Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1973

Spalte:

434-437

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Aune, David Edward

Titel/Untertitel:

The cultic setting of realized eschatology in early Christianity 1973

Rezensent:

Bertram, Georg

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

433

Theologische I.ileraturzeitnng 98. Juhrgang 1973 Nr. «>

434

Her zweite, dem Helen Jesu gewidmete Hauptteil bildet
'»sofern eine Fortsetzung <Ies vorangehenden Abschnitts, als
es hier zunächst um die aramäische Form Abba selbst geht.
Auf den Nachweis, daß sie im zeitgenössischen Judentum
im Regelfall die natürliche Vaterschaft, bezeichnet, gelegentlich
auch im übertragenen Sinne vorkommt7, folgt die
grammatikalische Bestimmung: appellativer Vokativ mit
possessivem Sinn (S. 117). An der Herkunft aus der Fa-
miliensprache wird festgehalten. Diese Ausführungen sind
eingebettet in die Behandlung der Gethsemaneszene, dem
einzigen direkten Beleg für das Abba im Munde Jesu, deren
Authentizität hier mit Entschiedenheit vertreten wird. Der
»f. lolfjl seinem Lehrer St. Lyonnet, wenn er unterstreicht,
»aß Mk 14.36 nicht isoliert im Beten Jesu dasteht, das
Abba vielmehr als die Vateranrede in den Gebeten Jesu
gedacht werden muß. Wieweit die Präsentation der 19
Stellen (einschl. Job) dies zu beweisen vermag, mag dahingestellt
bleiben, verdienstvoll ist jedenfalls die in Form
einer Tabelle vorgelegte Übersicht über die Wiedergabe der
Vaterinvokation in den verschiedenen syrischen Übersetzungen
(S. 133 — 134). Eindrucksvollstes Ergebnis: in pal
dominiert Abba. in den übrigen (Text des Ephram, cur8, sin,
Pesch, harcl) erscheint es gemischt mit. Suffixformen. Die
'nhaltliche Füllung gewinnt der Vf. durch eine Interpretation
von Mt 11,25-27 par. (S. 142-102). Die Heraushebung
gerade dieser Stelle ist von einem bestimmten Vorver-
■tändnis geleitet und kann daher wenig überraschen. Dagegen
berührt es eigenartig, wenn der Vf. — hier offenbar
einer Sichtweise verpflichtet, wie sie sich in der älteren
' eben-Jesu-Forschung findet. — die Annahme verlrill, daß
Jesus so erst nach Cäsarea Philippi habe reden können
(S. 154). Was die Vateranrede in sich schließt, wird in den
Strophen des üankgebetes entfallet: Offenbarungswissen,
Übertragung der universalen Herrschaft, vollkommene Erkenntnis
der Mysterien Gottes. Sic wird zum Ausdruck einer
Bmgulären Einheit /wischen Jesus und dem Vater9. Der hier
Vertretenen streng chrislologischen (gleichsam johanneischen)
Interpretation des Abba steht freilich der alltägliche, der
Familiensprache entnommene Klang des Wortes entgegen.
Methodisch ist sie nur möglich, wenn man die Anrede im
Vaterunser, aber auch den Gebrauch des Abba in der
lachösterlichen Gemeinde von der Abbainvokation Jesu
völlig isoliert.

Wie wir-d das Abba zum Gebet der Christen? In der Beantwortung
dieser Frage muß der Vf. die Konsequenzen
seiner eigenen, streng chrislologischen Interpretation ziehen.
•Nicht dadurch, daß der Irdische die Jünger an seinem Beten
Partizipieren ließ10, sondern als Ausdruck der neuen, nachösterlichen
Situation. Erst jetzt kann die Gemeinschaft der
Christen an die Stelle des Christus treten, erst jetzt ist sie
autorisiert, das Gebet Jesu nachzusprechen (S. 197). Wenn
«lern Abba der griechische Vatername an die Seite gesetzt
wird (Gal 4,6. Rom 8,15), so wird es dadurch kenntlich
;|ls liturgischer Ausdruck der neuen pneumatisch-ekkleBiologischen
Gegebenheit. Auch hier gewinnt die Deutung ihre
spezifische Qualität durch die Einordnung in den weiteren
lexikographischen Kontext: die mit dem Vaternamen ver-
hundenen formelhaften Wendungen in den liriefen und vor
allem in den Briefeingängen dienen als Beleg dafür, daß erst,
die christologisch vermittelte Gottcskindschaft die Vateranrede
ermöglicht (S. 190ff.). Eine gewagte Kombination,
wenn man bedenkt, daß dort mehrgliedrige, oft komplizierte
Sendungen überwiegen, während die Abbaanrede, abgesehen
vom fremdartigen Klang, gerade durch Einfachheil
auffallt. Der die Arbeit bestimmende systematisierende Zug
wird besonders an der den letzten Abschnitt beherrschenden
Dreigliederung sichtbar, die die soteriologisch-pneumato-
'ogischen Aussagen des Paulus in ein trinitarisches Schema
fcu zwingen sucht: die Adoption durch den Vater als Fundament
unseres Abbasagens (S. 199-207), das Abba als Ausdruck
der Einheit mit Christus (S. 207-215) und als Wirkung
•'es Geistes (S. 215 — 225). Wie immer man die Beziehungen

zwischen Christologie und Ekklesiologie (bzw. Pneumato-
logie) bei Paulus und seinen Nachfolgern bestimmt, die vom
Vf. vorausgesetzte Reflexionsstufe kann schwerlich als lex
credendi der schlichten urchristlichen Abba-Anrede zugeordnet
werden. Die Art, wie hier das volle Orchester der
thomistischen Theologie zum Klingen gebracht, wird, wenn
Min der Adoption als ontologischcr Realität (S. 207), ihrer
Vermittlung durch die Taufe (S. 208), von der Einwohnung
(lej- gesamten Trinität (S. 214) und vom Geist als Prinzip
der Einheit mit Christus und dein Vater (S. 220) gesprochen
wird, ist gewiß eindrucksvoll, übertönt jedoch den einfachen
Abband' der- frühen Jesusgemeinde.

Wer W. Marcheis Arbeit nur in ihrer gekürzten Fassung
gekannt hat, in der1 das scharfe Profil einer Dissertation
römischer Schule nicht annähernd so deutlich in Erscheinung
trat, ist, angesichts der zutage liegenden Differenz zunächst
ein wenig ratlos. Daß es dem Vf. möglich ist, die barocke
Fülle auf einige wenige, um so wirkungsvoller zur Geltung
kommende Stimmen zurückzuführen, sollte nicht lediglich
von der unterschiedlichen Zweckbestimmung erklär t werden.
Die in der Materialdarbietung gestraffte und von komplizierten
theologischen Reflexionen entlastete Präsentation
legi das Zentrum, die Vaterbotschaft des Neuen Testamentes
und den darin beschlossenen Zusammenhang von Gebet, und
Ethos frei. Hier verstummt der Widerspruch. Die Spiri
tualität verbindet, wo die Theologie trennt.

Halle (Säule) Wolfgajlg Wiefel

1 Von der Inzwischen auf über 50 Titel angewachsenen Reihe
Analecta Hibliea ist damit erstmalig ein Hand in 2. Auflage herausgebracht
worden.

■ Unter den 10 Rezensionen der 1. Auflage findet sieh nur eine in
deutscher Sprache ZkTh 91, i960, 21(i (St. Porubean).

• Lediglich Joachim Jeremias hat mehrfach auf diese Arbeil hingewiesen
, zuletzt Neuleslamrntliche Theologie t. 1971, G7.

■ Die Welt der Bibel 18, Düsseldorf 19«:) und Die Botschaft Gottes
II, 20, Leipzig 1968.

•Vgl. vor allein Abba. in: Abba. Studien zur iieulcslamentlh lirn
Theologie und Zeitgeschichte, 1966, 15—82.

• A.a.O. 33.

7 Der Vf. stützt -sich dabei auf den Sprachgebrauch der Targume,
den er 108—110 einer genauen Prüfung unterzieht.

• Der von Joachim Jeremias a.a.O. 65, Anm. 70 gegebene Hinweis,
daß hier zwölf Belege zu streichen sind, weil an ihnen der Text des
syruc nicht erhallen ist, wurde in der neuen Auflage im vollen Umfang
berücksichtigt.

•An dieser Stelle vermißt man die aus der Sicht des Vf. gewiß
besonders reizvolle Auseinandersetzung mit P. Winter, Matthew XI,
27 and Luke X, 22 from the First to UM Fifth Century, Nov Test 1,
1950, 122-148.

10 In diesem Sinne folgerichtig vertritt, der Vf. ähnlich wie die von
ihm nicht mehr berücksichtigte Arbeit von Jean Carmignac (vgl.
TbLZ 90, 1971 Sp. 506—509) die Priorität der Mattlläusfassung des
Vaterunsers gegenüber der luknnischen (179 — 189).

Anne, David Edward: The Cullic Selting of Itealized Escha-
tology in Early Christianity. Leiden: Brill 1972. I X. 2'i2 S.
gr. 8° = Supplements to Novum Testamentum, XXVIII.
Lw. hfl. 74,-.

Diese Arbeit über das Problem der verwirklichten Escha-
lologie steht in einer lebendigen, kritischen Auseinandersetzung
mit der neutestamentlichen Forschung und ihren
Ergebnissen seit der Zeit der literarkritischen and religionsgeschichtlichen
Methode. Die Ausführungen werden in einer
Fülle von gelehrten Anmerkungen, die die internationale
Diskussion berücksichtigen, ergänzt, fortgeführt und mit
bibliographischen Nachweisen versehen. Schon vor der Jahrhundertwende
war vor allem in der Arbeil am Alten Testament
mit der gattungsgesebichtlichen Untersuchung eine
Umbildung des bis dahin gültigen Geschichtsbildes eingeleitet
worden. In der neutestamentlichen Wissenschaft trat
in den 2()iger Jahren neben sie die sogenannte Formge-
Bchichte. Sie fand in der kultgeschichtlichen Methode (vgl.
RGG-1 s. v.) mit ihrer besonderen religionssoziologischen
Ausprägung eine Ergänzung. Bei ihr tritt das rationale
Verständnis der literarischen Überlieferung hinter- der Frage