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Ausgabe:

1973

Spalte:

457-458

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Ehe und Ehescheidung 1973

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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457

Theologische Fiteraturzeilung 98. Jahrgang 1973 Nr. 6

weiß er geschickt einzusetzen, wo es um Fragen der religiösen
Teilnahme und um den Glauben der Kirchenglieder
geht. Auch die sozialen Beziehungen der Religion werden
aufgezeigt bis hin zu den politischen Parteien und ihrem
Mitgliedsbestand. Aufschlußreich ist auch die statistische
Übersicht zu Fragen der Bekenntnis- und Gemeinschaftsschule
in den einzelnen Bundesländern; sie zeigen einmal
mehr, wie die „organisierte Religion" (S. 205) sieh in Er-
ziehungsfragen, Sozialpolitik und Massenmedien auswirken
kann.

Insgesamt ist das Erscheinen eines solchen Nachschlagewerkes
zu begrüßen. Ungenauigkeitcn und Unzulänglichkeiten
müssen dabei in Kauf genommen werden, selbst
wenn die einzelnen Autoren sich um Exaktheil in den
Zahlenangaben und um Sachgemäßheit, in der Darstellung
des Trends der Entwicklung bemühen. Im deutschen Sprachraum
ist mir ein ähnliches Werk nicht bekannt. Auch hier
würde ein solches Handbuch auf größtes Interesse bei den
Fachleuten stoßen.

Leipzig Gottfried Krelzschnmr

Henrich, Franz. u. Volker Eid [Hrsg.]: Ehe und Ehescheidung.

Diskussion unter Christen. München: Köscl Verlag [1972].

182 S. 8° = Münchener Akademie-Schriften, Katholische

Akademie in Bayern, 59. Kart. DM 13,80.

In diesem Band sind die überarbeiteten Referate einer
ragung der Katholischen Akademie Bayern vereinigt, die
sich mit der aktuellen Frage der Unauflöslichkeit der Ehe
und des Ehescheidungsrechtes befaßt hat. Am Beginn stehen
drei Beiträge von grundsätzlicher Bedeutung. Rudolf
Schnackenburg stellt als Exeget die einschlägigen Aussagen
über die Ehescheidung nach dem mosaischen Gesetz,
die sittlichen Weisungen Jesu und das Verhalten und das
Verständnis der Urkirche zusammen und zieht daraus die
Folgerung für die Kirche, auch weiterbin geschichtlich
Bedingtes und bleibend Gültiges sorgfältig voneinander zu
unterscheiden.

Joseph Ratzinger erhebt den dogmengcschichtlichen
Befand bei den Kirchenvätern, den Decreta Gratiani und
im Tridentinum, wobei eine durchlaufende „Grundform"
des Einverständnisses in der östlichen und der westlichen
Kirche festgestellt wird, deren Modifikation erst durch eine
verschieden gehandhabte pastorale Praxis entstanden ist.
Das Anathema gegen jede Lehre, die diese Grundform in
Zweifel zieht (konkret das tridentinisehe Anathema gegen
Luthers Angriff auf die päpstliche Vollmacht in puncto
Ehegerichtsbarkeit), bleibt in aller Strenge stehen.

Am ansprechendsten ist der Versuch Karl Lehmanns,
die unbedingte Treue in der Ehe ausschließlich auf den
personalen Konsensus zu gründen und die Unauflöslichkeil
der Ehe mit der unter dem Zeichen von Kreuz und Auferstehung
möglichen grenzenlosen Vergebungsbereitschaft
zu verbinden. Die Sakramcntalität der Ehe besteht im
Gewährenlassen der totalen Gnadenzusage Gottes, die
freilich erst wirksam wird, wenn sie auf die „Disposition"
des Menschen stößt. Alle drei Beiträge halten an der Forderung
fest, daß jede Ehe unauflöslich ist, und lassen Ausnahmen
zu nur „unterhalb der Schwelle der unangetastet
bleibenden dogmatischen Aussage" und im Sinne der von
Origcnes stammenden F'ormel „gegen das Geschriebene und
doch nicht ganz sinnlos" (S. 44 f).

In einer gewissen Spannung zu diesen ersten Beiträgen
stehen die folgenden, die sich den soziologischen Aspekten
und psychologischen Daten der Ehe zuwenden (Dieter
Ciaessens, Karl Herbert Mandel, Günter Struck) und
ihre erhöhte Intimisierung und Gefährdung unterstreichen,
aber sehr viel weniger von der Institution der Ehe und ihrer

Hochform" sprechen, als die sich jene „Grundform" erweist
. Auch die moraltheologischen Beiträge (Franz Böckle,
VoUier Eid) gehen von der nicht zu ignorierenden Tatsache

.'ins. daß viele katholische Christen, die eine gültige Ehe
geschlossen haben, sich scheiden lassen und sich auch wieder
verheiraten. Die Intention der beiden Beiträge gellt dahin,
auch solchen Gliedern der katholischen Kirche trotz ihrer
Verfehlung den Zugang zur eucharistischen (lemeinschaft
wieder zu eröffnen, wenn sie bereit sind, ihre Schuld zu
bereuen und der Treueverpflichtung auf Lebenszeit erneut

zuzustimmen. Der Kirchenrechtler Alexander Dördel i
sucht nach Vereinfachung der Ehegerichtsbarkeit und einer
der gegenwärtigen Situation besser gerecht werdenden
Deutung des Konsens und des Ehevollzugs.

Das Dilemma der römisch-katholischen Diskussion in
dieser Frage wird im vorliegenden Band etwa daran deutlich,
daß durchgehend bei einer Ehescheidung vom Schuldprinzip
ausgegangen wird (vor allem Böckle, S. 127 — 130) und
nicht von dem sich auf Staatlichem Sektor durchsetzenden
Zerrüttungsprinzip, so daß vor allem für den „schuldlos
Verlassenen" votiert wird, für den Schuldigen aber die alle
Verurteilung bleibt. Ferner schein! kaum bedacht zu werden,
wie Menschen nach einer gescheiterten Ehe durch die Verkündigung
des Evangeliums gerade die Möglichkeit des
Neuanfangs eröffnet werden kann, statt sie weiterhin bei
dem vorangegangenen Versagen zu behalten. Der Zuspruch
ganzheitlicher Sündenvergebung tritt nicht in den Blick,
sondern nur die kirchliche Anerkennung einer zweiten ehelichen
Verbindung, unter der Bedingung, daß „sie ihre
Schuld bereuen und glaubhaft und erprobt wiedergutmachen,
was sie können" (S. 130).

Schließlich weist die Spannung zwischen dogmatischer
Forderung und empirischer Analyse in dem Buch auf die
Gefahr hin, daß das Dogma keine Hilfe mehr zur Bewältigung
der Wirklichkeit leistet, und so rührt die Frage des Kirchenrechtlers
am tiefsten, wieweit denn das, was für die Ehe
als Institution ausgesagt wird, sich „lückenlos in die Einzel-
ehe transponieren läßt" und nicht eine größere Flexibilität
im Dogma notwendig wird, „um den Menschen nicht unter
der Institution untergehen zu lassen" (S. 146). Auf diese
Problematik erneut hingewiesen zu haben, ist ein Verdienst
des Bandes.

Leipzig Joachim Wiebering

Averbeck, Wilhelm: Gegenseitige Anerkennung des Amtes?

(Catholiea 26, 1972 S. 172-191).
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Bergendoff, Conrad: Nach fünfundzwanzig Jahren (LR 22,

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Bctz, Regina: Wohin geht die „schweigende Hälfte" der

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Eine orthodoxe Antwort (Concilium 8, 1972 S. 267—274).
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Texte übertragen von L. Kobilinski-Elkis. Münster/W.: