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Ausgabe:

1973

Spalte:

514-516

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Biblia Hebraica Stuttgartensia 1973

Rezensent:

Emerton, John Adney

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513

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 7

514

delt er den neutestamentlichen Gerechtigkeitsbegriff und
Luthers Zwei-Reiche-Lehre. Das alttestamentliche Gerechtigkeitsverständnis
unterstützt die neutestamentliche Erklärung
der Rechtfertigung als eines Weltgeschehens. Die Versuche
juristischer und apokalyptischer Verengung werden abgewiesen
. Theologische Konstruktion wirkt bei der Schlugfolgerung
des Vf.s mit, daß das Gegenüber von Gott, der
seine Ordnung durchsetzen will, und einem Volk, das ihr
widerstrebt, nur in der Selbstidentifikation Gottes mit der
Welt, also in der Inkarnation, seine Lösung finden kann
(HO). Die beiden Reiche Luthers institutionell zu trennen,
ist unbiblisch; sie werden (mit Berufung auf Ebeling) als
zwei „Aspekte der einen, ungeteilten Welt* (117) erklärt,
die sowohl gefallen als auch wiederhergestellt ist.

Gottes endgültiges Rechtfertigungshandeln geschieht in
Christus; eine legitime Interpretation des vorläufigen Recht-
fcrtigungshandelns nach dem Zeugnis des Alten Testaments
muß diesen Zielpunkt stets anvisieren. Die Mitte der
Rcchtfertigungslehre ist die Sinndeutung des Kreuzes Jesu,
das nicht in der Fluchtlinie des Alten Testaments steht;
der Kreuzestod kam für die Jünger völlig unerwartet. Das
Neue Testament deutet ihn mit Hilfe des Stellvcrtretungs-
denkens (als Übernahme der Schuld, Loskauf oder Opfer).
Die Stellvertretung aber ist wesentlich die Wiederherstellung
der „Gcrechtigkeits"-Ordnung. An dieser These werden
mehrere christologischc Entwürfe (bes. ausführlich der
Gogartens) gemessen. Auch die verschiedenen Deutungen
der Versöhnung (Machterweis, Rechtsakt) finden ihre Einheit
in der Zurückführung auf die gemeinsame Wurzel der göttlichen
Schöpfungs- und Gerechtigkeitsordnung.

In der „Einführung" seines Buches gibt der Vf. zu bedenken
, ob die 4. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes
in Helsinki (1963) mit dem Thema der Rechtfertigung
vielleicht deshalb gescheitert ist, weil das Alte
Testament mit seiner Bezeugung der Rechtfertigung als
eines Weltgeschehens unberücksichtigt blieb.

Das 1. Kap. (S. 15-36) ist eine Bestandsaufnahme der
alttcstamentlichen Diskussion. Der Vf. grenzt sich von
einem „individualistisch-verinnerlichten" Verständnis der
Rechtfertigung ab, gesteht das Recht der Kritik an der
Bundestheologie ein, behauptet aber das genuine Mite:n-
ander der freien Gnade und der Willensfordcrung Jahwes.

Diese Besprechung des Buches will im wesentlichen Zustimmung
sein. Die fundamentale und universale Bedeutung
des „rechtfertigenden" Handelns Gottes im Alten
Testament ist zuzugestehen. Man möchte hoffen, daß künftig
mehr Gelehrtenschweiß für die Klärung und Übertragung
der einschlägigen alttestamentlichen Aussagen vergossen
wird. Der Vf. kann der Dankbarkeit dafür gewiß sein, daß
er diese Sache so beharrlich und intensiv verficht.

Einige kritische Fragen, die hier nur andeutend vorgebracht
werden können, mögen ihm bekunden, daß seine
These lebhaft aufgenommen und bedacht wird. Rückt die
Diktion seinen Entwurf nicht in den Geruch der Traditionshörigkeit
, die bereits im ersten Ansatz erkennen läßt,
wohin die Reise geht? Wie kann man die unermüdliche
Verteidigung der Sprache des altkirchlichen Bekenntnisses,
Anselms, Luthers, anders verstehen? Muß lebendiges
Christentum heute nicht auf Grund eigener Vorstellungen
und mit eigenen Worten sprechen? Ist nicht auch die Wahl
des Titelwortes „Rechtfertigung" durch die kirchliche Tradition
geboten? Ist das etymologisch nicht problemlose, aus
unserer Umgangssprache fast verschwundene Substantiv
..Rechtfertigung" der angemessene Ausdruck für diese zentrale
Aussage des Alten Testaments, und ist es am besten
geeignet, dem Menschen unserer Zeit klar zu machen,
worum es geht?

Der Kanongläubigkeit könnte der Vf. wegen seiner
»Ehrenrettung" der Fluchpsalmen verdächtigt werden (101).
Es ist ein Unterschied, ob Jahwes Sieg darin erwartet wird,
daß alle, auch die Feinde, ihn erkennen, oder ob sie malträtiert
und umgebracht und ihre Kinder am Fels zerschmettert
werden. Nicht jeder ist imstande, das guten
Gewissens zu harmonisieren.

Bei der Polemik gegen einen „frömmigkeitsgeschichtlichen
" Ansatz (17) stört - nicht nur beim Vf. -, daß sie
sich manchmal über jeglichen „Subjektivismus" erhaben
dünkt und die vom Himmel gefallene absolute Wahrheit in
purer Objektivität zu vertreten meint; daß selbst das traditionelle
dogmatische Konzept subjektiver Gläubigkeit entsprungen
ist, bleibt außer Betracht.

In einem Detail scheint der Traditionszusammenhang
zwischen dem Alten Orient und dem Alten Testament überbetont
. Das alttestamentliche Eintreten für „Witwen und
Waisen" wird als „traditionelle Formel" aus dem Alten
Orient abgetan (82 f). Die Selbstprädikation des altorienta-
lischcn göttlichen Herrschers als Beschützers der Witwen
und Waisen paßt zwar zu dem Glauben an ein universales
Ordnungsgefüge; aber Israel schafft statt der hybriden
Formel einen allgemeingültigen Paragraphen des Gesetzeskorpus
und Sittenkodex und erweist auch darin seine Eigenständigkeit
. Die Freiheit dieser weltgeschichtlich ungeheuer
wirksamen Neusetzung ist weit bemerkenswerter als der
auf Grund der Verwendung gleicher Vokabeln nicht bestimmbare
Einfluß der Überlieferung.

Eine andere Frage bezieht sich auf die Wertung der
geschichtlichen Situation. Die Betonung des Zwanges der
Situation steht in unausgeglichener Spannung zu der Behauptung
, daß sich im Alten Testament ein „überraschend
einheitliches Bild des Handelns Gottes an seinem Volke"
ergibt (48). Wenn im geschichtlichen Auf und Ab von
1000 Jahren in Israel wesentlich stets das gleiche über
Jahwes Handeln ausgesagt wird, dann dürfte die „Situation"
nicht den ausschlaggebenden Stellenwert haben, der ihr
vom Vf. (wie auch sonst meist, wohl vor allem unter
G. von Rads Einfluß) zugeschrieben wird.

Die Anerkennung der vom Vf. geleisteten Pionierarbeit
soll und kann durch diese Bemerkungen nicht geschmälert
werden.

Mainz Fritz Murr«

Biblia Hebraica Stuttgartensia. Editio Funditus Renovata,
ed. K. Elliger et W. Rudolph. 1: Eißfeldt, Otto: Libcr
Genesis. XI, 85 S. 8: Rudolph, W.: Liber Jeremiae. XI.
116 S. 9: Elliger, K.: Liber Ezechiel. XI, 95 S. 10: Elliger,
K.: Liber XII Prophetarum. XI, 96 S. 11: Bardtke, H.:
Liber Psalmorum. XI, 140 S. Stuttgart: Württcmbcrgischc
Bibclanstalt 1969/70/71. gr. 8°.

The first fascicie of BHS ( Biblia Hebraica Stuttgar
tensia) to be published was reviewed in ThLZ 95, 1970,
cols. 650-652, by H. Wildberger, who described and dis-
cussed the ways in which it differs from BHK ( : Biblia
Hebraica, ed. R. Kittel). Of the fascicles with which the
present review is concerned, the one containing the text of
Jeremiah has been prepared by W. Rudolph, who edited
the same book for BHK nearly a third of a Century earlier
and is now one of the general editors of BHS, and it is
instruetive to note that, despite much that is common to
the two editions, he has changed his mind on some
questions, and to observe the different ways in which the
material is presented. It would be inappropriate here to
attempt a detailed examination of each of the fascicles,
but it may be useful to draw attention to some questions
that arise, while avoiding a repetition of most of the
points made in Wildberger's review.

Although many proposed emendations are recorded,
and some are recommended, more importance is attached
to setting the relevant material before the reader: to
recording the major variant readings in Hebrew manu-
scripts, and to a cautious presentation of the evidence of
the ancient versions. The reader is told much more fre-