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Ausgabe:

1973

Spalte:

51-53

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Pfnür, Vinzenz

Titel/Untertitel:

Einig in der Rechtfertigungslehre? 1973

Rezensent:

Koch, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 1

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KIRCH ENGESCH ICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Pfnür, Vinzenz: Einig in der Reehtferliguugslehre? Die Reoht-
fertigungslehre der Coufessio Augustana (1530) und die
Stellungnahme der katholischen Kontroverstheologie zwischen
1530 und 1535. Wiesbaden: Steiner 1970. XIII.
432 S. gr. 8° = Veröffentlichungen d. Instituts f. Europäische
Geschichte Mainz, 60. Abt. Abendländische Keli-
gionsgeschichte, hrsg. v. J.Lortz. Lw. DM 56,—.

Diese nach Anlage und Umfang Achtung gebietende
Arbeit möchte „etwas zum Abbau der Konfessionstrennungen
beitragen und uns der aufgetragenen Einheit
näherbringen" (Vorwort). Sie macht es sich und dem
Leser bei dieser Zielstellung keineswegs leicht, sondern
«•cht umsichtig und gründlich Schritt für Schritt vor, um
ein möglichst abgesichertes Ergebnis vorlegen zu können
. Das ist außerordentlich zu begrüßen bei einer Ge-
sprächslage, die oft die Anzeichen von Hektik an sich
trägt und möglichst bald unter möglichst geringem
Arbeitsaufwand möglichst gewünschte Ergebnisse vorlegen
will.

Der l.Teil der Arbeit befaßt sich mit der Erhebung der
Rechtfertigungslehre der CA. Als größerer Zusammenhang
, in dem sie steht, werden das reformatorische Anliegen
der evangelisch-lutherischen Bekenntnisbildung,
die von der CA angezielten gegnerischen Positionen auf
römisch-katholischer Seite, der Aufbau der CA und die
melanchthonische Rechtfertigungslehre vor allem in
CA 18 und 19 dargestellt. Das reformatorische Anliegen
wird mit „Wort Gottes als beständige und gewisse Lehre
gegenüber der ungewissen erdichteten Menschenlehre"
und „Wort Gottes als Evangelium und tröstende Zusage
gegenüber den Menschensatzungen" umschrieben. Bei der
Darstellung der römisch-katholischen Position, gegen die
die CA Stellung nimmt, wird eine der Grundthesen des
ganzen Buches entwickelt: nämlich daß die CA in erster
Linie nicht gegen die zeitgenössischen Kontroverstheologen
, sondern gegen durch Gabriel Biel vermittelte
spätscholastische Tradition polemisiert. Die schwächste
Stelle in der Beweisführung für diese These ist freilich
das Problem der Suffragienlehre. Die zweite Gegenposition
zur CA sieht P. zutreffend konzentriert in der
Frage nach dem Verhältnis von Rechtfertigung und
Gnadenmitteln. Für die Stellung von CA 4 im Gesamtaufbau
des Bekenntnisses wird die christologische
und ekklesiologische Verankerung dieses Artikels festgestellt
. An Melanchthons Entwicklung wird eine Abkehr
von gewissen Aussagen über die Willensfreiheit aus der
Zeit um 1520/21 hervorgehoben.

Instruktiv ist eine tabellarische Übersicht über das
Begriffsfeld der Rechtfertigung in der CA (S. 140-143).
Ihr schließt sich eine umsichtige Untersuchung der Formeln
gratis - propter Christum - per fidem an. Mit großem
Interesse wird man P.'s Ausführungen über das umstrittene
Verhältnis zwischen iustum effici und iustum reputari
zur Kenntnis nehmen. Die Arbeit geht hier eigene Wege,
indem sie das iustum reputari unter der Voraussetzung
des iustum effici verstehen und beide Formulierungen
unterscheiden möchte. Iustum effici bedeute das erstmalige
Werden, iustum reputari das Sein. P. sieht diese
Deutung in einer Linie mit der Rechtfertigung, wie sie in
Luthers Galatervorlesung von 1531 dargestellt werde.
Melanchthon wird in diesem Zusammenhang vor dem
Vorwurf der Psychologisierung in Schutz genommen. Es
wird sich in jedem Falle lohnen, von dieser Sicht her das
umstrittene Problem neu anzugehen. Dabei müßte auch
die Deutung des Phänomens in der Sicht Luthers durch
die von P. nicht berücksichtigte Arbeit von Karin Bornkamm
: Luthers Auslegungen des Galaterbriefes von 1519
und 1531. Ein Vergleich, Berlin 1963, S.77ff. u. 94ff.,
berücksichtigt werden (imputatio als Totalaspekt, unio als
Partialaspekt der Rechtfertigung).

Imputatio bedeutet nach P. „Annahme an Sohnes
Statt auf Grund der konkreten Lebensverbindung mit
Christus, die im Geist, der in unsre Herzen ausgegossen
ist, eröffnet bleibt" (S.193). Imputatio ist also verlierbar.
Selbst wenn man P.'s Interpretation zustimmt, bleibt
zu fragen, ob man ihm folgen kann, wenn er formuliert,
daß jede Todsünde eine neue Wiedergeburt nötig mache.
Vielleicht sieht P. an dieser Stelle Melanchthon doch zu
nahe am scholastischen Denken, auch wenn er feststellen
kann, daß Melanchthon die Begriffe gratia gratum faciens
und gratia habitualis nicht generell ablehnt, sondern sich
nur gegen eine Gleichsetzung dieser Begriffe mit der Caritas
infusa wendet.

Nach einer Darstellung der Frage der Bedeutsamkeit
der Werke für die Rechtfertigungslehre der CA und klärenden
Ausführungen über den Glaubensbegriff der CA
im ganzen (Problem des tertius usus legis, Verhältnis von
Rechtfertigung und Sakramenten, von fides qua und
fides quae) beginnt der II.Teil der Arbeit, der sich mit der
Stellungnahme der römisch-katholischen Kontroverstheologie
zwischen 1530 und 1535 befaßt. Zunächst wird
ausführlich die vom Kaiser in Auftrag gegebene offizielle
Stellungnahme der Confutatio und ihrer Vorarbeiten referiert
. Hier kommt für P. die immer wieder von ihm
notierte Beobachtung in den Blick, daß der kritisierte
Luther der der Zeit von 1520/22 ist, so auch bei Cochläus,
Petrus Rauch, Johannes Mensing. Diese Frontstellung
ist auch für die späteren Verhandlungen des Vierzehnerausschusses
charakteristisch, bei denen das „gegenseitige
Mißtrauen und Vorurteil ... das Haupthindernis für eine
sachliche Einigung" bildete (S.264). Freilich konnte man
sich weitgehender einigen, als gewöhnlich angenommen
wird. Das Restproblem - freilich auch das Kernproblem!-,
inwiefern Rechtfertigung durch die Liebe und Rechtfertigung
im Gegenüber von Gnade und Glaube sich vereinen
lassen, blieb auch für die innerlutherischen Auseinandersetzungen
der dreißiger Jahre richtungweisend.

Schließlich werden die Stellungnahmen von Johannes
Dietenberger, Johannes Cochläus, Petrus Rauch, Johannes
Mensing (als bedeutendste Stellungnahme; bei ihm
wie ansatzweise bei Dietenberger die Lehre von einer doppelten
Rechtfertigung), Cajetan und Michael Vehe ausführlich
dargestellt und beurteilt.

Als die wichtigsten Ergebnisse seiner Arbeit notiert P.:
Die Verhandlungen von Augsburg im Sommer 1530 haben
im wesentlichen eine Einigung in der Lehre gebracht. In
der nachfolgenden Polemik hat man dann wieder aneinander
vorbeigeredet. Insbesondere hat die römisch-katholische
Seite nicht zugegeben, daß die Einwände der
Lutheraner gegen die Spätscholastik zu Recht bestanden.
Sie hat ihrerseits ihre Gegner geflissentlich auf die längst
offiziell verlassene Position von 1520/22 fixieren wollen
und hierin Nachfolge in der modernen Lutherforschung
gefunden. Der Vorwurf gegen Luther (der im übrigen im
Kampf gegen den Nominalismus recht hatte), er differenziere
sein Sündenverständnis nicht genügend, wird
von der modernen protestantischen Exegese bestätigt.
Aber auch in der Lehre von der Sünde hat man sich in
Augsburg 1530, Leipzig 1534 und Worms 1541 geeinigt.
In der Rechtfertigungslehre gehen beide Seiten von unterschiedlichen
biblischen Motiven aus: die römisch-katholische
Seite von der Paränese, die CA von der pauli-
nischen Gnadenbotschaft. Dabei stehen oft hinter verschiedenen
Begriffen gleiche Intentionen und hinter gleichen
Begriffen verschiedene Intentionen.

20 Seiten (1) Literaturangaben und ausführliche Register
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