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Ausgabe:

1973

Spalte:

689-691

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Podskalsky, Gerhard

Titel/Untertitel:

Byzantinische Reichseschatologie 1973

Rezensent:

Ziemer, Jürgen

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689

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 9

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gewaltigen Konfusion, die auch in dieser Zeit der „Stereo-
typisierung des Gnostizismus-Verdachts" Erstaunen
weckt. - Theodor Klauser untersucht mit gewohnter
Sorgfalt Cyprians Behauptung (de lapsis 6), „sehr viele"
(plurimi) Bischöfe seien zum Schaden ihres kirchlichen
Amtes procuratores, d.h. staatliche Steuereinnehmer, geworden
(S. 140-149). Vielleicht blickt er (und später noch
das Konzil von Elvira) hierbei auf den Fall des Bischofs
Privatus von Lambaesis zurück. Ob ihm noch weitere,
insbesondere außerafrikanische Beispiele bekannt waren
oder ob in Cyprians Worten (wie ich eher meinen möchte)
eine rhetorische Verallgemeinerung vorliegt, muß offenbleiben
. Im Osten entspräche dem später der Fall des
Baulos von Samosata, der aber einen weiteren politischen
Hintergrund hatte.

Zwei große archäologische Studien haben fast den Charakter
von Monographien. Helga v. Heintze ordnet einen
interessanten, leider stark lädierten Mädchenkopf, der
sich jetzt im F.-J.- Dölger-Institut in Bonn befindet, in die
Gesamtgeschichte des spätantiken Frauenporträts ein
(19 Tafeln mit 66 Abbildungen!) und weist ihm einen
Platz neben der Mailänder „Theodora" zu Beginn des
5-Jh.s an (S.61-91). R.Turcan beschreibt in einem
französisch verfaßten Aufsatz die vielfache Verwendung
der Girlande in der heidnischen Antike (S. 92-139). Sie
erklärt die Ablehnung dieses Schmucks durch das frühe
Christentum. Dazu wird auf einen hoffentlich bald erscheinenden
Artikel im RAC verwiesen. - Übrigens bringt
auch dieser Band wieder einen Nachtragsartikel zum
Lexikon, nämlich das „Erbrecht" von W.Selb (S.170 bis
184). Der Vf. betont nachdrücklich die Schwierigkeit seiner
Darstellung in der mangels Quellen und vorbereitender
Untersuchungen viele Fragen offenbleiben müßten.
Trotzdem ist das Gebotene ebenso reichhaltig wie interessant
. Die Leser dieser Zeitschrift werden sich vor allem
für das klerikale und klösterliche Erbrecht interessieren,
die Stiftungen an die Kirche und zu wohltätigen Zwecken
Und die zahlreichen Gesetze, die diese Übung gefördert,
nur selten auch eingeschränkt haben. Gegen Ende streift
der Vf. auch den Begriff der Ao*i}xij. - Unter den Rezensionen
sei die ungewöhnliche, aber sachlich voll begründete
Anzeige eines an ziemlich entlegener Stelle erschienenen
großen Aufsatzes genannt: C.Colpe bespricht die „wissenschaftliche
Sensation" der Bekanntgabe eines Kölner
Mani-Codex durch Alb.Henrichs und Ldw.Koenen

(1970) . Ferner sei die über H.Bellens tendenzfreien und
darum heute fast aktuellen „Studien zur Sklavenflucht"

(1971) durch Th.Mayer = Maly genannt. Andere Werke
haben z.T. mehr ihres Themas als ihrer wissenschaftlichen
Bedeutung wegen kritische Würdigungen erfahren.

Alles in allem, wie man sieht, wieder eine reiche und erfreuliche
Ernte!

Heidolbera H. v. Campciihnnsen

Podskalsky, Gerhard: Byzantinische Reichseschatologie. Die

Periodisierimg der Weltgeschichte in den vier Großreichen
(Daniel 2 und 7) und dem Tausendjährigen Friedensreiche
(Apok. 20). Eine motivgeschichtliche Untersuchung. München
: Fink 1972. XII, 114 S. gr. 8° — Münchener Universitätsschriften
, Reihe der Philosophischen Fakultät, 9, hrsg.
v. H.Kuhn u. H.W.Müller. Kart, DM 38.—.

Diese Münchener philosophische Dissertation widmet
sich dem vielbedachten Thema der „reichseschatolo-
gischen Ideologie in Byzanz". P. versucht zu zeigen, daß
das „fundamentale Prinzip" der byzantinischen Geschichtstheologie
die „Periodisierung der Weltgeschichte"
ist, mit deren Hilfe die Geschichte überschaubar und die
Gegenwart sanktionierbar wird. Diese Periodisierung wird
literarisch gestaltet durch die aus Daniel 2 und 7 bzw.

Apok 20 hergeleiteten Schemata der „Weltmonarchien"
und der „Weltwoche". In den beiden Hauptteilen seiner
Arbeit geht P. der exegetischen Tradition für diese beiden
Texte in Byzanz nach.

Im ersten Teil (4-76) wird anhand einer großen Fülle
sowohl edierter als auch unedierter Texte gezeigt, wie die
byzantinische Danielexegese in zunehmendem Maße
ideologisch bestimmt wurde. Während für den ältesten
christlichen Danielkommentar (Hippolytos von Rom) das
Römische Reich die vom Propheten vorausgesagte
„letztmögliche Steigerung der Gottfeindschaft" (10) verkörpert
, wird von den Späteren solche Romkritik nicht
nur ausgespart, sondern in positive Aussagen über Rom
umgewandelt. Das wird zuerst in besonderer Eindeutigkeit
bei Eusebios von Kaisareia offenbar, für den „in der
Sache das Römische Reich mit dem Reich Christi verschmolzen
" (12) ist. Eusebios interpretiert die Danielvisionen
also reichseschatologisch und begründet damit
eine exegetische Tradition in der byzantinischen Literatur.
Zu ihr gehört der Sache nach auch Hieronymos, der gegen
die „historisch-kritische Exegese des Pophyrios leidenschaftlich
die eschatologische Zielrichtung" (13) des
Danielbuches auf das Römische Reich hin herausstellt.
Anders erzielt Kosmas Indikopleustes den gleichen ge-
schichtstheologischen Effekt: Daniel habe zwar das
Römische Reich nicht im Blick gehabt, vielmehr gehörten
sowohl die von Daniel geschauten vier Großreiche als auch
die jüdische Gemeinde zur vergangenen Geschichte, aber
mit dem Römischen Reich beginne eine ganz neue Epoche
der Geschichte wegen dessen singulärer Beziehung zu
Christus. Der Danielkommentar des Antiocheners Theodoretos
von Kyrrhos mit seiner „fast pedantischen Wortexegese
" (23) bemüht sich dagegen wieder um den Aufweis
des prophetischen Charakters der Danieltexte, wobei
er die ausgezeichnete Rolle des Römerreiches, in welchem
die Ankunft Christi erfolgte und dessen Ende erst mit der
zweiten Parusie zu erwarten sei, hervorhebt. Theodorets
Danielexegese hat für Generationen byzantinischer
Schriftsteller exemplarische Bedeutung gehabt. Mit der
reichseschatologischen Auslegung verband sich in zahlreichen
Fällen eine „antijüdische Polemik" (Kosmas,
Chrysostomos, Theodoretos, Antijüdische Dialoge), in
welcher die Juden auf die aus der Messianität Christi sich
ergebenden historischen Konsequenzen festgelegt werden.

P. verfolgt die Auslegung des Danielstoffes durch die
verschiedenen Jahrhunderte und in den verschiedensten
Literaturgattungen bis hin zu den Chronographien und
der slawischen Übersetzungsliteratur. Die Aussagen in den
Quellen wiederholen sich dabei ständig. Niemand hatte es
später mehr gewagt, die „romkritisehe Haltung eines
Hippolytos" auch „auf Byzanz anzuwenden" (71). Was
P. von Manuel Holobolos sagt, kann beinahe für die gesamte
byzantinische Danielrezeption stehen: „Die Transzendenz
in der Ursprungseschatologie Daniels ist vollends
einer Rechtfertigung der bestehenden Machtstrukturen
gewichen" (51).

Die im zweiten Teil (77-103) behandelten Auslegungen
von Apok 20 erwiesen sich sowohl in quantitativer als
auch in qualitativer Hinsicht weniger ergiebig, was bei
dem gebrochenen Verhältnis der oströmischen Kirche zur
Apokalypse kaum überrascht. Der Millienarismus als
„revolutionäre Utopie" (102) hat in Byzanz kaum je
Rückhalt gehabt. Der für Byzanz klassische Kommentar
des Andreas von Kaisareia versteht die „tausend Jahre"
als die „neutestamentliche Heilszeit", die er freilich auch
„die Zeit der Kirche" - und das heißt natürlich auch des
byzantinischen Kaiserreichs - mitumfassen läßt (87).
Nicht die Erwartung ganz neuer, besserer Verhältnisse
findet die byzantinische Exegese in dem Apokalypsetext
angesprochen, „sondern Prolongation, Festigung und
Ausbau, kurz: Verewigung des schon Realisierten" (102).