Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1973

Spalte:

681-683

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Jesus von Nazareth 1973

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

681

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 9

682

Wie ein Anhang dazu wirken das 5. Kapitel über die
>Gott-ist-tot-Theologie' (122-133), deren Versuch, den
biblischen Christus durch den historischen Jesus zu ersetzen
, Marie mit Recht als Verzicht auf das eigentlich
Christliche durchschaut, und das 6. Kapitel über J.Molt-
niann („Adoration de l'avenir?"), das an dieser Stelle
seines Buches unterzubringen einigermaßen kühn, aber
letzten Endes doch wohl nicht unberechtigt ist (111-119).

Der zweite Teil von Maries Buch („Sous le regime des
figures" 123-177) befaßt sich mit dem Begriff der Geschichte
und der Aufgabe der Kirche, die primär als
communio, um ihrer Einheit und Universalität willen
dann aber auch als hierarchische Gesellschaft zu verstehen
sei. Durch ihre Sakramente bleibt die Kirche im
geschichtlichen Christusgeschehen verwurzelt, das die
Bibel ihr stets neu übermittelt und das im keineswegs zeitlosen
, sondern geschichtlichen, so aber zu aller Zeit wahren
Dogma der Kirche jederzeit neu ausgelegt wird.

Die von ihm als solche gut evangelisch erfaßte und beschriebene
Einzigartigkeit des Christentums bedarf, das
]st Maries Meinung, der Kirche als ihres Hüters und Dieners
. Die von den Tendenzen protestantischer Theologie
her drohende Preisgabe des Christlichen hängt insofern
ursächlich mit der Entleerung des protestantischen
Kirchenverständnisses zusammen. Diese Anfrage des
katholischen Theologen sollte die ganze Christenheit, um
die es ihm geht, hören; denn mit der singularite chre-
tienne gerät in der Tat das Christliche überhaupt in Verlust
. Erst dann, wenn man als evangelischer Christ der
neutestamentlichen Erkenntnis nicht widerspricht, daß
die Kirche zum Heilsgeschehen hin zugehört, darf man
zurückfragen, ob das unaufgebbar Christliche nicht nur
'loch scheinbar festgehalten wird, wenn es letztlich von
den rechtlichen Strukturen einer Kirche bewahrt wird.
Dann ist diese Frage freilich auch berechtigt und unerläßlich
, denn man kann nicht übersehen, daß Marie sich mit
evangelischen Theologen auseinandersetzt, um Tendenzen
innerhalb der katholischen Kirche zu begegnen.

Berlin Walter Schmithals

Schierse, Franz Joseph [Hrsg.]: Jesus von Nazareth. Mainz:
Matthias-Grünewald-Verlae [1972]. 284 8. 8° = Grünewald
-Materialbücher, 3. DM 24,—.

Der von dem Katholiken Franz Joseph Schierse herausgegebene
Sammelband „Jesus von Nazareth" gehört
2u den „Grünewald-Materialbüchern" und folgt dort auf
einen Band über „Gott" und einen anderen über „Glaube
-Unglaube". Das Buch vermittelt in seinem Hauptteil
m elf Aufsätzen verschiedener Autoren, kath. und ev.
Theologen, Philosophen und Schriftstellern, einen gedrängten
, aber durchaus instruktiven Überblick über die gegenwärtige
Diskussionslage zu dem Themenkreis Jesus von
Nazareth und möchte dadurch dem „Nachholebedarf an
wissenschaftlicher Jesusinformation" abhelfen (S.9). Es
ist dabei selbstverständlich, daß in solch einem Buch nicht
alle wesentlichen Aspekte gleichmäßig berücksichtigt
werden können; so verweist der Herausgeber im Vorwort
einschränkend darauf, „daß zentrale Themen der christlichen
Verkündigung wie die Heilsbedeutung des Kreuzestodes
oder die Auferstehung Jesu nur am Rande vermerkt
werden" (S.12).

Anita Röper berichtet auf Grund von Schülerbefra-
Ringen, die die verschiedenen Altersstufen zwischen 11 und
20 Jahren und die verschiedenen in der BRD vertretenen
Schultypen berücksichtigten, und auf Grund von Befragungen
Erwachsener verschiedener Altersstufen und
Bildungsgrade über „Jesus im Urteil und in der Meinung
heutiger Menschen" (S. 15-26). Die Ergebnisse sind naturgemäß
im einzelnen recht unterschiedlich, aber auffällig
ist, daß die meisten Befragten Jesus eine Bedeutung für
die Gesellschaft nicht zubilligen. Gustav Mensching stellt
„Jesus im Kreise der Religionsstifter" dar (S. 28-50) und
arbeitet jeweils sehr klar Ähnlichkeiten und Unterschiede
heraus. Durch den Aufsatz von Willehad Paul Eckert
„Jesus und das heutige Judentum" (S.52-68) bekommt
man einen anschaulichen Einblick in die intensive Beschäftigung
jüdischer Historiker und Schriftsteller mit
der Gestalt Jesu. Eckert zitiert eine Äußerung von Lapide
aus dem Jahre 1970: „In den letzten zehn Jahren hatten
nicht weniger als 23 neue hebräische Werke den Naza-
rener zum Gegenstand".

Werner Post berichtet, wie „Jesus in der Sicht des
modernen Atheismus, Humanismus und Marxismus"
(S. 73-95) erscheint, wobei unter „Marxismus" bzw. „Neo-
marxismus" ausschließlich der Revisionismus von Bloch,
Kolakowski usw. verstanden wird. Auffällig ist, daß über
die wirklich radikal ablehnende Kritik atheistischer Humanisten
, wie z.B. die des ehemaligen Theologen Joachim
Kahl, nicht berichtet wird. Mit solchem Übergehen machen
wir uns die Sache wohl doch zu leicht. Hans-Georg Link
würdigt „die Geschichte Jesu als Modell und Kritik
gegenwärtiger Protestbewegungen" (S. 97-107). Der eman-
zipatorischc Impuls, der von der Gestalt Jesu ausgeht,
wird deutlich herausgestellt, aber die Schlußthese, daß
„der spezifische Beitrag ... den die Christen heute mehr
denn je zu leisten haben: die Befreiung einer weithin inhumanen
Menschheit zur wahren Menschlichkeit im
Namen Jesu" sei, ist zu wenig gegen ein exklusiv-monopolistisches
Mißverständnis abgesichert. Die Information
von Paul Konrad Kurz „der zeitgenössische Jesus-Roman
" (S. 110-133) behandelt „Konventionelle Jesusdarstellungen
" (G. Papini, M.Brod, J.Dobraczvnski),
„Jesus als Essener und Widerstandskämpfer" (J.Lehmann
, F.Andermann), „Jesus als entnazarethisierte
Utopie" (G.Herburger) und „Jesus als Pop-Jesus und im
Underground" (Herburger u.a.).

Kennzeichnend für neuere Tendenzen der theologischen
Diskussion in der BRD ist es wohl, daß die Jesus-Thematik
im engeren Sinne ergänzt wird durch zwei ausgesprochen
christologische Beiträge, die zudem - ohne die
z. T. ausgezeichnete Qualität anderer Beiträge damit herabsetzen
zu wollen - einen unverkennbaren Höhepunkt
des Sammelbandes repräsentieren. Der Herausgeber,
F. J. Schierse, behandelt äußerst prägnant und instruktiv
das Thema „Christologie - Neutestamentliche Aspekte"
(S. 135-155), und der katholische Fundamentaltheologe
Peter Knauer versteht es in seinem Beitrag „Jesus als
Gegenstand kirchlicher Christologie" (S. 156-173) den altkirchlichen
Dogmen eine ganz erstaunliche Transparenz
und Aktualität abzugewinnen. Der an den Leser einige
Anforderungen stellende Aufsatz von Knauer wird durch
einen mehr religionspädagogisch orientierten Beitrag von
Günter Lange „Der dogmatische Jesus" (S. 166-173) ergänzt
. Dann folgt Jörg Dantscher mit einem knappen,
aber anregenden Durchblick „Jesus in der Frömmigkeitsgeschichte
der Kirche" (S. 174-184), der neben literarischen
Quellen auch die christliche Kunst als Grundlage
von Aussagen über die Frömmigkeit einer Zeit auswertet.
Wolfgang Trilling berichtet in vorbildlicher Konzentration
auf das Wesentliche und doch instruktiv und allgemeinverständlich
über „Geschichte und Ergebnisse der
historisch-kritischen Jesusforschimg" (S. 187-211) von
Reimarus bis Bultmann. Dieser Teil des Buches schließt
ab mit Erwägungen von Josef Nolte über „die Sache Jesu
und die Zukunft der Kirche. Gedanken zur Stellung von
Christologie und Ekklesiologie" (S.214-233).

Den meisten Beiträgen ist als Ergänzung der intendierten
„Information" eine kurze „Interpretation" aus
der Feder des Herausgebers beigegeben. Obwohl alle