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Ausgabe:

1973

Spalte:

623-624

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Mödlhammer, Johann Werner

Titel/Untertitel:

Kirche und Welt bei Paul Tillich 1973

Rezensent:

Langer, Jens

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Seite 1

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623

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 8

624

te faßt, um wen es im Glauben geht" (144). Nur wenn der
Glaube seine Grenzen und damit „das Geheimnis als Gottes
souveränes Geheimnis" (130) respektiert, kann die Theologie
Theologie bleiben (171). In der Anmaßung dagegen, „Antwort
auf alle Fragen" bieten zu wollen, wird die Dogmatik
zur Gnosis (173), gerät in die Abhängigkeit von wechselnden
Analysen etwa anthropologischer (135) oder geschichts-
philosophischer (149, 161, 164) Art und in die Illusion, Gottes
Wege in der Geschichte zu begreifen, verliert sich in
weltanschauliche Fixierungen (eindrückliches Beispiel: eine
zu viel wissen wollende Israel-Theologie! 151) und verliert
damit ihre Freiheit. Daß gerade die Mißachtung der Grenze
durch Fixierung zum Freiheitsverlust führt, möge ein Zitat
aus B.s Aufsatz „Die Lokalisierung des Teufels" belegen:
„Keine Lokalisierung (nämlich des Bösen)!: weder in der
Tiefe noch in der Höhe, weder in der religiösen Sphäre noch
außerhalb ihrer, weder im Kapitalismus noch in der Demokratie
, weder im Kino noch in der Werkgerechtigkeit" (zit.
157) - denn wo einmal solche Fixierung stattgefunden hat,
ist nicht nur die Offenbarung in Regie genommen, sondern
auch die Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit ideologisch abgeblendet
.

Wie von diesen Voraussetzungen einer um ihrer Sachlichkeit
willen bescheidenen Theologie aus das (entspannte!)
Verhältnis von „Glaube und Wissenschaft" (Kap. 4) und von
„Theologie und Kultur" (Kap. 5) sich darstellt, kann hier
nicht mehr referiert werden. De Jong bietet insgesamt ein
geschlossenes Bild einer eindrücklichen Theologie, der man
über die holländischen Sprachgrenzen hinweg Gehör wünschen
möchte. Eine Bestimmung ihres theologiegeschichtlichen
Ortes wäre eine lohnende Aufgabe für eine weitere
Untersuchung. Daß de Jong diese Fragestellung nicht einbezogen
hat, tut seiner Leistung keinen Abbruch. Denn gerade
in der selbständigen Gestalt, als welche Berkouwers Theologie
in dieser sorgsamen Darstellung erscheint, imponiert
sie als eine selten gewordene Verbindung von Offenheit für
wechselnde Fragen und unbeirrtem Festhalten an der einen
Quelle aller christlichen Theologie.

Basel Hinrich Stoevesandt

Mödlhammer, Johann Werner: Kirche und Welt bei Paul
Tillich. Nachkonziliare Untersuchungen zum theologischen
Ansatz. Wien: Verlag Notring 1971. II, 255 S. 8ft = Dissertationen
der Universität Salzburg, 3. ö. S. 75.-.
Nachkonziliare Konzilianz bestimmt diese Arbeit. In seiner
ursprünglichen Form hat das mit Literaturverzeichnis
und Register ausgestattete Buch 1968 Ferdinand Holböck
und Ludger Bernhard OSB als Dissertation vorgelegen. Die
darin vertretene erwähnte charakteristische Position wurzelt
in breiter Kenntnisnahme des Untersuchungsgegenstandes
und in tiefer Verständnisbereitschaft für denselben. Ein
Buch also, in dem Ökumene nicht bloß wie auf durchschnittlichen
Theologenbegegnungen beschworen, sondern ganz
einfach gestaltet wird.

In der bei Tillich-Monographien nun schon üblichen Weise
werden eingangs Grundbegriffe Tillichs erläutert. Wenn man
von der klar entwickelten Abgrenzung Tillichs von der Gott-
ist-tot-Theologie absieht, konnte man sich im großen und
ganzen über die hier erörterten Probleme bereits bisher anderswo
nicht schlechter unterrichten. Belangvoll für die Tillichforschung
dagegen sind die Analysen zur Ekklesiologie.
Der dritte Band der „Systematischen Theologie" erschien in
deutscher Sprache gegen Ende der Tillich-M o d e (1966, englisch
1963). Das hat der Sache geschadet, die darin weitgehend
erörtert wird und die nun von anderen Moden überlagert
wurde, nämlich der Ekklesiologie. Bei dem schwach
entwickelten diesbezüglichen protestantischen Interesse und
dem mageren Angebot auf diesem Gebiet durch evangelische
Theologie ein bedauerlicher Tatbestand.

M. schildert ausführlich, wie Tillich Kirche als dynamische
Geistgemeinschaft versteht, deren Latenz und Manifestation
zwei unumgängliche Aspekte ein und derselben Sache unter
den Bedingungen von Raum und Zeit sind. Tillichs Bestreben,
Kirche als Gestalt der Gnade begreiflich zu machen, in
welcher Welt und Kirche kraft des Neuen Seins zur Einheit
finden können, wird nachhaltig unterstrichen. Von manchen
sonst gewohnten Problemen führt M. mit der Erörterung
der Gestaltfrage ins Zentrum Tillichschcr Theologie, wie es
seit einiger Zeit zu beobachten ist (vgl. K. Schedler, Natur
und Gnade, Stuttgart 1970; E. Amelung, die Gestalt der
Liebe, Gütersloh 1972).

„Eine Kirche ohne Welt ist nicht möglich", schreibt M.
(201) als Zusammenfassung seiner Einsicht aus dem Tillichstudium
, daß die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und
Welt die Frage nach dem Wesen der Kirche selber ist. Das
ist eine Feststellung, an deren Verwirklichung die Kirchen in
der DDR seit Jahren arbeiten. Nun hat M. nicht für uns geschrieben
, es kann und soll ihm kein Vorwurf gemacht werden
, wenn in der Beschreibung der Beziehung zur Welt unserer
Situation Gemäßes vermißt wird. Bei aller Vehemenz
der Formulierungen Tillichs und dem Verständnis M.s dafür
bleibt aber auf jeden Fall der Eindruck, daß es sich um jene
ontologisch schillernde „Welt" der Theologen handelt, die
in der Praxis doch etwas anders aussieht. Positiv formuliert:
Was M. etwa über die Wechselbeziehungen zwischen Kirche
und Gesellschaft bei Tillich selber formuliert oder zitiert,
gewinnt unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen notwendig
auch andere Konkretion. Wird dabei dann die Grenze
Tillichs deutlich, so ist die Aufgabe der sich mit ihm auseinandersetzenden
Theologie um so größer.

Neben der Ekklesiologie findet sich der zweite Schwerpunkt
in der Beschreibung von Tillichs Verhältnis zum Vaticanum
II. Auch das vollzieht sich vorwiegend ekklesiolo-
gisch, und zwar anhand der Pastoralkonstitution über die
Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes". Das Vaticanum
II ist laut M. der Richtung nach Tillich in der Bestimmung
des Verhältnisses von Kirche und Welt gefolgt.
Die Korrelationsmethodc - bewußt oder unbewußt von ihm
übernommen - stand Pate bei methodischen Fragen zwecks
Abfassung der Pastoralkonstitution. Tillichs Vision eines
- bei ihm nicht konfessionell römischen - kommenden Katholizismus
wird unter Absicherung vor innerkatholischen
Mißverständnissen mit Bezug auf die Konstitution als ihr
inhärent erläutert. Nach Meinung des Verfassers steht Tillich
eben mancher Aussage des Vaticanums II insgesamt sehr
nahe; diese Feststellung gilt trotz eines „Unbehagens über
die zu vage christologische Verankerung der Geistgemeinschaft
bei Tillich" (238).

Dieses alles spricht ein Katholik aus, bei dem klar ist, wo
er seine theologische Heimat sieht. Er versteht aber zugleich
Tillich so gut, daß er nicht mehr bei dem bisweilen geradezu
stereotyp „katholischen" Vorwurf des Subjektivismus
gegenüber Tillich stehenbleiben kann. Alle Urteile sind in
Für und Wider mit großem Verständnis für Tillichs Theologie
sorgfältig differenziert. Im Wissen um die objektive
Grundlage des protestantischen Prinzips integriert er Tillich
behutsam.

Durch dieses Buch wird bestätigt, daß Tillichs Theologie
einerseits gewiß kritisch in ihrem Zeit- und Gesellschaftsbezug
gesehen werden muß, andererseits aber gerade nicht unter
kriterienloser Weise aus Mode leidet, sondern durch ihren
Anfang beim Zentrum Kraft besitzt, die Tradition der Kirche
als überliefernswert zu formulieren.

Rostock Jens Langer