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Ausgabe:

1973

Spalte:

509-511

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Nazir (Nasiräer) 1973

Rezensent:

Maass, Fritz

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509

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 7

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aus von L. Perlitt (Vatke und Wellhausen) zur Vorsicht
gerufen - der Notwendigkeit zur Differenzierung bewu5t:
"• • . but [we] must conclude that at most it is in forms of
expression rather than in basic principles that Hegelianism
influenced Grafianism" (S. 41). Als drittes Motiv für den
Grafianismus erwähnt Th. den .Rationalismus' (S. 41 ff),
und schließlich - an vierter Stelle - noch die .Romantik'
oder, wie er formuliert, 'the Romanticism' S. 45 ff). Zumin
dest die beiden zuletzt genannten Geistesbewegungen wol
len nicht in ihrem strengen wissenschaftlichen historischen
Sinne verstanden sein, sondern viel allgemeiner, populärer,
einfacher (vgl. S. 45, Anm. 4 die Definition von 'Romanticism
'I). Die Gefahren des Mißverständnisses bei eine.n
unpräzisen Gebrauch dieser stark belasteten Begriffe liegen
natürlich auf der Hand. Wie jeder Teil so endet auch der
erste mit einer kurzen Zusammenfassung (Summary), in
welcher jeweils der oben genannte künstliche Bezug auf die
Wandlungen im Urteil über die Priesterschrift (P) durchgehalten
wird (zum ersten Teil: Descriptions of P; S. 49 f;
zum zweiten Teil: Diff iculties of P; S. 104 f; zum dritten
Teil; The Date of P; S. 164 f). Den Beschluß der textlichen
Ausführungen macht ein "Epilogue" (S. 166 ff), der sich in
zwei Teile gliedert, in 'A Look Back' und 'A Look Forward'.
Während im .Rückblick' noch einmal die Notwendigkeit der
kritischen Forschung gegenüber konservativen Kritikern
unterstrichen wird ("The aim of source criticism is theolo-
gical insight", S. 168 f; "Theological insight is in order t3
the advancement of religion", S. 169 f), markiert der ,Vor-
ausblick' drei spezielle Fragen, die nach Meinung des
Autors von der künftigen pentateuchkritischen Forschung
gelöst werden müssen: 1. "What is the meaning of the
unity of the Pentateuch?" 2. "What is the contribution of
the Pentateuch to theological understanding?" und 3. "How
does revelation advance religion in the Pentateuch?"
(S. 170-173). Für diese Fixierung der Aufgabenstellung
weiß sich Th. mit J. J. Lewis, J. Barr und N. E. Wagner
verbunden (S. 170, Anm. 4). Auch hier muß sich der deutsche
Leser wieder auf den speziellen Gebrauch des Begriffes
.Religion' einstellen, der gegenüber dem Begriff der (biblischen
) Theologie als der übergreifendere und umfassendere
dargestellt wird. Th. bezieht sich bei seiner Verwendung
auf H. H. Rowley (The Relevance of Biblical Interpretation,
in: Interpretation I, 1947, 16) und auf G. Ebeling (The
Meaning of 'Biblical Theology'), eine etwas interessante
und kühne Zusammenstellung.

Zusammenfassend darf man über diese Monographie
kurz folgendes sagen: In den historisch-darstellenden Passagen
des Buches steht vieles, was man auch sonst schon
weiß, die beurteilenden und systematisierenden Stücke sind
interessant und anregend, bedürfen jedoch in jedem Falle
der kritischen Rückfrage. Die Zusammenstellung des Materials
ist bibliographisch wertvoll und dem Wissenschaftshistoriker
willkommen.

Leipzig Siegfried Wngner

Boertien, Maas, Prof. Dr.: Nazir (Nasiräer). Text, Übersetzung
und Erklärung nebst einem textkritischen Anhang
. Berlin - New York: de Gruyter 1971. VII, 243 S.
gr. 8° = Die Mischna. Text, Übersetzung und ausführliche
Erklärung mit eingehenden geschichtlichen und
sprachlichen Einleitungen und textkritischen Anhängen.
Unter Mitarb. zahlreicher Gelehrter des In- und Auslandes
in Gemeinschaft mit R. Meyer hrsg. v. K. H.
Rengstorf u. L. Rost. III. Seder: Naschim. 4. Traktat:
Nazir. Kart. DM 68,-.

Krupp, Michael, Dr.: Arakin (Schätzungen). Text, Übersetzung
und Erklärung nebst einem textkritischen Anhang
. Berlin - New York: de Gruyter 1971. X, 161 S.
gr. 8° Die Mischna. Text, Übersetzung und ausführliche
Erklärung mit eingehenden geschichtlichen und
sprachlichen Einleitungen und textkritischen Anhängen.
Unter Mitarb. zahlreicher Gelehrter des In- und Auslandes
in Gemeinschaft mit R. Meyer hrsg. v. K. H.
Rengstorf u. L. Rost. V. Seder: Kodaschim. 5. Traktat:
'Arakin. Kart. DM 48,-.

Zwei neue Kommentare zu Traktaten des III. und V.
Seder der Mischna liegen hiermit vor. Die Anlage ist in
beiden die übliche. Einleitende Paragraphen zum Namen des
Traktats und seiner Stellung in der Mischna, zur Komposition
und Redaktion, dem Verhältnis zur Tosefta und
zur Geschichte der behandelten Institute; danach der Text
(Codex Kaufmann) mit Übersetzung und Erklärung, schließlich
der textkritische Anhang und Register (der erklärten
hebräischen Termini, der Fremdwörter, der im Traktat genannten
Rabbinen, der zitierten Bibelstellen, der benutzten
Literatur).

Obwohl die Welt des tannaitischen Rabbinentums für
viele immer noch eine terra incognita ist, darf den Herausgebern
und Mitarbeitern der .Gießener Mischna" testiert
werden, daß sie mit Erfolg gegen diese Unkenntnis zu
Felde ziehen. Noch nicht die Mehrheit, aber eine spürbar
wachsende Zahl der Studenten wendet sich dieser Literatur
zu und bemüht sich um ihre geistesgeschichtliche Einordnung
. Das stärker gewordene Interesse an Israel und seiner
Geschichte hat diese Entwicklung gewiß begünstigt; die in
rascher Folge vorgelegten gründlichen Mischna-Kommentare
dieser Reihe haben - neben den neuen Midrasch-Editio-
nen - ohne Zweifel erheblich dazu beigetragen.

Die beiden hier angezeigten Kommentare haben bereits
verdientermaßen besondere Beachtung gefunden. Textkritische
Fragen sind gründlich besprochen. B. geht auf das
wichtige Problem des Bibeltextes in den Mischna-Zitaten
ein (154 f); die rabbinische Hermeneutik wird in beiden
Kommentaren erklärt; sehr ausgiebig sind Parallelstellen
aus der sonstigen tannaitischen Literatur angeführt; einschlägige
hebräisch geschriebene Publikationen aus Israel
werden herangezogen,- oft kaum beachtete ethische und
soziale Motive der rabbinischen Literatur werden bei der
Interpretation hervorgehoben. Das ist um so mehr zu
begrüßen, als die fremdartige Kasuistik der Rabbinen heute
abwegig erscheint; (das kodifizierte Recht des Abendlandes
liefert selbst noch aus der Neuzeit Parallelen dazu). Nazir
II, 2 wird ein Fall konstruiert, nach dem jemand von seiner
schwer auf die Beine zu bringenden Kuh meint, sie habe
sich wohl gedacht: „ich will lieber Nasiräerin werden als
aufstehen"; die führenden Gelehrtenschulen streiten nun,
ob dies „Gelübde" gültig und der Kuhbesitzer damit Nasiräer
geworden ist. 'Arakin IX, 5.6 geht es darum, ob ein
Haus, das in die Stadtmauer gebaut ist, in der ummauerten
Stadt liegt oder nicht; und ob die Dächer der Häuser als
Mauer anzusehen sind. Wer sich trotz solcher Spitzfindigkeiten
in diese Literatur vertieft, wird es mit Gewinn tun.

Der Traktat Nazir handelt vom Nasiräat und Nasiräats-
Gelübde. Dem Kommentar von Boertien liegt eine Amsterdamer
Dissertation von 1964 zugrunde; das Buch ist mit
seinen 243 Seiten eins der umfangreichsten der Reihe. Die
Argumentation ist sehr ausführlich und einleuchtend; in ihr
sind - ebenso wie in der Übersetzung - Fremdwörter und
schwer verständliche Neubildungen vermieden. Auf die
Beziehung zu alt- und neutestamentlichen Texten ist großer
Wert gelegt. Die alttestamentlichen Nasiräatszeugnisse (aus
Num 6 Ri 13.16 Am 2,11 f. 1 Sam 1,11) werden in der Einleitung
kommentiert und bei der Textinterpretation immer
wieder anvisiert. Exkurse behandeln das Haaropfer und die
Nasiräate Samuels und des Apostels Paulus. Der Vf. bestreitet
, daß es in Israel ein Nomaden-Ideal gegeben habe
und daß sich das Nasiräat aus anti-kanaanäischen Motiven
erkläre (S. 19-24). Das wird viele nicht überzeugen. Es
besagt nichts, daß der Wein auch positiv gewertet wird