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Ausgabe:

1973

Spalte:

579-581

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Knuth, Hans Christian

Titel/Untertitel:

Zur Auslegungsgeschichte von Psalm 6 1973

Rezensent:

Bardtke, Hans

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 8

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die Midraschim rabbinische Kommentare oder erbauliche
Betrachtungen zum Text sind, ist die Übersetzung des Textes
- wenigstens ursprünglich - die Aufgabe der Targumim.
Diesem Zweck dient auch die Erweiterung und Veränderung
des Textes durch erläuternde Glossen, durch Harmonisierung
und Aktualisierung (S. 23ff). Das wird im einzelnen an Beispielen
aus dem Targum Neofiti illustriert.

Das dritte Kapitel (S. 31-73) ist der Untersuchung der
Sprache der Targumim gewidmet, wobei zunächst die sprachlichen
Verhältnisse im jüdischen Palästina vor allem in Auseinandersetzung
mit K. Beyer (Althebräische Grammatik,
Göttingen 19Ö9) gründlich erörtert werden. Die sprachliche
Situation wird anhand der Qumran-Texte anschaulich dargestellt
. Festgestellt werden Einflüsse des biblischen Hebräisch
, des späten Hebräisch (z. B. der Pseudepigraphen), des
mischnaischen Hebräisch und des Aramäischen. Allgemein
bestätigt sich die Auffassung, daß sich das Hebräische in
Judäa gegenüber dem Aramäischen länger hält als im nördlichen
Palästina. Ausführlicher geht M. auf die Sprache der
Fragmente der Targumim zu Hiob und Leviticus aus Qum-
ran-Höhle 11 bzw. 4 sowie des Codex Neofiti ein. Es ergaben
sich Hinweise für ein höheres Alter des Neofiti-Aramäisch
im Vergleich zu den aramäischen Dokumenten von Qumrw.
Wie der Vf. im vierten Kapitel <S. 74-95) deutlich macht,
spricht viel für die Entstehung der Targumim in frühnach-
exilischer Zeit. Ihre Tradition geschieht zunächst in mündlicher
Form in einem nichtliterarischen Dialektaramäisch.
Dieser Überlieferungsprozeß währt bis zum Ausgang des
dritten Jh. v. Chr. Seine Auffassung belegt M. durch Interessante
Beobachtungen zum antiliterarischen Charakter des
Targums Neofiti. Erwogen wird auch die Möglichkeit der
Existenz eines promasoretischen Prototargums.

Das fünfte Kapitel (S. 95-108) befaßt sich mit der Bedeutung
der Targumim im Hinblick auf die Erforschung der alten
jüdischen Halakha und Haggada sowie der aramäischen
Sprache in Palästina zur Zeit Jesu. Eingegangen wird vor
allem auch auf ihre Bedeutung für die Exegese des Neuen
Testaments unter besonderer Berücksichtigung der Methoden
der Interpretation alttestamentlicher Texte im Neuen
Testament (S. 103ff). Auch diesem Kapitel ist ein Forschungsbericht
- von G. Dalman bis zur Gegenwart - vorangestellt.

Das an neuen Einsichten und Erwägungen reiche Buch
schließt mit einer kurzen Darstellung der Arbeiten der ,Es-
cuela de Barcelona a los estudios del Targum' ab. Angekündigt
werden im Rahmen der ,Biblia poliglota Matritense'
weitere Targum-Editionen, darunter eine Ausgabe des Targums
Onkelos in babylonischer supralineaer Vokalisation
auf der Grundlage von Manuskripten, die der Vf. in den
Bibliotheken des Vatikan und des Jüdischen Theologischen
Seminars in New York entdeckt hat.

Berlin Karl-Heinz Bernhardt

1 Introduction ä la litterature Targumique, Rom 1966.

2 The Targums and Rabbinic Literature, Cambridge 1969.

3 Targum and Testament, Shannon 1972.

Knuth, Hans Christian: Zur Auslegungsgeschichte von Psalm

6. Tübingen: Mohr 1971. XI, 430 S. gr. 8° = Beiträge zur
Geschichte der biblischen Exegese, hrsg. v. O. Cullmann,
N. A. Dahl, E. Käsemann, H.-J. Kraus, H. Riesenfeld, K.
H. SchelMe, E. Wolf, 11. DM 67,50; Lw. DM 74,-.
Die vorliegende Arbeit ist eine Züricher Doktordissertation
und ist entstanden auf Anregung von Prof. Ebeling, dessen
auslegungsgeschichtliche Methode in diesem Buch streng befolgt
wird, nämlich anhand eines Psalmentextes einen minutiösen
Vergleich der verschiedenen Ausleger aus den einzelnen
Zeitaltern durchzuführen, um jeweils die überlieferte
Auslegung neben dem Eigenen, das der Exeget in seiner
hermeneutischen Situation zu der Erklärung des Psalms beiträgt
, erkennen zu können. Auf diese Weise vermag ein zutreffendes
Bild von der Geschichte der Psalmenauslegung

überhaupt zu entstehen. Diese Methode, nur an einem einzigen
Beispiel den Gang der Auslegungskunst durch zwei
Jahrtausende und mehr zu begleiten, läßt zahlreichen Ballast
hinter sich und belastet die Darstellung nicht mit unnötigen
Einzelheiten aus vielerlei Psalmen. Freilich muß
der Auslegungsgeschichtler die Geschichte der Auslegungskunst
gedankenmäßig und literaturmäßig beherrschen und
muß geistes- und kirchengeschichtlich gleichmäßig versiert
sein, wofür der Autor des vorliegenden Bandes ein glänzendes
Beispiel bietet. Mit Recht betont er S. 7, dafj die komplizierten
Probleme der Auslegungsgeschichte aufs tiefste
mit den theologischen Sachproblemen verknüpft sind. Schön
formuliert der Autor, dafj Vergleich von Geschichte und Gegenwart
gegenseitiger Kritik, nicht gegenseitiger Rechtfertigung
diene (S. 2).

Der Autor beginnt seine Auslegungsgeschichte mit dem
Psalm selbst, seinem alttestamentlichen Autor und seinem
Verhältnis zu den babylonischen Vorbildern. Der Beter übernimmt
schon in frühester Zeit festgeprägte Formeln, so dafj
er in „typischen überindividuellen Metaphern von seiner
Anfechtung" sprechen kann (S. 17). Der Beter befindet sich
in der gleichen hermeneutischen Situation wie die Beter in
der heidnischen nichtisraelitischen Umwelt. Bei der Übernahme
der Psalmvorlage in Gestalt des individuellen Klageliedes
hat sich nichts geändert gegenüber dem Original. Hier
greift (S. 13) der Autor den 1945 gefallenen Joachim Beg-
rich scharf an wegen seiner dogmatischen Postulate und wegen
seiner Unlogik. Aber zur Verteidigung Begrichs mufj
darauf hingewiesen werden, daß seinerzeit in den dreißiger
Jahren seine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse als
evident galten und die wissenschaftliche Situation seiner
Zeit erheblich mitprägten. Es galt damals in der alttestamentlichen
Wissenschaft, zu zeigen, wie Israel die übernommenen
Stoffe in seinem religiösen Geist umgeprägt habe.
Man sollte auch nicht vergessen, daß während des Kirchenkampfes
in Sachsen Begrich in vorderster Linie stand und
auch an der Apologetik des Alten Testaments entscheidend
mitbeteiligt war. So will Joachim Begrich wohl auch aus seiner
wissenschaftsgeschichtlichen Situation verstanden werden
. Wenn wir nicht mehr mit allen seinen Ergebnissen arbeiten
können, so ist das durch den gegenwärtigen wissenschaftlichen
Status begründet. Unser Autor sieht jedenfalls
die hermeneutische Situation des Psalmendichters „letztlich
als die Ungewißheit" an (S. 18).

Im Neuen Testament findet eine Radikalisierung der her-
meneutischen Situation auf Jesus statt, indem die alttesta-
mentlich-kultische Situation durch die der Eschatologie ab^
gelöst wird.

Dann folgen in den anderen Kapiteln die Auslegung der
Alexandriner und der Antiochener, wobei der Autor immer
wieder treffende und einprägsame Formulierungen zu finden
weiß, so z. B. S. 46: „Asterius legt einen christlichen Text
aus, Origenes legt einen Text christlich aus." Solche Beispiele
lassen sich beliebig vermehren, sie verhelfen dem Leser,
rascher und besser den gebotenen Stoffreichtum zu erfassen
und auf das Wesentliche zu achten.

Augustin wird als eine große Zäsur in der Auslegungsgeschichte
bezeichnet, indem er als Autor des Textes die
ecclesia orans angibt. Im Gegensatz zu Augustin kommt
Hieronymus schlecht weg. Unser Autor meint, daß er nur
traditionelle Allegorien anhäufe, in den Angaben über den
Autor unpräzise bleibe und die Tradition nur eklektisch benutze
. Seine hermeneutische Situation erscheint kaum bestimmbar
.

Die mittelalterliche Auslegung bietet manche neuen Ansätze
; bei Bruno von Würzburg (S. 77) wird die Anregung
zum eigenen Beten aus diesem Psalm heraus berichtet, bei
Thomas von Aquin ist eine sehr tiefe Sündenauffassung in
der Auslegung vertreten, während Nicolaus von Lyra einen
menschlichen Autor, eine menschliche Situation und menschliche
Herzensregungen herausarbeitet (S. 115).