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Ausgabe:

1973

Spalte:

628-630

Kategorie:

Kirchenrecht

Titel/Untertitel:

Kirchenrechtliche Gutachten in den Jahren 1946 - 1969 1973

Rezensent:

Ammer, Heinrich

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627

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 8

628

Tolk, Jochen: Predigtarbeit zwischen Text und Situation.

München: Kaiser 1972. 162 S. 8° = Beiträge zur evang.
Theologie, Theologische Abhandlungen, hrsg. v. E. Wolf,
62. DM 14,-.

Kann die Predigt biblisch fundiert und zugleich situations-
bezogen sein? Dieser Frage will T. in seiner Untersuchung
nachgehen. Befragt werden veröffentlichte Predigten von
Werner Jetter, Johann Tibbe, Ernst Lange und Hans Walter
Wolff. Ausgewählt sind vorwiegend Texte erzählenden Inhalts
mit Situationen, wie sie in unseren Alltagserlebnissen
nicht vorkommen: Jona im Bauch des Seetieres, Zachäus auf
dem Baum, Isaaks Opferung usw. Der Vf. prüft, wie die einzelnen
Prediger durch Verallgemeinerung oder durch bildhafte
Redeweise versuchen, die Textaussage für die Hörer
von heute zu aktualisieren. Anhand von Zitaten aus Kommentaren
werden dann Diskrepanzen zwischen exegetischen
Aussagen und Predigten festgestellt. Um solchen Diskrepanzen
aus dem Wege zu gehen, schlägt der Vf. vor, darauf zu
verzichten, in der Predigt von einer Bibelstelle auszugehen.
Das soll nicht nur für Texte erzählenden Inhalts gelten. T.
ist gegen alle Perikopenreihen. Die Textpredigt soll nicht
ganz abgeschafft werden. „Sie darf aber nicht weiterhin der
Normalfall sein" (S. 153), sondern sie wird weitgehend durch
folgende beide Gattungen ersetzt: Die eine Gattung ist die
Problem- oder Themenpredigt, die Überlegungen zur Diskussion
stellt, „statt mit fertigen Antworten aufzuwarten"
(S. 154). Als weitere Möglichkeit wird die „historische Textpredigt
genannt, die darauf verzichtet, den Text auf die Gegenwart
anzuwenden und weithin historisch-kritische Exegese
bietet (S. 154).

Die Begriffe der Situation und der Situationsbezogenheit
sind unscharf. T. nennt „Probleme, die mit unserer völlig
veränderten gesellschaftlichen und geistigen Situation zusammenhängen
" (S. 140), redet von Rücksicht auf Probleme,
die gerade virulent sind (S. 130), und meint damit offensichtlich
Dinge, die im Augenblick von Interesse sind (S. 132). In
anderen Zusammenhängen sieht T. die Fremdheit zwischen
dem Text und unserer Situation in materiellen Gegebenheiten
der Umwelt (Wüste - Großstadt, S. 46) oder gar in Unterschieden
der Waffentechnik (S. 47). Klischeehaft ist von
„unserer Situation" (S. 47; 54; 59; 125) und sogar von einer
„christlichen Normalsituation" (S. 71) die Rede. Die Tatsache
, daß die Teilnahme am Predigtgottesdienst, die mitgebrachten
Erwartungen und der Akt des Hörens auf das
verkündigte Wort die Situation mitprägen, bleibt unbeachtet
. Ob und wie Hörer tatsächlich Berichte aus einer anderen
Zeit und Umwelt integrieren und mit eigenen Erlebnisqualitäten
durchsetzen, hätte der Vf. durch Untersuchung der
Hörerresonanz feststellen können. Bedenklich ist vor allem
die Arbeitsmethode. T. vertritt eine These (S. 14) und demonstriert
Material, das nach seiner Meinung zu dieser These
paßt. Redewendungen, wie „die kritische Untersuchung soll
zeigen" (S. 19) oder „es soll nun gezeigt werden" (S. 92) sind
symptomatisch für die Methode. Die Schwäche der Argumente
, die T. ins Feld führt, wird gelegentlich durch starke
Worte kompensiert (S. 126f). Problematisch ist auch die Auswahl
des Materials: „Wir ziehen lediglich gedruckte Predigten
heran, weil sie allein eine Untersuchung ermöglichen,
deren Ergebnisse für jedermann nachprüfbar sind" (S. 15).
In der homiletischen Forschung arbeitet man dagegen seit
langem mit Tonbandaufnahmen, und die Situation des Gemeindegottesdienstes
ist eine andere als die beim kritischen
Lesen gedruckter Predigten. Der Vf. redet gelegentlich davon
, daß sich gewisse Aussagen „... mit der empirischen
Existenz der Glaubenden nicht vereinbaren lassen" (S. 81),
den empirischen Weg wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung
hat er in seiner Arbeit jedoch nicht gefunden.

Halle/Saale Ernst Lerle

KIRCHENRECHT

Smend, Rudolf: Kirchenrechtliche Gutachten in den Jahren
1946-1969, erstattet vom Kirchenrechtlichen Institut der
Evangelischen Kirche in Deutschland, Göttingen, unter Leitung
von R. Smend. München: Claudius Verlag 1972. 387 S.
gr. 8° = Jus Ecclesiasticum. Beiträge zum evang. Kirchenrecht
und zum Staatskirchenrecht, hrsg. v. A. v. Campenhausen
, M. Heckel, K. Obermayer, G.-A. Vischer, R.
Weeber, 14. Kart. DM 35,-.

Nachdem das im Jahre 1945 errichtete kirchenrechtliche
Institut 1969 von Göttingen nach München verlegt und damit
auch die Leitung aus den Händen des durch Jahrzehnte
hindurch verdienstvoll tätigen Leiters Rudolf Smend in die
jüngeren Hände von A. Frhr. v. Campenhausen und P. v.
Tiling übergegangen ist, haben die neuen Leiter eineAuswahl
der von Smend selbst oder unter seiner Leitung erstatteten
kirchenrechtlichen Gutachten der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht. Sie haben damit nicht nur die Arbeit eines verdienstvollen
Instituts der Ev. Kirche ans Licht der Öffentlichkeit
gehoben; denn nur ein Teil der Gutachten ist bereits
in der ebenfalls von R. Smend in Verbindung mit Christhardt
Mahrenholz und Ernst Wolf herausgegebenen Zeitschrift
für evangelisches Kirchenrecht veröffentlicht worden.
Sie haben zugleich durch diese Zusammenstellung geradezu
ein Schulbuch ersten Ranges für die praktische Handhabung
des Kirchenrechts bereitgestellt.

Es ist nicht möglich, die Fülle der in 64 Gutachten behandelten
Rechtsgegenstände in einer kurzen Rezension darzulegen
. Sie sind sehr übersichtlich in zwölf Hauptabschnitten
zusammengefaßt, reichen vom Verfassungs- und Organisationsrecht
über das Dienst- und Disziplinarrecht bis zum
Patronats-, Grundstücks-, Bau- und Stiftungsrecht der Kirche
und beziehen endlich auch das sog. Staatskirchenrecht ein.
Das Werk ist außerdem hilfreich durch ein fünf Seiten umfassendes
Sachregister ergänzt, das jederzeitiges Nachschlagen
nach Einzelproblemen ermöglicht.

Auf die Eigenart dieser Gutachten sei hingewiesen. Sie
gehen alle auf Anfragen kirchlicher Behörden oder Organe
zurück und knüpfen an konkret gestellte Probleme an. Die
Antwort erfolgt so, daß in einem weiten geschichtlichen
Überblick, der mindestens bis an das Ende des 18. Jh.s, häufig
aber weit darüber hinaus bis ins Mittelalter zurückreicht,
der rechtshistorische Stand des jeweiligen Problems aufgezeigt
, die maßgebliche Literatur dazu angeführt und besprochen
und endlich der Vorschlag einer Lösung unterbreitet
wird. Die Vf. legen dabei die inneren Zusammenhänge der
jeweiligen kirchenrechtlichen Regelungen dar, fragen hinter
dem Wortlaut nach der ratio legis zurück und fordern so
dazu auf, auch die heutigen Lösungen im Durchdenken der
grundsätzlichen Problematik zu suchen. Bei der klar hervortretenden
Beachtung der gesellschaftlichen Zusammenhänge,
in denen alles Kirchenrecht steht, wird dennoch nach der
Eigenart der rechtlichen Lösung im Rahmen der Kirche und
also ihrer theologischen Begründung gefragt. So wird die
Verschiedenartigkeit der möglichen Lösungen ebenso wie das
Festhalten an bestimmten, in der Eigenart der Kirche begründeten
Grundsätzen eines evangelischen Kirchenrechts
erkennbar.

Es wäre für den Rezensenten, der als Theologe in einer
kirchenleitenden Behörde Dienst tut, außerordentlich reizvoll
, auf einzelne Gutachten besonders einzugehen. Ihre
grundsätzliche Problematik ist auch heute noch manchmal
von einer geradezu brennenden Aktualität, wenn man etwa
an die „Versetzbarkeit des Pfarrers" und die Anwendung
der kirchlichen Gesetze über die „Versetzung im Interesse
des Dienstes" (159ff) oder an den „Rechtsweg gegen die Versetzung
eines Pfarrers in den Ruhestand" von Amtswegen
(169ff) oder an die Ausführungen über das Pfarrstellenbe-
setzungsrecht (122ff) denkt.