Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1973

Spalte:

625-626

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Cordes, Paul Josef

Titel/Untertitel:

Sendung zum Dienst 1973

Rezensent:

Winkler, Eberhard

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

625

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 8

626

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Cordes, Paul Josef: Sendung zum Dienst. Exegetisch-historische
und systematische Studien zum Konzilsdekret „Vom
Dienst und Leben der Priester". Frankfurt/M.: Knecht
1972. XIV, 365 S. gr. 8° = Frankfurter theologische Studien
, im Auftrag der Professoren der Philos.-theol. Hochschule
Sankt Georgen - Theologische Fakultät S. J., Frankfurt
am Main, hrsg. v. H. Bacht, F. Lentzen-Deis, O. Sem-
melroth, 9. Lw. DM 42,-.

In den Jahren 1963 bis 1970 stellten über 14000 katholische
Priester Laisierungsanträge. Noch größer ist die Zahl der
Priester, die ohne Laisierungsantrag ihren Dienst aufgaben.
Cordes möchte einen theologischen Beitrag zur Bewältigung
dieser Krise des Amtes leisten, indem er die im Konzilsdekret
„Prcsbyterorum ordinis" enthaltenen Beiträge zur Amtstheologie
analysiert. Zum besseren Verständnis der in sich
nicht ganz ausgeglichenen Dekretsaussagen zieht er jeweils
die Entstehungsgeschichte der Texte heran, in die über 2200
Verbesserungsvorschläge der Konzilsväter einflössen. Die
Geschichte der sieben Entwürfe (die auszugsweise neben
einigen Eingaben von Konzilsvätern im Anhang abgedruckt
sind) vermittelt ein lebendiges Bild davon, wie unterschiedlich
die Bischöfe in vielen Fragen des Amtsverständnisses
dachten. Zur Verdeutlichung des theologischen Hintergrundes
fügt Cordes viele exegetische und theologiegeschichtliche
Abhandlungen ein, die mitunter den Fluß der Darstellung
stören.

Die gründliche, sauber gearbeite Untersuchung gliedert
sich in fünf Teile. Im ersten Teil wird die Genese des Dekrets
anhand der Frage nach der Spiritualität der Priester und ihrer
Bedeutung für eine Erneuerung des geistlichen Lebens
der Christen erläutert. Dabei zeigt sich ein wichtiger Erkenntnisfortschritt
. Die ersten beiden Entwürfe gingen von
der traditionellen klerikalen Spiritualität aus und betrachteten
diese als Voraussetzung für den priesterlichen Dienst.
Später wurde erkannt, dar} dieser Dienst nicht als etwas zum
geistlichen Leben des Priesters Hinzutretendes zu verstehen
ist, sondern als Prinzip und Vollzug der Spiritualität.

Teil II beschreibt den theologischen Ort des Amtsträgers
innerhalb des priesterlichen Gottesvolkes, also das Verhältnis
von Amtspriestertum und allgemeinem Priestertum. Auch
hier ist ein bemerkenswerter Fortschritt zu erkennen. Während
die ersten Entwürfe eine „Mißachtung des Priester-
tums aller Christen" bekunden (36ff), kommt später zum
Ausdruck, daß der Amtsträger Glied des Volkes Gottes ist.
Dieser Ansatz stieß freilich auf Kritik, weil einige Väter darin
eine Luther nahekommende Minderung des Amtspriester-
tums erblickten. Cordes weist eine pauschale Ablehnung des
Amtsverständnisses Luthers zurück und meint, „daß sich
viele Aussagen Luthers ohne Mühe in die vom Konzil zu
unserem Thema angegebene Perspektive einordnen lassen"
(43). Luthers „Insistieren auf der Christozentrik allen Priesterseins
bleibt ein immer gültiger Prüfstein für den Versuch
, das Priesterliche des Ordinierten und Nicht-Ordinier-
ten zu fassen" (52). Cordes kritisiert deshalb die Versuche,
das Priestertum aller Christen zugunsten des Amtspriester-
tums zurückzudrängen und betont, „daß trotz aller möglichen
unterschiedlichen Verantwortung die in der Kirche versammelte
Gemeinschaft des Volkes Gottes alsganzezur
Sendung erwählt und verpflichtet wurde"
(65, Hervorhebung von mir). Leider kommt diese Erkenntnis
in den späteren Entwürfen und in der Endfassung kaum
zur Geltung. Der Sendungsauftrag für das ganze Volk Gottes
tritt hinter den der Amtsträger zurück oder verblaßt (91).
Offenbar wirkte die Furcht vor einer Nivellierung des Amts-
begriffs hemmend. Cordes teilt sie nicht, denn er meint, „daß
das gemeinsame Priestertum der Glaubenden die sakramentale
Bevollmächtigung zum Amt in der Kirche nur nachträglich
berührt" (110), so daß die Eigenständigkeit des Weihe-

priestertums durch das allgemeine Priestertum nicht tangiert
wird. Die lutherische Interpretation von 1 Petr 2,4-10 hält
Cordes durch das korporative Verständnis der Stelle für
überwunden. Angesichts der wichtigen Feststellung, daß
„die Gemeinsamkeit des Volkes Gottes grundlegender ist
als alle Differenzierung in ihm" (117) wird es freilich schwer,
die Berechtigung der hierarchischen Grundstruktur, an der
Cordes nicht rüttelt, zu verstehen.

Teil III umreißt die Aufgaben des Priesters mit Hilfe des
Schemas vom dreifachen Amt Christi. Cordes kritisiert an
den Dekretsentwürfen „einen von kultisch-sazerdotalem
Denken bestimmten Akzent" (136) und betont demgegenüber
den Auftrag der Wortverkündigung als den die verschiedenen
munera integrierenden Dienst. Das Spezifikunr
des Amtspriestertums bestehe allerdings nicht in einer dem
Priester vorbehaltenen Funktion. Vielmehr liegen die konstitutiven
Elemente des Presbyterdienstes, die Teil IV untersucht
, in der Legitimation und sakramentalen Bevollmächtigung
, also im Ordo. Die Ordination vermittelt „keine statisch
ruhende Qualität", „sondern der in ihr ergehende Sendungsauftrag
bedeutet für den Ordinierten eine dauernde Ausrichtung
auf den Dienst und die Verfügbarkeit" (228). Sie ist
gekennzeichnet „als eine durch Handauflegung erwirkte Zu-
rüstung mit dem Geiste Gottes" (233). Diese Zurüstung wird
als eine „Grundbefähigung" verstanden, die nicht annulliert
werden kann und die Berechtigung der absoluten Ordination
begründen soll. Cordes führt über den unreflektierten Ordo-
Begriff des Dekrets hinaus, indem er den Vorrang ontolo-
gischer Kategorien zugunsten funktionaler Aspekte modifiziert
, was besonders in den Überlegungen zum character
indelebilis deutlich wird. Auffällig ist eine Zurückhaltung
gegenüber empirischen Gesichtspunkten. Cordes wirft einseitig
juristischen und soziologischen Betrachtungsweisen nicht
ohne Grund Wirklichkeitsverkürzung vor, erliegt aber dabei
der Gefahr, das theologische Denken durch ungenügende
Berücksichtigung der Wirklichkeit zu verkürzen.

Dieser Mangel fällt besonders im V. Teil auf, der die
„Konkretisierung des Presbyterdienstes in der ekklesial-
sozialen Dimension" bringen soll. Dabei interessiert den Vf.
hauptsächlich die Frage nach dem Verhältnis der Presbyter
zum Bischof, die das Dekret mit Hilfe des Begriffs „commu-
nio hierarchioa" beantwortet, wobei der Akzent freilich auf
der Überordnung der Bischöfe liegt. Cordes kritisiert die
Rede vom Gegenwärtigmachen des Bischofs durch den Presbyter
und andere Anzeichen einer episkopalen Prävalenz.
Er meint, die Ableitung des presbyterialen Priestertums aus
dem Bischofsamt sei auf den rechtlichen Bereich zu begrenzen
. Diese Frage ist jedoch innerkatholisch kontrovers.

In einem kurzen Schluß weist Cordes darauf hin, daß die
nachkonziliare Entwicklung im Blick auf die Amtsproblematik
enttäuschend verlief, so daß die positiven Neuansätze
des Dekrets ihre Bedeutung behalten. Der eingangs erwähnten
Krise kann freilich eine theologische Interpretation des
Amtes, die weitgehend von den empirischen Problemen und
Tatsachen absieht, nicht wirksam genug begegnen. Ein so
wichtiges Krisensymptom wie die Zölibatsfrage sollte nicht
ausgeklammert werden. Die überwiegend historisch-kritische
Betrachtungsweise mag ein Grund dafür sein, daß die Wirklichkeit
der Gemeinde kaum in Erscheinung tritt und daß
wenig Verständnis für Strukturveränderungen, z. B. in der
Leitung der Diözesen, zu spüren ist. Demokratisierende Tendenzen
in der Kirche behandelt der Vf. kritischer als den
Paternalismus des Dekrets. Durch die Abneigung gegenüber
radikalen Thesen erhöhen sich vielleicht die Chancen des
Autors, in der weniger reformfreudig gewordenen Situation
der katholischen Kirche den positiven Impulsen des Dekrets
Gehör zu verschaffen. Auch für das interkonfessionelle und
innerprotestantische Gespräch über die Amtstheologie wird
das Buch hilfreich sein.

Holle Saale Eberhard Winkler