Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1973

Spalte:

476-477

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Faber, Heije

Titel/Untertitel:

Gott in vaterloser Gesellschaft 1973

Rezensent:

Winkler, Eberhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

475

Diese Auffassung wird durch eine neutestamentliche Exkursion
gestützt, die sich mit den Begriffen „soozein",
„marlyrein" und „keryssein" befaßt. Wenn auch die
Sichtung dieses neutestamentlichen Befundes ein tieferes
und weiteres Verständnis von Verkündigung anbietet, so ist
docli zu fragen, ob diese wichtige Arbeit gleichsam im
Vorübergehen bewältigt werden kann.

Der Vf. kommt dann zu der Auffassung, daß das ,,seel-
BOrgeriiche Gespräch sich nicht daran legitimieren müsse, oh
die Hotschaft Jesu Christi expressis verbis oder in irgendeiner
„religiösen" Form angeboten wird, sondern dadurch,
daß die Realität des lebenbringenden und heilgebenden
Christus sich im Gespräch ereigne! und damit vollzieht"

(12).

Von dieser Position aus gelangt der Vf. zu dem Spezifik
um christlicher Seelsorge, .,die nicht in dem liegt, was
w ir- sagen, sondern daß wir es als Christen und in der Verantwortung
vor dem Vater Jesu Christi sagen, eben und
gerade auch dann, wenn der Ratsuchende gar keine Ahnung
davon hat, in welchem Auftrag wir handeln" (23). In diesem
Zusammenhang kann die kritische Anfrage nicht unterdrückt
werden, ob das Spezifikum wirklich nur unter dem
Moment der Verantwortung erfaßt werden darf. Das Gespräch
um die Identität der Seelsorge hat erst wieder neu
begonnen und darf nicht durch solche neuen Einengungen
wieder abgebrochen werden. In diesen Zusammenhang gehört
auch die Frage nach dem Text. Durch Bernet ist ja
immer wieder behauptet worden, in der Seelsorge sei der
Mensch der Text. Der Vf. drückt sieh vorsichtiger aus: „So
kann der Mensch als Text für den Theologen zur Hilfe
werden, für das nun eben in der Beratung ... zu verkündigende
Wort Gottes" (27). Noch hilfreicher ist wohl der
Hinweis, daß der Mensch zum hermeneutischen Prinzip in
der Theologie dadurch wird, „daß ihm die Beratung hilft,
das zu werden, woraufhin er angelegt ist" (27). Folgerichtig
fährt der Vf. fort: „Das Spannungsverbältnis zwischen
Verkündigung und Beratung besteht also nur dort, wo der
Begriff „Verkündigung" gleichgesetzt wird mit Predigt oder
mit Lchrvermittlung" (27).

Das 1. Kapitel (15 — 28) enthält neben dieser Erörterung
einen wichtigen Beitrag über „Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis
des Gesprächsleiters*' (28—34). Hier erfolgt eine
Abgrenzung von der von der dialektischen Theologie geprägten
Auffassung „es gäbe so etwas wie eine .objektive'
Ausrichtung des Kvangcliums, abgesehen von der Person des
Predigers" (29). Es wird für diese Erkenntnis auf die Arbeiten
von Otto Haendler verwiesen. Der Seelsorger muß
sich klar darüber sein, wie er in bestimmten Rollen, die mit
Erwartung verbunden sind, gedrängt wird, etwa in die Rolle
des Hirten, des Vaters oder des Weisen. Auch die heute oft
angebotene und erwartete Rolle des Bruders kann problematisch
werden. Der Seelsorger wird von dieser Rollenerwartung
aber in seinen Möglichkeiten beschränkt und in
seinen Kräften behindert. Zu dieser Scharfsichtigkeit, die
eine klare Erkenntnis der Situation und der Motivation der
Suchenden erlordert, kann der Seelsorger nur kommen,
wenn er selbst Hilfe empfängt. „Die seelsorgerliche Beratung
muß sich also von seiner Reaktion In einem Beraterkreis
korrigieren lassen" (39).

Bei dieser Praxisbesprechung werden die gemachten
Fehler aufgedeckt und der Mut zur Seelsorge gestärkt.
„Beratende Seelsorge heißt nicht, dein anderen die Schwierigkeilen
abzunehmen, sondern ihm helfen, eben diese
Schwierigkeiten selbst zu meistern" (26). Dabei handelt es
sich um sachlich-fachkundige Hilfestellung. Der Autor warnt
davor, die emotionale Zuwendung und persönliche Herzlichkeit
für die Lösungen der Lebenskonflikte zu überschätzen
. Nur eine kritische Analyse der Motivation kann
hier Täuschungen aufheben. Es wäre ratsam, wenn dieses
Kapitel bei der Diskussion um neue Methoden der Seelsorge
ernst genommen würde. Eine burschikose Naivität ist
bei manchen Ratschlägen für Seelsorger anzutreffen.

47(1

Das 2. Kapitel (40—106) beschäftigt sieh mit der „Methodik
der Gesprächsführung" und enthüllt die tiefenpsychologischen
Phänomene im Ablauf des Gespräches, die als
Regression, Übertragung und Gegenübertragung wirksam
werden.

Aufschlußreich ist auch der Abschnitt Uber die Abwehrmechanismen
(49 — 59), die im Gespräch eintreten. Hier
wird die tiefenpsychologische Zurüstung des Vf.s erkennbar
und wirksam.

Im weiteren Verlauf seiner praktischen Anleitungen wird
die Gesprächsphase und ihr Verlauf charakterisiert, hier
ist viel Erfahrung investiert.

Der eigentliche Werl dieses Beitrages zu unserer Thematik
liegt aber im II. Teil (107-222), der die Kasualhand-
lungen als beratende Seelsorge darstellt. In drei Kapiteln
wird unter gleichem Aufbau das Taufgespräch, das TraU-
gespräch und das Gespräch anläßlich einer Beerdigung erörtert
.

Es werden jeweils Orte der äußeren und inneren Situation
der Teilnehmer aufgedeckt. Damit wird ganz betont der

Kasus, der ganz spezielle fall, ernst genommen. „Dieser Fall

ist nicht etwa die Trauung oder die Taufe oder' das Begräbnis,
sondern es ist der Kasus dieser beiden Menschen, die miteinander
die Ehe eingehen wollen, dieser Eltern, die ihr
Kind zur Taufe bringen, dieser Hinterbliebenen, die einen
Menschen zu Grabe geleiten. An diesen speziellen Fällen
menschlicher Situation will das Wort Gottes sich als Kraft,
als Hilfe und als Trost erweisen, und zwar gerade in dieser
Stunde, an eben diesen Menschen, an eben diesem (Jrl " (109).

Es werden Kasualgespräche nach Inhalt und Form nachgezeichnet
und analysiert. Einen Schlußabschnitt bilden
jeweils die gottesdienstlichen Handlungen, auf die diese
Gespräche hinweisen, in poimenischer Sicht.

Die beigefügten Protokolle sind außerordentlich instinktiv
für eine beratende Seelsorge, sie stellen eine konkrete Anleitung
für die Praxis des Gespräches dar. In den Analysen
werden die Schwächen des Seelsorgers in seiner Haltung,
seiner Technik, seiner Glaubensbewährung, aber auch seine
Verkündigungschancen aufgedeckt. Diese Modelle können
für die Zurüstung von Studenten und Pfarrern eingesetzt
werden, weil sie formaliter und materialiter wertvolle Einsichten
eröffnen. Mir scheint, es, daß es an der Zeit war,
nach so viel grundsätzlichen Erörterungen, die eine neue
Aera der Seelsorge einleiten wollen, endlich in diesen Exeinpla
eine Hilfe für die Willigen und Einsatzbereiten anzubieten.
Auch wenn man mit manchen Definitionen und Positionen
des Vf.s nicht ganz übereinstimmt, empfängt man gerade
von diesem Beitrag wirksame Impulse.

Leipzig Heinz Wagner

Faber, Heije: Gott in vaterloser Gesellschaft. Analysen u nd
Perspektiven zur Unkirchlichkeit, übers, v. H. A. Küppers.
München: Claudius Verlag [1972]. 203 S. 8°. Karl. DM
12,80.

Der Autor, Pastoralpsychologe in Leiden, wurde im
deutschen Sprachraum durch verschiedene Veröffentlichungen
bekannt, die zumeist der Seelsorge, besonders der
Krankenseelsorge, galten. Das hier zu besprec hende Buch,
dem kürzlich eine Arbeit über „Neue Wege kirchlichen
Handelns" folgte, will ein religionspsychologischer Beitrag
zur Erklärung der Unkirchlichkeit und zur Lösung der mit
ihr gestellten Aufgaben sein. Faber versteht seine Studie als
„Erkundung" und betont wiederholt die Notwendigkeit,
seine Hypothesen zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren
. Ausgehend von Milscberlichs Begriff der „vaterlosen
Gesellschaft" stellt er die „Arbeitshypothese" auf, „daß vor
allem das Verschwinden der paternalistischen Struktur
unserer Gesellschaft Entstellen und Anwachsen der Unkirchlichkeit
beeinflußt" (68). Die Änderung des Vater-

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 6