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Ausgabe:

1973

Spalte:

589-592

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Rückert, Hanns

Titel/Untertitel:

Vorträge und Aufsätze zur historischen Theologie 1973

Rezensent:

Schäfer, Rolf

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589

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 8

590

läßt jedoch diese Frage offen. Den Vergleich der Eschatologie
der synoptischen Gleichnisse mit der Naherwartung der
Qumrantexte (Kap. 8) schließt er mit der Feststellung ab,
daß es da wenig Gemeinsamkeiten gibt.

Umsichtig verfährt er auch bei der eigenen Auslegung.
Auf der einen Seite kommt er zu dem Ergebnis, daß der
Grundbestand der synoptischen Gleichnisse authentisch ist.
Auch z. B. das Gleichnis von den bösen Winzern (M.: Vermieteter
Weinberg - Mk 12,1-11 parr.) hält er im Grunde
für vorösterlich. Es sei eine Warnung an die Repräsentanten
Israels, eine Warnung die im Grunde eine Verheißung für
-die Anderen" (ALLOI - V. 9), d. h. für die armen und verstoßenen
Hörer Jesu rechtfertigt. Sie ererben den Weinberg,
sie dürfen das neue Volk Gottes werden (S. 49f). Die allegorische
Deutung ist mit mehreren Schwierigkeiten verbunden
und deshalb erweist sie sich als sekundär. Auf der anderen
Seite ist M. bei der Rekonstruktion der ältesten Form
vorsichtiger als z. B. J. Jeremias, und oft hält er es für z. Z.
unmöglich, hinter die erhaltene literarische Form des Gleichnisses
zurückzugehen. So legt er z. B. das Gleichnis vom
Weltgericht (Mt 25,31-46) als Gleichnis über die Völker
(ETHNE V. 32) aus dem Zusammenhang der matthäischen
Theologie (vgl. Mt 28,19) aus. Die Fremden (XENOI V 35.38.
43f) und die Geringsten (ELACHI STOI V. 40.45 vgl. Mt
10,42) sind danach die christlichen Missionare (vgl. 3. Joh).

In dem verläßlichen Literaturverzeichnis finden wir schon
die „Gleichnisse der Evangelien" von G. Eichholz (1971), es
fehlen nur .Die Gleichnisse Jesu" von D. O. Via (deutsch
1970, englisch 1967).

Der tschechische Text der Gleichnisse ist der tschechischen
interkonfessionellen Einheitsübersetzung der Evangelien
entnommen, die dieses Jahr erscheinen soll.

M. hat ein Werk geleistet, das in der tschechischen Ökumene
lange Zeit seine Bedeutung behalten wird.

Prag Petr Pokorny

KIRCHENGESCHICHTE:
ALLGEMEINES

Rückert, Hanns? Vorträge und Aufsätze zur historischen
Theologie. Tübingen: Mohr 1972. XII, 439 S. gr. 8". DM

45,-; Lw. DM 52,-.

Der Aufsatzband des Tübinger Kirchenhistorikers stellt
unter den vielen Veröffentlichungen dieser Gattung, die oft
nur ephemeres Interesse erregen, einen Sonderfall dar: in
ihm spiegelt sich eine Lebensarbeit. Sie spiegelt sich aber
in einer ungemein konzentrierten Weise. Nicht nur, daß der
Leser in Bann geschlagen wird von der Kunst der Darstellung
, bei der jeder Satz und jedes Wort an der richtigen
Stelle steht. Vielmehr eröffnet jeder der abgedruckten Vorträge
oder Aufsätze ungeachtet des geringen Umfangs den
Blick in die unendlich vielfältige Welt der Geschichte, den
niemand tut, ohne bereichert und erfreut in die Gegenwart
zurückzukehren. Rückert hat die Gabe, diesen Reichtum der
Geschichte für die Besinnung auf den künftigen Weg des
Christentums zu erschließen und die Freude am Vergangenen
auch beim geschichtsverdrossenen Zeitgenossen zu wecken.

Rückert hat aus seinen kleinen Schriften der Jahre 1926
bis 1972 27 teils längere teils kurze Arbeiten ausgewählt.
Darunter befinden sich fünf Vorträge, die bisher noch nicht
gedruckt waren (Die Scholastik, Philipp Melanchthon; Johannes
Brenz, Die Eigenart der Großen Württembergischen
Kirchenordnung von 1559, Die Rechtfertigungslehre als kontroverstheologisches
Problem), und eine Vorlesung, die nur
in schwedischer Sprache vorlag (Luthers Anschauung von
der Verborgenheit Gottes).

Den Themen nach heben sich einige größere Komplexe
heraus, denen Rückerts Arbeit als Forscher und Lehrer vornehmlich
gilt.

Die erste Gruppe von Aufsätzen befaßt sich mit dem Mittelalter
. Die kurze, aber gewichtige Arbeit über die Christianisierung
der Germanen scheint zunächst ein wenig für sich
zu stehen. Indessen wird auch sie in die übergreifende Fragestellung
einbezogen: ob das Mittelalter allein der katholischen
Kirche gehört, und ob der Protestantismus gut daran
tut, seine Tradition mit der Reformation Luthers beginnen
zu lassen. Rückert weist darauf hin, daß gerade Luther sich
als Erbe der ihm voraufgegangenen Jahrhunderte fühlt. »Es
gibt eine positive reformatorische, eine evangelische Deutung
der mittelalterlichen Epoche der Kirchengeschichte, die
ebensoviel Berechtigung hat wie die katholische; denn in
dieser mittelalterlichen Epoche liegt als eine ungeschiedene
Einheit von Möglichkeiten noch beides drin, was nachher
in den beiden Konfessionskirchen auseinandergetreten ist"
(Das evangelische Geschichtsbewußtsein und das Mittelalter).

Eine zweite Gruppe gilt Luther und der Reformation
(darunter: Die geistesgeschichtliche Einordnung der Reformation
; Die Stellung der Reformation zur mittelalterlichen
Universität; Luther und der Reichstag zu Augsburg; Volkskirche
und Bekenntniskirche bei Calvin). Ein Teil dieser Arbeiten
ist im Stil der Zusammenfassungen geschrieben, wobei
man beim Vf. sicher ist, daß dahinter ein weitläufiges
Quellen- und Literaturstudium steht. Man kann sich nicht
nur darauf verlassen, daß die Tatsachen stimmen, sondern
auch darauf, daß die Gewichte richtig ausgewogen sind. Die
Meisterschaft der Darstellung zeigt sich insbesondere darin,
daß in wenigen Strichen verwickelte Tatbestände übersichtlich
ausgebreitet werden. Wenn Luthers Anschauung von
der Verborgenheit Gottes gezeichnet wird, dann erwächst
vor dem Leser aus den Bausteinen der scheinbar widersprüchlichen
Gedanken des Reformators ein schlüssiges
Bild vom Kern des Lutherschen Gotteserlebnisses, an den
sich Stück für Stück die weiteren Elemente anlagern. Aber
auch das umgekehrte - wenn man will: induktive - Verfahren
ist vertreten. Es ist von hohem Reiz, an der Interpretation
teilzunehmen, die Rückert drei Stellen aus Lutherbriefen
widmet (Luther und der Reichstag zu Augsburg). Es
sind Musterbeispiele, aus denen man lernen kann, daß »Interpretation
" etwas anderes ist als ein Zurechtkneten des
Textes. Die eigene Würde der Geschichte wird gerade darin
geehrt, daß man sie sagen läßt, was sie selbst sagt. Zugleich
wird aber anschaulich, daß wenige Sätze in große Zusammenhänge
führen, ja, daß ungesucht die Gegenwart angeredet
wird. Ohne daß etwas in die Geschichte eingetragen
wird, ist der Leser bei den theologischen und kirchlichen
Kämpfen der Gegenwart, und zwar so, daß die Geschichte
zur Klarheit führt.

Wer von den beiden bisher besprochenen Schriftengruppen
zu der dritten weitergeht, mag zunächst verwundert sein,
daß sich das Blickfeld nun auf die Württembergische Kirchengeschichte
einengt (Johannes Brenz; Die Bedeutung der
Württembergischen Reformation für den Gang der deutschen
Reformationsgeschichte; Die Eigenart der großen Württembergischen
Kirchenordnung von 1559). Territorialkirchengeschichte
gilt als Rückzug vom großen Geschehen in die
Idylle. Dieser Irrtum ist schnell zerstreut. Rückert, der in
Tübingen dieses Forschungsgebiet wie vor ihm schon Karl
Müller pflegt, vermag darzutun, wie stark das große und
das räumlich begrenzte Geschehen miteinander in Wechselwirkung
stehen. Insbesondere der Vortrag über die Württembergische
Reformation gewinnt seine Spannung dadurch,
daß die Auswirkung eines relativ kleinen Vorgangs - die
Rückführung Herzog Ulrichs durch den Schmalkaldischcn
Bund - auf den Gang der Reformation im gesamten Deutschland
, und daß die europäische Verflechtung, die das Geschehen
erst verständlich macht, anschaulich vorgeführt werden.
Dabei fällt die Atmosphäre der Selbstbeweihräucherung, die
sonst gelegentlich bei diesem Forschungsgenus entsteht, der
strengen Wahrhaftigkeit zum Opfer. So sehr der Festvortrag
beim Verein für Württembergische Kirchengeschichte den