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Ausgabe:

1973

Spalte:

701-704

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Zum Problem Unfehlbarkeit 1973

Rezensent:

Gallinat, Reinhold

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701

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 9

untersuchen, um dadurch der Rollenunsicherheit radikaler
zu Leibe zu gehen.

Insgesamt ist es unmöglich, ein Werk von solchem Umfang
und solcher inhaltlichen Spannweite im Rahmen
einer bemessenen Rezension völlig nachzuzeichnen. Dennoch
sollte deutlich geworden sein, daß diese Beiträge zur
Situation von Kirche und Religion in einigen Teilen Westeuropas
den Blick weiten helfen und neue Einsichten vermitteln
, und dies sowohl für den theologisch interessierten
Soziologen als auch für den soziologisch engagierten
Theologen.

kelpiif? Gottfried Kretöjchmar

Daiber, Karl-Fritz: Ortsbestimmung für Volkskirchen. Interpretation
einer katholischen Totalerhebung (LuMo 12, 1973
S. 245-250).

Hill, Michael: They Changcd Our Thinking: VI. Max Weber

(1864-1920) (ET 84, 1973 S.260-265).
Kelley, Dean M.: Symposium: Why Conservative Churches

Are Growing. The Church's Task: A Sense of Life's Meaning

(ThToday 30, 1973 S. 52-55).
Kerr, Hugh T.: Symposium: Why Conservative Churches Are

Growing. A Failure of Pereeption (ThToday 30, 1973

8.49-61).

Krolzig, Günter: Dorfpfarrer wider Willen (Kirche im Dorf 24,

. 1973 S. 129-130).
Lindsay, Thomns P.: Symposium: Why Conservative Churches
Are Growing. The Culture Affects the Churches (ThToday
, 30, 1073 S. 46-48).

Schölten, R. G.: Godsdienstsociologio in Nederlandse theologische
en sociaal-wetenschappelijke tijdschriften 1965-1971
, (NodThT 27, 1973 S. 71-77).

Sohulze-Binkoweki, Thea: Emanzipation als Daseinsprinzip.

Denken und Handeln unter den Bedingungen des Wandels
^ (LuMo 12, 1973 S. 251-256).

Stephan, Karen H.: Religion and the Survival of Utopian
Communities (Journal for the Scientific Study of Religion
• 12, 1973 S. 89-100).

Vokkert, Heinrich: Entwicklung und Wandlung der Industrie-
und Sozialpfarrämter in den westdeutschen Landeskirchen
von 1945 bis Ende der sechziger Jahre (Theol. Dissertation,
Münster 1973).

Weber, Hartmut: Revolution oder Refoim? (JK 34, 1973
S. 363-368).

Wedel, Cynthia C.: Symposium: Why Conservative Churches
Are Growing. Where the People Are (ThToday 30, 1973
S. 43-45).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Rahner, Karl [Hrsg.]: Zum Problem Unfehlbarkeit. Antworten
auf die Anfrage von Hans Küng. Freiburg-Basel-Wien: Herder
[1971]. 376 S. 8° = Questiones Disputatae, hrsg. v.
K. Rainer u. H. Schlier, 54. Kart. DM 32,— .

Kolping, Adolf: Unfehlbar? Eine Antwort. Bergen-Enkheim:
Kaffke [1971]. 117 S. 8° - Theologische Brennpunkte.
Aktuelle Schriftenreihe, hrsg. v. V. Schurr u. B.Häring, 28.
Kart . DM 11,80.

Schon bald nach Erscheinen von Hans Küngs Anfrage
zum Problem „Unfehlbar?" (Einsiedeln 1970) waren dir
ersten Stellungnahmen katholischer Theologen in Zeitschriften
erschienen. Hier nun legt Karl Rahner als Her-
aUsgeber einen umfänglichen Diskussionsband vor, der
bereits publizierte als auch und überwiegend neu erarbeitete
Beiträge enthält. Rahner möchte „die andere
Seite" zu Woit kommen lassen, aus welchem Grunde die
Beiträge durchweg kritische Gegenfragen an Küng entölten
. Allerdings ist diese „andere Seite" doch nicht in
ihrer ganzen möglichen Breite gegenwärtig. Bei den fünfzehn
Autoren handelt es sich um reine relativ homogene
Gruppe überwiegend deutschsprachiger Theologen, die
Zum größeren Teil zum Kreis um „Concilium" und „Ca-

tholica" gehören: teils Schüler, teils Freunde, in jedem
Falle Karl Rahner im Denken verwandt und von der
Notwendigkeit kirchlicher Reformen ebenso tiberzeugt
wie er und Hans Küng. Die Nähe, die damit zu Küng gegeben
ist, macht es einesteils den Autoren nicht leicht,
sich hinreichend deutlich von Küng abzuheben, ohne die
eigenen Reformintentionen zu verleugnen, anderenteils
aber auch dem Leser nicht, zumal dem evangelischen, der
sich durch ein Gewirr sehr subtiler dogmatischer Erörterungen
hindurchwinden muß, die noch dazu zu
einem guten Teil Schulmeinungen sind, ohne daß dies von
den Autoren immer hinreichend kenntlich gemacht würde
. Küng hatte eine Streitschrift geschrieben. Es verwundert
daher nicht, wenn auch seine Kontrahenten
Mühe haben, ihrem eifernden Geist die strengen Zügel
unparteiischer Wissenschaftlichkeit anzulegen. Es beginnt
mit der Bezweiflung von Küngs charakterlicher
Integrität (29), setzt sich fort mit Auslassungen über seinen
Stil (sein Buch - ein „Pamphlet" 346; „pseudowissenschaftlich
" 233; „methodologischer Doketismus" 233;
„biblizistisch" 332) und endet wohl notgedrungen in der
Überreichung von Ketzerhüten. Rahner spricht mit
Küng wie mit einem „liberalen Protestanten" und betrachtet
die Kontroverse „von der Sache her nicht mehr
als eine innerkatholische theologische Kontroverse" (32).
Karl Lehmann meint unter Berufung auf „einige namhafte
Theologen", daß Küng „einem formell definierten
Dogma widerspricht" (346). Und Josef Ratzinger versteht
nicht, wieso sich Küng unter solchen Umständen
immer noch für einen „überzeugten katholischen Theologen
" halten kann (104). Natürlich müssen nun auch
Küngs geistige Ahnen namhaft gemacht werden: Karl
Barth und überhaupt der „deutsche Idealismus (von
Kant bis zu Hegel und Schleiermacher)", schließlich jener
„radikale Occamismus", „der im ganzen Protestantismus
Spuren hinterlassen hat" (Luigi Sartori 85).

Nach solchen polemischen Präliminarien wendet man
sich um so interessierter den sachlichen Kontroversen zu.
Hier springt aber zunächst ein sonderbares Mißverhältnis
in die Augen. Küng hatte sich für seine Bestreitung der
Unfehlbarkeit des Lehramtes weitgehend und sehr grundlegend
auf das Neue Testament und die Kirchengeschichte
berufen. Unter den fünfzehn Autoren des vorliegenden
Bandes befinden sich aber nur je ein Neutestamentler
(Rudolf Schnackenburg) und ein Kirchengeschichtler
(Walter Brandmüller). Alle übrigen sind Dogmatiker
(darunter zwei Fundamentaltheologen). Diese weitgehende
Ignorierung von Küngs eigenen Intentionen mag
man als eine Reverenz an den Dogmatik-Kollegen Küng
verstehen. Sie hätte aber einen sehr fatalen Beigeschmack
. Näher liegt es, hierin einen sehr eindrucksvollen
Beweis für die „Systemimmanenz" des Herausgebers
Rahner zu sehen (vgl. 58). Lehmann belehrt uns, daß es
neben der exegetischen und historischen Methode, Theologie
zu treiben, die dogmatische gibt als eigene, die wenigstens
prinzipiell der beiden anderen Disziplinen nicht bedarf
. Und K.Rahner weist darauf hin, daß es für den
Dogmatiker nicht primär um den Erweis der Legitimität
eines dogmatischen Satzes mit Hilfe von Schrift und Tradition
gehe. Der Dogmatiker müsse vielmehr davon ausgehen
, daß schon „das aktuelle Glaubensbewußtsein",
„wie es sich in den einen absoluten Glaubensassens fordernden
Lehrentscheidungen des ordentlichen oder außerordentlichen
Lehramts der Kirche ausspricht'", „selber
eine theologische Instanz" ist (53). Küngs Forderung nach
historischen und biblischen Beweisen für dio Unfehlbarkeit
bedeutet somit schon den Schritt aus dem System
des Katholischen hinaus (vgl. auch Ratzinger 103f.).
Und es ist eigentümlich konsequent, wenn Rahner bereits
durch die Wahl der Autoren jedem möglichen Zweifel an
der Prinzipientreue seiner Position den Boden entzieht.