Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1973

Spalte:

432-434

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Marchel, Witold

Titel/Untertitel:

Abba, Père! 1973

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

431

des Griechischen angelehnt. Der Vf. begründet das S. 163
A. 2 damit, daß so „provokativ an die Eigenwilligkcit, das
vielfach Gedrungene und Überladene der Schreibweise des
Paulus" erinnert werden soll. Indessen wird den Lesern und
Hörern der Paulusbriefe deren Stil gelungener erschienen
sein, als es solche Übersetzung ahnen läßt (etwas anders
verhält es sich allerdings mit der dunklen Übersetzung
solcher Stellen wie Kol 2,8 — 23, vgl. dazu S. 223 A. 2 oder
auch S. J50f A. 1). Die inhaltliehe Vorführung der Briefe
ist natürlich durchweg getragen von einer genauen Interpretation
dieses Inhalts und markiert immer wieder die
Probleme einzelner Stellen, ganzer Gedankenziige sowie der
einzelnen Briefe insgesamt, einschließlich die der traditionellen
Einleitungsfragen. Vorgeordnet ist diesem Teil ein
Versuch, den Lebensgang des Paulus nachzuzeichnen. Auch
das geschieht zunächst weil gehend durch die Wiedergabe
von Texten, nämlich von solchen aus Act; doch werden in
den Anmerkungen die so gebotenen Angaben in erheblichem
Einfang wieder in Frage gestellt oder auch direkt zurückgenommen
. Gelegentlich finden sich Unklarheiten oder gar
Widersprüche. So wird S. 76 die Spanienreise des Paulus
recht eindeutig als unhistorisch gekennzeichnet, S. 21 A. o
aber hieß es dazu : ..die Frage wird wohl offenbleiben müssen" ;
das Urteil S. 77 „Sicher nicht von Paulus stammen der
F.pheserbrief und die drei sog. ,Pastoralbriefe1" überrascht
in seiner Festigkeit angesichts vorangehender Ausführungen
(S. 28—31); S. 85 werden die Paulusbriefe für einen Zeitraum
von anderthalb Jahrzehnten in Anspruch genommen,
was nach S. 37 f A. o ein entschieden zu langer Zeitraum
ist; ein Versehen ist offensichtlich S. 118 die Angabe, Paulus
sei bei seinem ersten Besuch in Korinth „ein Jahr und
achtzehn Monate" dort geblieben.

Die folgenden Teile sind wesentlich disparater als die
bisher angezeigten. Sie beschäftigen sich mit der Methode,
Paulus zu verstehen, seinen eigenen Voraussetzungen außer-
und innerchristlieher Art, den Hauptgedanken seiner Theologie
, deren Verhältnis zu anderen Theologien des Neuen
Testaments und zu Jesus sowie ihrer Wirkungen. Die Un-
ausgeglichenheit dieser Abschnitte wird schon äußerlich
daran sichtbar, daß der Teil XIV „Die Theologie der pauli-
nischen Hauptbriefe und die Konkurrenztheologien im Neuen
Testament" knapp drei Seiten umfaßt (S. 437 —439)! Ganz
ähnlich verhält es sich mit Teil XI „Das ,Urkcrygma', der
Zentralgedanke des Neuen Testamentes nach der sachlichen
und begrifflichen ,Übersetzung' durch Paulus", der nur
wenig mehr als eine Seite umfaßt.

WesenIlieh umfangreicher und ausgearbeiteter ist freilich
der Teil XII „Übersieht über die theologischen Grundgedanken
der paulinischen Hauptbriefe" (knapp 100 Seiten).
Aber auch er bietet, wie schon seine Überschrift andeutet,
keinen Versuch einer umfassenden Entfaltung der pauh-
niseben Theologie insgesamt, wenn auch die entscheidenden
theologischen Themen des Paulus im wesentlichen in ihm
zur Sprache kommen. Und zwar geschieht das so, daß der
Vf. von dem ausgeht, was er als den eigentlichen Kern der
paulinischen Theologie begreift, alles auf diesen Kern bezieht
und von ihm her zu verstehen versucht. Der „Generalsatz
, den die Theologie des Paulus für seine Gemeinden, für
seine Zeit interpretieren will", lautet: „Durch Jesus Christus
allein läßt Gott das endgültige Heil allen Menschen zuteil
werden" (S. 347). Dieser Satz wird nacheinander nach
seiner mehr christologisehen, soteriologischen, eigentlich
theologischen, anthropologischen und eschatologischen Seite
von Paulus her interpretiert. Es kann kaum bestritten
werden, daß der Vf. mit seinem Ansatz und dessen Ausarbeitung
in die Mitte des paulinischen Denkens trifft.
Fragen muß man allerdings, ob er die spezifische Eigenart
der paulinischen Theologie (die doch wohl im Glaubensbegriff
liegt) in ganzer Schärfe auf diesem Wege erfassen
kann oder ob er sie nicht zu stark in das allgemeine urchristliche
Denken der gleichsam orthodoxen Bichtungen
einpaßt.

432

Das Buch, das in wesentlichen Partien einen Aufsatz
seines Vf.S in der Münchener Theologischen Zeitschrift 1963
wieder aufnimmt, ist also gewiß nicht die umfassende Paulus-
Monographie, die man zunächst erhofft; es will das freilich
auch gar nicht sein. Wohl aber ist, es ein sehr anregendes
Buch, das seinen Gegenstand vielfältiger Beleuchtung aussetzt
und seinen Wert nicht zuletzt darin hat, daß es engagiert
um die lebendige Erfassung der Persönlichkeil des
Paulus bemüht ist. Trotz der erheblichen Breite ist es
glänzend geschrieben, wobei der Vf. indessen stets Herr
seines Stils bleibt.

Beigegeben ist dem Buch ein Stellen-, ein Namen- und
ein Sachregister.

Halle (Saale) Traugott Holl/.

Marchel; W.: Abba, Pere! La priörc du Christ et des Chretiens.
Etüde exegetique sur les origines ei la signification de
l'invocation ä la divinite comme pere, avant et dans le
Nouveau Testament. Borne: Biblieal Institute Press 197L
272 S. gr. 8°=Analecta Biblica, Investigationes Scienti-
Kcae in lies Biblicas, 19A. Lire 5000,—.
Daß W. Marcheis zuerst 1963 erschienene, nunmehr in
neuer Bearbeitung vorliegende1 Untersuchung zur Abba-
Anrede im deutsehen Sprachgebiet bisher so wenig Resonanz
fand2, läßt eine bedauerliche Selbstgenügsamkeit sichtbar
werden. Die weitgehende Ignorierung3 dieses wichtigen Beitrags
ist um so weniger verständlich, als inzwischen gekürzte
(freilich auch erheblich modifizierte) Fassungen dieser
Arbeit in fünf Ländern, darunter auch zwei Ausgaben in
deutscher Sprache, herausgekommen sind4. In welchem
Maße diese Studie, auch neben den Veröffentlichungen von
Joachim Jeremias5 ihren Rang behaupten kann, zeigt die
schon beim ersten Durchblick beeindruckende Fülle des
dargebotenen Materials, das dem Leser in den mehrfach untergliederten
Hauptabschnitten über die Anrufung der Gottheil
als Vater vor Christus (S. 21 — 97), das Beten Jesu zum
Vater (S. 99—167) und die Valerinvokation in der Christenheit
(S. 169—226) vorgeführt wird.

Der erste, im wesentlichen das Alte Testament behandelnde
Teil erhält sein besonderes Profil dadurch, daß neben
den schon vielfach besprochenen Schriflstellen die theophoren
Namen im AT und seiner Umwelt die ihnen gebührende
Beachtung erfahren. Wir lernen, daß der durch den Vaternamen
ausgedrückte persönliche und individuelle Bezug
zwischen Mensch und Gottheit zu den kennzeichnenden
Zügen der assyrisch-babylonischen Religion gehört und
werden auf die Bedeutung der Gottvater Vorstellung in der
ägyptischen Volksreligion hingewiesen (S. 29—37). Der häufig
behaupteten Herkunft aus dem Totemismus wird auch
für diesen Bereich entschieden widersprochen. Für Israel
stellt ihr der Vf. die Erkenntnis vom Ursprung der Vatei-
gottvorstellung aus dem Erwählungsgedanken gegenüber,
wobei freilich die Zurückhaltung der älteren Schriften (nicht
jedoch der theophoren Namen) in der Aufnahme dieser
Vorstellung auffällt. Höhepunkte einer einfühlsamen Interpretation
bilden die Abschnitte über Jeremia und das
tritojesajanische Gebet Jes. 63, 7 — 64, 1 (S. 56 — 62). Theologische
Vertiefung (Sir.) und Übergang zum Universalismus
(Sap.) werden als Signaturen des Gebrauchs in der jüdisch-
hellenistischen Literatur aufgewiesen, in deren Umwelt Anknüpfungspunkte
für die Vorstellung der Gottheit als Vater
gegeben waren (S. 63 — 89). Im Zentrum der behandelten
Problematik befinden wir uns mit der Untersuchung des
Valernamens in den Gebeten des palästinensischen Judentums
. Hier wird streng geschieden zwischen dem kollektiven
(unser Vater) und dem individuellen (mein Vater) Gebrauch,
wobei jeweils affirmative und invokative Verwendung gesondert
werden. Das bereits von Joach. Jeremias gewonnene
Ergebnis0 bleibt bestehen: für den individuell-invokativen
Gebrauch fehlen jüdische Belege (S. 97).

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 6