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Ausgabe:

1973

Spalte:

601-602

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Horst, Irvin B.

Titel/Untertitel:

The radical brethren 1973

Rezensent:

Mecenseffy, Grete

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Seite 1

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'601

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 8

602

sten des Lullus verfaßten Kataloge im Druck erschienen (18).
Denn die „Apologia Lullianae doctrinae...", die der Vf.
unter die „Elenchi pro Raimundo Lullo" aufgenommen hat,
Wieb „bis heute ungedruckt" (3. 161), während von den Antilullisten
zwei gedruckt wurden, die der Vf. vielleicht nicht
als rechte Elenchi ansieht (7. 15. 161). Seite 73, Anm. 6 muß
1903 in 1503 korrigiert werden. Unklar bleibt, inwiefern Nikolaus
von Kues Lullus näherstand als Eymericus (142),
denn zeitlich und räumlich war jener weiter von Lullus entfernt
als dieser; sollte die Aussage aber im übertragenen
Sinne gemeint sein, müßte das Prädikat zusammengeschrieben
werden. Daß die Aussagen der Antilullisten in bezug auf
die tatsächliche Lehre des Lullus wertlos sind, auch wenn sie
in der Beurteilung des Lullus bis in die Gegenwart nachwirken
, hat der Vf. bekräftigt, aber er hat zu wenig die historische
Betrachtungsweise, die er bei den Antilullisten in
bezug auf Lullus vermißt, auf die Antilullisten selbst angewandt
. Es wird zwar auf die Bedeutung der Verhältnisse auf
Mallorca für die Veröffentlichungen für Lullus hingewiesen,
auf den Einfluß der Ordenszugehörigkeit aufmerksam gemacht
(18f) und die Befangenheit des Eymericus herausgearbeitet
, aber es wird nicht deutlich, warum Eymericus überhaupt
gegen Lullus und seine Anhänger auftrat und der
Streit über Lullus sich im 16. Jh. erneuerte.

Die vorliegende Habilitationsschrift gehört in die nicht
mehr kleine Zahl der Arbeiten, die dem Verzeichnen von
mittelalterlichen Personen und Lehren, die außerhalb des
Thomismus standen, entgegentreten, nachdem ihre Darstellung
und Beurteilung thomistischen Anschauungen unterworfen
worden waren. Der Vf. spricht von einem „verhängnisvollen
Mangel an historischem Verständnis", vorthomi-
stische oder außerthomistische Theologen mit den Maßstäben
des Thomismus bewältigen zu wollen, was zwangsweise
scheitern müsse (145). Diese Feststellung kann nur kräftig
unterstrichen und verallgemeinert werden, daß die Beschäftigung
mit Theologen anderer Zeiten, Konfessionen oder
Schulen erst Erfolg verspricht, wenn ihr geschichtlicher Ort
und ihr geschichtliches Wollen ernst genommen und die
eigenen Vorstellungen zurückgestellt werden. Das muß selbst
für das Verständnis derer gelten, die sich gegen diesen
Grundsatz vergangen haben. Da die Forderung leichter aufgestellt
als befolgt ist, bedarf es solcher Arbeiten, die diese
Aufgabe ins Bewußtsein rufen.

Leipzig Helmar Junghans

KIRCHENGESCHICHTE:*
REFORMATIONSZEIT

Horst, Irvin Buckwalter: The Radical Brethren. Anabaptism
and the English Reformation to 1558. Nieuwkoop: de
Graaf 1972. 211 S. gr. 8° = Bibliotheca Humanistica & Re-
formatorica, II. Lw. hfl. 65.-.

Betritt man, aus Süddeutschlands reicher Täuferübcrliefe-
rung kommend, anhand des vorliegenden Buches englischen
Boden, so scheint man in dürres Land zu kommen. Denn es
hat wohl seit der Lossagung Heinrichs VIII. vom Papsttum
einen englischen Disscnt verschiedener, auch täuferischer
Färbung gegeben, aber kein bodenständiges Täufertum.

Die Studie ist auf breitester Grundlage von Primär- und
Sekundärliteratur aufgebaut. Hauptsächlich wird englisches
Schrifttum angegeben, aber auch deutsches ist dem Verfasser,
wie die Anmerkungen zeigen, bekannt. Nur eine einzige Urkunde
ohne Datum wird im Anhang, S. 183, abgedruckt, die
von vier Personen berichtet, die wegen des Besitzes täuferischer
Bücher verhaftet worden waren. Die Namen deuten
auf die Regierungszeit Heinrichs VIII.

Was sich an täuferischem Geist in England regte, wurde
aus dem Ausland, besonders aus den Niederlanden oder aus
Münster in der Zeit nach dem Aufstand eingeführt. Diese
Täufer waren Gefolgsleute Melchior Hofmanns. Gegen sie
wandte sich eine Proklamation Heinrichs VIII. aus dem
Jahre 1535. Den Vertretern der „verabscheuungswürdigen
Ketzerei" wird die Todesstrafe angedroht. Es handelt sich um
anabaptistische und sakramentarische Ketzer, d. h. um solche
, die die katholische Abendmahlslehre ablehnten, die ja
für Heinrich VIII., den „defensor fidei", sehr wichtig war.
Etliche 20 der niederländischen Täufer wurden im Mai verhaftet
und 13 von ihnen an verschiedenen Orten Englands
verbrannt (S. 60f).

Aus diesem Mandat des Königs schließt der Verfasser auf
eine große Menge englischer Täufer; Namen, Versammlungsorte
, Taufen sind unbekannt.

Als Beweis eines zweiten Höhepunktes täuferischer Aktivität
führt der Verfasser den Brief an, den der hessische Täufer
Peter Tasch - möglicherweise im Jahre 1538 - an Jörg
Schnabel und andere Mitgefangene schrieb, der uns aus hessischen
Täuferakten bekannt ist (Urkundliche Quellen zur
Hossischen Reformationsgeschichte IV, hrsg. v. Günther
Franz, 1951, S. 158-161).

Darin heißt es: „In England geht die Wahrheit kräftig
in der Stille fort, der Herr weiß, wie lang." Dieses Zitat ist
bei Horst erweitert wiedergegeben (S. 81f). Dieser Brief hatte
ein Schreiben des Landgrafen Philipps von Hessen und des
Kurfürsten Johann Friedrichs von Sachsen (S. 83f) zur Folge
und ist vielleicht mit die Ursache zur Einsetzung einer königlichen
Kommission zur Aufspürung der Täufer. Ein zweites
Mandat Heinrichs VIII. verwies die Täufer des Landes;
einige Holländer wurden hingerichtet. Das Fazit der Hinrichtungen
von Täufern unter Heinrich VIII. waren 21, darunter
vielleicht ein oder zwei Engländer.

Während der vormundschaftlichen Regierung für Eduard
VI. kam es praktisch zu keiner Täuferverfolgung. Entweder
waren es zu wenige oder sie wurden geduldet. Der Aufstand
der Bauern unter Robert Ket wurde nicht als religiöse Bewegung
gewertet wie einst die Lollarden. Wohl aber gab es
Nonkonformisten, und einige Männer mußten sich 1549 vor
Erzbischof Cranmer verantworten. Die Frau, Joan Bocher,
die dem Anabaptismus nicht abschwören wollte, wurde am
2. Juni 1550 verbrannt (S. 109). Robert Cooche hatte sich gegen
die Verbrennung Servets in Genf ausgesprochen (S. 115) j
Henry Hart hatte anabaptistische und pelagianische Ansichten
vertreten (S. 122ff); ein anderer Nonkonformist, George
van Parris, wurde 1551 in Smiethfield enthauptet. Die geringe
Zahl von Angeklagten macht die Behauptung des Verfassers
, daß es in London, Kent und Essex eine starke Täuferbewegung
gegeben habe, kaum glaublich.

Mit der Thronbesteigung der Königin Mary ändert sich
das Bild. Als Gemahlin Philipps II. war sie entschlossen,
jede Ketzerei blutig zu unterdrücken. Es kam zu Massenhinrichtungen
(S. 155). Alle Nonkonformisten lehnten die Rückkehr
in die katholische Kirche ab. Wie viele Täufer mochten
unter ihnen gewesen sein? Hauptquelle dafür ist das sog.
Märtyrerbuch des John Foxe. Zwei Separatistenführer aus
Essex und Kent wurden hingerichtet, sie galten als Täufer,
Humphrey Middleson und Cuthbert Sympson (S. 157)!

Der Verfasser kommt zu dem Schluß, daß das Täufertum
in England als eine Strömung des Laien-Nonkonformismus
erscheint. Er muß zugeben, daß das englische Täufertum weder
separatistisch war noch die Wiedertaufe zur Bedingung
der Zugehörigkeit zur Gruppe machte (S. 179). Vergleichen
wir diese Kennzeichen mit dem Täufertum auf dem Kontinent
, so müssen wir fragen, ob man überhaupt von einem
englischen Täufertum sprechen kann. Ich glaube, daß diese
Frage verneint werden muß.

Wien Grete Mecenseffy