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Ausgabe:

1973

Spalte:

503-504

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Versuche mehrdimensionaler Schriftauslegung 1973

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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O Mutterschoß jeglicher Geburt, wir haben d:ch erkannt.

O Mutterschoß, der du gebierst in der Natur des Vaters,

wir haben dich erkannt.
O ewige Dauer des zeugenden Vaters,

so haben wir (30) verehrt dein Gut.
Es ist ein einziger Wunsch, den wir erbitten:

wir möchten bewahrt bleiben in der Gnosis.
Es ist eine einzige Bewahrung, die (p. 65) wir erstreben:

daß wir nicht straucheln in diesem so beschaffenen

Leben.

Nachdem sie diese (Worte) im Gebet gesagt hatten, küßten
sie einander und gingen, um ihre heilige und unblutige
Speise zu essen.

• Federführend für diese Schrift: Karl-Wolfgang Tröger.

1 Nock /Festugiere, Corpus Hermetioum, II, Paris i9605,
S. 326, ir> IT.

s Vgl. M. Krause, Die Veröffentlichung der NagHammadi-
Texte; in: Le origini dello Gnosticismo, Leiden 1967, S. 801'.;
ders., Ägyptisches Gedankengut in der Apokalypse des Ascle-
pins, ZDMG, Suppl. I. Wiesbaden 1969.

• Nock/Festugiere II, S. 353 «.

1 Vgl. CH IV, V, X, XII, XIII und NHC VI, 8, p. 72, 30.

5 Der Übersetzung von NHC VI, 6 und VI. 7 liegt The
Faesimile Edition of the Nag Hammadi Codices, Codex VI,
Leiden 1972. zu Grunde.

' S. die Zusammenstellung der Mysterienelemente in Anm.
49 meines Aufsatzes Die hermetische Gnosis, in: Gnosis und
Neues Testament, Berlin 1973.

7 S. ebd. die Ausführungen zum Namen Hermes Trisme-
gistos sowie Anm. 31 ff.

8 Ausführlich behandelt von M. Krause, Ägyptisches Gedankengut
, S. 52 ff.

• Der Sinn ist wahrscheinlich: Dies Gut wird den zu Erlösendes
durch den Erlöser zugewiesen.

BIBELWISSENSCHAFT

Voss, Gerhard, u. Helmut Harsch, [Hrsg.]: Versuche mehrdimensionaler
Schriftauslegung. Bericht über ein Gespräch.
Mit Beiträgen von W. A. de Pater, H. Harsch, H. Leroy,
H. Schade, A. Smitmans, G. Voss. Stuttgart: Kath. Bibel
werk, u. München: Kaiser (1972). 150 S., 8 Taf. 8°. Kart.
DM 18,-.

In der Abtei Niederaltaich fanden seit 1968 exegetisch:
Tagungen statt, die eine Erweiterung der historisch-kritischen
Methode durch ein dialogisches Einbeziehen anderer
Wissenschaftsgebiete und ihrer Methoden anstrebten. Mehrdimensionale
Auslegung bedeutet, daß „Texte entsprechend
der Mehrdimensionalität des Menschen auch nur mehrdimensional
, das heifjt von verschiedenen anthropologischen
Wissenschaftsaspekten her interpretiert werden können"
(34). Neben der zünftigen Exegese (H. Leroy, A. Smitmans)
kommen die Sprachlogik (Wim A. de Pater, 22-31), die
Tiefenpsychologie (H. Harsch, 32-41; 89-103), die Kunst
geschichte des frühen Mittelalters (H. Schade, 42-61;
104-123) und die patristischeExegese (A. Smitmans, 62-71;
124-141; vgl. auch Schade) zu Wort.

Sämtliche Autoren tragen im ersten Teil einige „kritische
Überlegungen zur Schriftauslegung" vor, die recht fragmentarisch
wirken, aber im zweiten Teil anhand des „Gesprächsmodells
" Joh 2,1-11 konkretisiert und ergänzt werden.
Wie der Herausgeber G. Voss erklärt, war für alle Beteiligten
„der gegenwärtige Forschungsstand einer historischkritisch
arbeitenden Exegese der selbstverständliche Aus
gangspunkt für alle weiteren Überlegungen" (12). Eine
Rückkehr zur vorkritischen Allegorese kommt also nicht in
Frage. Trotzdem nehmen Darstellungen der altkirchlichen
und frühmittelalterlichen typologischen und allegorischen
Auslegung einen verhältnismäßig breiten Raum ein. Auch
die tiefenpsychologische Interpretation des evangelischen
Mitherausgebers Harsch bringt Deutungen, die an die alt
kirchliche Allegorese erinnern. So sollen z. B. die sechs
steinernen Krüge „Darstellungen des Weiblichen in seiner
beharrenden Form" sein (97).

504

Phantasievolle Spekulationen dieser Art führen leicht
dazu, daß der Ansatz insgesamt verworfen wird. Das wäre
jedoch bedauerlich, denn zweifellos muß die Exegese „mehrdimensional
" sein. Es ist nicht einzusehen, warum die Berücksichtigung
psychologischer Erkenntnisse für die Exegese
zumeist als verpönt gilt, während philosophische Kategorien
von Origenes bis zu Bultmann als Interpretationshilfen
aufgenommen wurden. Der verbreitete antipsychologische
Affekt der Theologen dürfte dazu beigetragen
haben, daß die wenigen Versuche, psychologische Erkenntnisse
exegetisch zu nutzen, unbefriedigend blieben. Eine vor
urteilsfreie Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen,
wie dieser Band sie versucht, kann zu überzeugenderen
Ergebnissen führen.

Der kurze dritte Teil enthält Zusammenfassungen weiterer
Referate und Diskussionen, bei denen auch parapsychologische
und wahrnehmungspsychologische Gesichtspunkte
erörtert wurden. Die Diskussion führte zu der
Frage: „Wie kommt der Interpret heute zur Erfahrung der
Dynamik des Textes?" Den Autoren ist darin zuzustimmen,
daß die Exegeten diese Frage nicht der praktischen Aus
legung überlassen dürfen. Im vorliegenden Band wird der
Versuch unternommen, den Symbolgehalt einer Wunder
geschichte als Aktualisierungshilfe zu nutzen. A's metho
dische Hilfe dient etwas einseitig C. C. Jungs Theorie der
Archetypen. Die Frage ist erwägenswert, ob die Exegese
sich damit begnügen darf, die bewußte Meinung des
Autors zu ermitteln. Damit ergibt sich aber die weitere
Frage, welche Kriterien zur Unterscheidung von geistreicher
, meditativer Phantasie und wissenschaftlich begründeter
Auslegung verhelfen. Diese Frage ist auch im Bück
auf die interessanten altkirchlichen und mittelalterlichen
Auslegungen zu stellen. Der Hinweis auf die Archetypen
genügt nicht.

Die Herausgeber fügten dem Buch einen Fragebogen bei
und bekundeten damit, daß ihre Versuche zur Diskussion
gestellt werden sollen, damit die „Frage nach der bewußtseinsverändernden
Dynamik der Texte" (147) auf möglichst
breiter Basis durchdacht wird. Es ist zu hoffen, daß dieses
Bemühen ein reges Interesse findet, denn die genannte
Frage ist allen gestellt, die in Wissenschaft und Praxis mit
der Bibel zu tun haben. Freilich ist zu berücksichtigen, daß
das interdisziplinäre Gespräch eine sinnvolle Arbeitsteilung
nicht überflüssig macht. Den Autoren dieses Bandes ist bewußt
, daß keine exegetische Methode die immer neu erforderliche
Aktualisierung der biblischen Botschaft für Men
sehen in ihrer konkreten Situation ersetzen kann. Jede;
methodische Bemühen, das dieser Aufgabe dienen will, ist
zu begrüßen.

Halle/Saale Eberhard Winklcr

Internationale Zeitschriftenschau für Bibelwissenschaft und
Grenzgebiete, hrsg. v. F. Stier in Verb. m. P. I. Bratsiotis,
K. Elliger, A. Vögtle. Bd. XVII 1970 'il u. XVIII 1971/72.
Düsseldorf: Patmos-Verlag [1971 72], XIV, 380 S. u. XTV.
445 S. gr. 8°.

Band XVII der angezeigten Bibliographie, zuletzt ThLZ
96, 1971, Sp. 180, verzeichnet in der gewohnten Weise vor
allem die Produktion des Jahres 1968, mit zahlreichen
Nachträgen früher herausgekommener Arbeiten; auch sind
in erheblichem Maß Erscheinungen des Jahres 1969 gebucht.

Band XVIII enthält die Produktion der Jahre 1969 und
1970. Zahlreiche Nachträge sowie das weitere Anwachsen
des Schrifttums haben den erweiterten Umfang des Bandes
und die empfindliche Preiserhöhung zur Folge gehabt. Wird
man nicht doch eines Tages einsehen, daß man um e'ne
Siebung der Literatur nicht mehr herumkommt?

Zürich Hans-Dietrich Altendorf

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 7