost: Die urchristliche Verkündigung im Streit
zwischen Paulus und seinen Gegnern nach dein Galater-
brief. Regensburg: F. Pustet 1971. XII, 260 S. gr. 8° =
Münchner Universitäts-Schriften, Kath.-Theol. Fakultät.
Kart. DM 45,-.

Der umständliche Titel dieser bei Otto Kuss in München
angefertigten Dissertation führt etwas in die Irre. Dem
Verfasser geht es um die Frage nach den Gegnern des Paulus
in Galatien. In diesem Zusammenhang wird relativ ausführlich
nur ein Thema der urchristlichen Verkündigung
dargestellt: die paulinische Kritik des Gesetzes.

Der Vf. skizziert im 1. Kapitel (S. 1—30) die Geschichte
der Forschung und erörtert methodische Probleme seiner
Untersuchung.

Dann behandelt er Gal 6,11 — 18 und 5,1—12 und fragt
nach dem in Galatien vorauszusetzenden Verständnis der
Beschneidung (S. 31-61).

Im 3. Kapitel erläutert er in Gestalt einer Paraphrase den
Gedankengang von Gal 3 und 4, beschreibt dabei sehr sachgemäß
das paulinische Gesetzesverständnis vom Gedanken
der Unheilsgeschichte her und versucht, die Ausführungen
des Paulus zum Gesetz auf dem Hintergrund der konkreten
Situation in Galatien zu verstehen (S. 72—130).

Kapitel 4 ist der Auslegung von Gal 5,13 — 6,10 gewidmet.
Diese Auslegung erfolgt wiederum in Gestalt einer Paraphrase
und kommt zu dem Ergebnis, daß die Paränese dieses
Abschnitts keinen direkten Bezug zur galatischen Situation
aufweist (S. 131-162).

Die historischen Passagen des Briefes (Gal 1,1 — 2,14)
behandelt der Vf. in gleicher Form und unter derselben
Fragestellung in Kapitel 5 (S. 163 — 228), während das 6.
und letzte Kapitel (S. 229—238) .Zusammenfassung und
abschließende Erwägungen' enthält.

Das Ergebnis der fleißig gearbeiteten und flüssig geschriebenen
Dissertation besteht in einer Erneuerung der
traditionellen Judaisten-Hypothese: Gleichgültig, ob die
Gegner des Paulus aus Jerusalem kommen oder nicht, sie
sind jedenfalls Gesinnungsgenossen derer, die dem Apostel
bereits auf dem Konvent in Jerusalem Widerstand leisteten.
Sie nahmen die Autorität „der gesetzestreuen Urgemcinde
und einige ihrer Repräsentanten für ihre Verkündigung"
(S. 217) in Anspruch und warfen Paulus ein gestörtes
Verhältnis zu Jerusalem vor.

Ungeklärt bleibt dabei, wieso Paulus dann zu Beginn des
Briefes so sehr bemüht ist, gerade seine Unabhängigkeit von
den Jerusalemern nachzuweisen. Ungeklärt bleibt auch, wie
man sich ultraradikale Judaisten bei einer weltweiten
Heidenmission vorstellen soll und wieso diese pharisäisch
gesinnten Judenchristen sich auf die ,Säulen' in Jerusalem

berufen konnten, die doch mit Paulus enge Gemeinschaft
pflegten.

Diese historischen Unwahrscheinlichkeiten müßte man
freilich in Kauf nehmen, wenn die Exegese des Vf. neue
Gesichtspunkte für die Tübinger Lösung der Gegnerfrage
erbracht hätte. Das ist indessen nicht der Fall. Schon seine
methodischen Prämissen sind nicht unbedenklich. Er setzt
voraus, daß Paulus über die Situation in Galatien vorzüglich
orientiert war, obschon das Schreiben selbst diese Voraussetzung
, die auch aus allgemeinen Überlegungen und angesichts
der Analogien — man denke an die Korrespondenz
mit Korinth — unwahrscheinlich ist, keineswegs nahelegt.
Die unter solcher Voraussetzung entstehenden exegetischen
Schwierigkeiten begegnet der Vf. indessen nicht ungeschickt
mit dein methodischen Grundsatz, Paulus argumentiere
durchgehend parteilich, entwerfe oft eher ein Zerrbild als
ein Bild seiner Gegner, und wo es um die Frage der Beschneidung
geht, entarte die sachliche Diskussion fast ganz
zur Ketzerpolemik (S. 22; 34; 66; 128; 230 u. ö.). Diese
„spezifische paulinische Karikierung" sei es, die das Bild
der Gegner verundeutlicht.

Daß Paulus parteilich argumentiert, wird niemand bestreiten
, aber wenn diese Einsicht zum methodischen
Prinzip gemacht wird, um die Judaistenthese zu begründen
bzw. zu rechtfertigen, wird ihr zuviel zugemutet. So soll
die Behauptung des Paulus, die Galater wendeten sich
wieder den Weltmächten zu und hielten Tage, Monate,
Festzeilen und Jahre (Gal 4,8—11), eine ironische Kon-
sequenzmachcrei des Paulus sein: wer sich auf das jüdische
Gesetz einläßt, gerät in die Nähe des heidnischen Kultus
(S. 128) — eine auch und gerade im Rahmen der paulinischen
Geselzeskritik m. E. unmögliche Vorstellung. Ähnlich soll
die Feststellung, in Galatien hielten die Beschnittenen gelber
das Gesetz nicht (Gal 6,13a), „den Gegner in seinem typisch
jüdischen Unvermögen, das Gesetz zu erfüllen, karikieren"
(S. 35). Aber nicht nur ist in Gal 6,13a von einem absichtsvollen
Verhallen, nicht von einem Unvermögen die Rede;
Paulus kennt auch schwerlich überhaupt ein typisch jüdische
! Unvermögen, das Gesetz zu erfüllen (vgl. Phil3,4ff.).
Auch in Gal 5,13, wo Paulus jedem, der sich beschneiden
läßt, bezeugt, er sei verpflichtet, das ganze Gesetz zu halten,
will Paulus m. E. keineswegs „auf die Unerfüllbarkeil des
Gesetzes aufmerksam machen" (S. 41). Der Skopos dieser
Stelle liegt vielmehr in dem Hinweis, daß die Beschneidung
auf die Gerechtigkeit aus dem Gesetz verpflichtet, so daß
Beschncidung und Gnade sich für den Heidenchristen ausschließen
(Gal 5,4). Paulus meint, er müsse dies den Gala lern
allererst sagen — Judaisten gegenüber ein Unding.

Eckert beruft sich freilich für seine These verstündlicher-
weise vor allem auf Kap. 3 — 4. Daß Paulus in diesen Ausführungen
über Gesetz und Glaube konkret auf die aktuelle
Glaubenssituation eingeht (S. 99), dünkt mich indessen eine
petitio prineipii zu sein, Der Vf. erklärt nicht, warum diese
Ausführung ohne entsprechende situationsbezogene Anspielungen
bleiben und — ein Blick in den Römerbrief zeigt
es — traditionelle Argumentationsgänge zwischen Paulus
und der Synagoge reproduzieren. Dieser Sachverhalt erklärt
sich aber zwanglos, wenn Paulus in Gal 3 — 4 den GalaterD
in prinzipieller Weise die Konsequenzen der Übernahme
der Beschneidung und des Gesetzes vor Augen führt, gleichgültig
, ob diese selbst diese Konsequenzen ziehen wollen
oder nicht.

Voller aktueller Bezüge und relativ wenig traditionell sind
dagegen die paränetischen Ausführungen des Paulus in Gal
5,13 — 6,10, die wegen ihres besonderen Inhaltes schon im
vorigen Jahrhundert gegen die Judaistentheorie ins Feld
geführt wurden. Eckert entledigt sich dieser Instanz, indem
er generell und im einzelnen die Situationsbezogenheit dieses
Abschnitts bestreitet. Solche Situationsbezogenheit sei nicht
zwingend zu erkennen, sie ließe eine konkretere Sprache des
Paulus erwarten (S. 136; 150), und es hieße, „die allgemeine
Menschenkenntnis des Apostels nicht besonders hoch ein-