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Ausgabe:

1973

Spalte:

600-601

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Madre, Alois

Titel/Untertitel:

Die theologische Polemik gegen Raimundus Lullus 1973

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 8

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seiner Ausführungen wie auch wertvolle Beilagen, die u. a.
Le Myesiers Introductio in artem Remundi (S. 408-431) und
drei typische Texte aus dem Schlußteil des Electorium in
kritischer Ausgabe bringen (S. 432-445). Diese folgt der Pariser
Handschrift. Die Epitome electorii, die den Plan des
Werkes skizziert und seine Intention bloßlegt, und von der
nur eine Abschrift in der Vatikanischen Bibliothek bekannt
ist, wurde nach dieser ediert (S. 398-407). Für das Brevi-
culum stand dem Vf. das Karlsruher Manuskript zur Verfügung
. Dessen Struktur, Inhalt und Bildausstattung untersuchen
zwei weitere Appendices (S. 446-467), die aus dem
Werk auch reichlich zitieren.

Vf. ist besonders bestrebt, das Anliegen der Kompilationen
Le Myesiers herauszuarbeiten. Sie verfolgen das Ziel
einer enzyklopädisch umsichtigen Einführung in den novus
modus probandi der Lullschen Ars. Deren Entfaltung müßte
notwendigerweise die gottbezogene Verehrung, Erkenntnis
und Liebe vermehren, und zwar nicht nur innerhalb der
Christenheit, sondern auch und besonders bei Anhängern
anderer Religionen. Le Myesier bewundert bewegt den
missionarischen Eifer Lulls, auch wenn er sich selber als
Schüler Heinrichs von Ghent erweist, dessen Gedanken er
mit denen von Lull zusammenstellt. Der Bewährung der
Lullschen nova ars werden im Electorium als Vorstufen logistische
Handbücher anderer Autoren dienstbar gemacht.
So die Introductio in logicalibus für Anfänger, die Psychologie
des Jean de la Rochelle, die Abbreviatio der aristotelischen
Physik von Jean Quidort mit dem entsprechenden
Kommentar des Averroes, das De principiis naturae des
William von Rothwell, die Metaphysik des Gonzalvus His-
panus und die Errores philosophorum des Aegidius Romanus
, alles Hilfsbücher, die im pädagogischen Betrieb der Pariser
Artistenfakultät üblich waren. In der eigentlichen Introductio
ad artem Remundi, die die Organisation des Wissens
von den neun aristotelischen Kategorialfragen abhängig
macht, konzentriert Le Myesier die Lullsche Lehre von
den korrelativen Prinzipien (forma, materia, actus) im
Menschgewordenem.

Vf. weist nach, wie sehr Lull wie auch Le Myesier im Sinne
der Pariser Verurteilung averroistischer Sätze im J. 1277
der These von der doppelten Wahrheit standhalten wollten
und ihr die concordia von Theologie und Philosophie gegenüberstellten
. Mit M. van Steenberghen ist er dabei der
Meinung, dafj Lulls antiaverroistische Äußerungen sich gegen
Jean de Jandun gerichtet hätten. Da nun im Pariser
Katalog von 1311 die von Otto Reicher 1909 publizierte
Declaratio Raymundi als Liber contra errores Boetii et Sigerii
betitelt erscheint (S. 338), wäre m. E. in erster Linie an Boe-
tius de Dacia zu denken. In seinem nach 1272 entstandenem
De mundi aeternitate (ed. Geza Sajö, Budapest 1954) findet
man ja unzweideutig die Lehre von der doppelten Wahrheit
breit entfaltet. Somit kämpfen weder Lull noch Le Myesier
gegen eine nur vermutete „reduction ä l'absurde" von philosophischen
Thesen, wie die Forschung lange angenommen
hatte. Daß die vom Vf. in dieser Frage angedeuteten Bedenken
(S. 253) berechtigt sind, können wir bekräftigen auch
durch den Hinweis auf die sehr unwahrscheinliche Anspielung
Le Myesiers an Boetius in der Pars septima magna des
Electorium (S. 433). Er schreibt von Christen, die da behaupten
, dafj christliche Glaubenssätze nicht beweisbar wären
secundum modum intelligendi naturalem, allein aber secun-
dum modum credendi. Nach Boetius (o. c. S. 102) spricht
zwar der Christ wahre Glaubenssätze aus, deren Inhalt jedoch
, von natürlichen Prinzipien her gesehen, kann bestritten
werden: veritatem etiam dicit, qui dicit hoc non esse
possibile ex causis et principiis naturalibus.

Nur als Epilog bezeichnet der Vf. bescheiden das faszinierende
letzte Kapitel, in dem er den Einfluß Le Myesiers
auf das Weiterleben des Lullismus belegt. Dieser Einfluß erstreckt
sich über Heimeric van de Velde auf den Kusaner,
Ramon Sibiuda, Pier Leoni in Florenz, Faber Stapulensis

und Bernhard de Lavinheta. Mit dem letzteren beginnt eine
Renaissance des Lullismus, die dann im Österreicher Ivo
Salzinger (f 1728) und seiner Mainzer Ausgabe der Lullschen
Schriften ihr Ende findet. Es bleibt noch viel Raum für Untersuchungen
über Geschicke und Modifikationen des Lullismus
während des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, und speziell
bei Männern wie Aisted, Mersenne, Comenius oder Leibniz.
Die große Leistung Hillgarths führt die Forschung auch in
dieser Hinsicht einen guten Schritt weiter.

Prag Amedeo Molnör

Madre, Alois: Die theologische Polemik gegen Raimundus
Lullus. Eine Untersuchung zu den Elenchi Auctorum de
Raimundo Male Sentientium. Münster/W.: Aschendorff
[1973). VIII, 176 S. gr. 8° = Beiträge zur Geschichte der
Philosophie und Theologie des Mittelalters. Texte und
Untersuchungen, hrsg. v. L. Hödl u. W. Kluxen, N. F. 11.
Kart. DM 36,-.

Diese Freiburger theologische Habilitationsschrift stellt
die Geschichte der Lullus feindlichen Beurteilung dar. Diese
ließe sich in Anlehnung an den Titel des Lutherbuches von
Adolf Herte mit „Das Lullusbild im Banne der Irrtumsliste
des Nicolaus Eymericus" überschreiben. 1376 stellte diese
Liste der Dominikaner Eymericus zusammen, der als Inquisitor
auch für Mallorca zuständig war. Dort war die Heimat
von Lullus, der sich von 1263 bis zu seinem Tode 1315 16
der Mission unter den Muslims und Juden widmete. Um die
Muslims in ihrer Vorstellungswelt ansprechen zu können,
studierte er die arabische Philosophie und nahm in seine
Theologie Ausdrucksweisen auf, die aus ihrem Missionszusammenhang
gelöst unverständlich oder gar mißverständlich
waren. Daher richtete Johannes Gerson seine Kritik besonders
„gegen das Neue und Ungewohnte in der Terminologie
" (83).

Neu entfacht wurde der Streit um Lullus, als Franciscus
Pefia 1578 die Irrtumsliste des Eymericus herausgab. Die
Lullisten stellten „Elenchi" zusammen, in denen sie positive
Aussagen über Lullus sammelten. Diese Gattung übernahmen
ihre Gegner, die in elf Elenchi 183 Lullusgegncr zusammenbrachten
. Ihnen wendet sich die Untersuchung zu. Sie
werden im einzelnen aufgeführt, wobei ihre wichtigsten Lebensdaten
geboten, Werke genannt und die Stellen angegeben
werden, an denen sie sich gegen Lullus geäußert haben.
Selbst die einzelnen Vorwürfe werden verzeichnet (20-70).
Dieser Bestandsaufnahme folgt der Nachweis, daß die Anti-
lullisten von sechs Theologen abgeschrieben haben, von denen
außer Eymericus, dem die zentrale Stelle zukommt, nur
drei Lullus selbst gelesen haben (71-87). Danach werden die
Hauptvorwürfe gegen Lullus behandelt: Gott habe mehrere
Naturen, es bestehe keine göttliche Wirkeinheit, die Glaubensgeheimnisse
und damit auch die Trinität seien beweisbar
, der Vater habe vor dem Sohn Priorität, der Heilige Geist
sei gezeugt, die Inkarnation sei notwendig gewesen (88 bis
140). Der Vf. führt in jeder Frage bis an den Stand der Lul-
lusforschung heran, woraus sich ergibt, daß Eymericus bei
manchen Vorwürfen eine Frage des Lullus in eine Behauptung
verwandelt oder den Gedankenzusammenhang nicht
beachtet hat. Als Grund für sein Verhalten gibt der Vf. drei
Vorentscheidungen an: Eymericus war als Dogmatiker emotional
gegen „zweifelhafte theologische Aussagen" voreingenommen
. Er hatte doktrinell feste Vorstellungen, die ihm
das Verständnis anderer erschwerten, und es fehlte ihm an
historischem Einfühlungsvermögen.

Als Anhang sind von Eymericus die „Lulli errores", „Opus-
cula XX Raymundi Lulli prohibita" und „Die 12 Irrtümer der
Lullisten" beigegeben (147-159). Ein Sach- und Personenregister
erschließen den Stoff.

Der Vf. behauptet ein wenig zu ausschließlich, daß alle
echten Antilullisten ungedruckt blieben, während alle zugun-