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Ausgabe:

1973

Spalte:

424-428

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wildberger, Hans

Titel/Untertitel:

Jesaja 1973

Rezensent:

Schmidt, Werner H.

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423

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 197.'} Nr. (i

Rezensionen dazu geäußerten Bedenken. Mag eine Solche
Haltung zum wissenschaftlichen Gespräch der Wahrheitsfindung
nicht eben dienlich sein (vgl. schon „Paradieserzählung
", S. 10, und die Art, wie jetzt bereits im Vorwort,
VI, den Kritikern ..rührende Beweise ihrer eigenen Befangenheit
in Schulmeinungen" und „Geringschätzung des
immerhin biblischen Textes'' bescheinigt werden), möchte
man dein Vf. das hohe Ethos doch zugute halten, eben den
Text, iirul allein diesen, zu Worte kommen zu lassen, Wenn
das nur einem Fachexegeten des '20. Jh.s möglich wäre, der,
wenn er seine Gewährsmänner nicht nennt — und der Vf.
verzichtet teils aus den Beschränkungen seiner ländlichen
Pfarramts-Situation heraus (das freimütige Zugeständnis,
daß die Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung
auf die Dauer unerläßlich wäre, verdient Anerkennung,
VIII), mehr aber noch ans Prinzip auf einen gelehrten
Apparat — eben unausgesprochen zeigen muß, wie er Schrill
für Schritt in ihre Fußstapfen trill I

Der Vf. möchte — gleich am Anfang kokettier! er etwas
mit dem Wort „Methode" (2) — das Prinzip der „Leitfossilien
": bestimmte charakteristische, häufig wiederkehrende
Wendungen dienen als Wegmale, zu einer Scheidung der in
En 3 — 17 vorliegenden Quellen nutzbar machen. Zuerst
zählt er eine Reihe von solchen Redensarten, Begriffen und
Vorstellungen auf, in denen sich unterschiedliche Auffassungen
der Quellen widerspiegeln (1 — 20). Bei seiner
Analyse (21 — 362) kommt er schnell auf die klassischen
Pentateuchquellen J und E, die er in ganz traditioneller
Weise charakterisiert (wenn auch oft etwas eigenartig, wie
/. II.: „Der Elohist muß ein Mann von bemerkenswertem
Feinsinn und edler Herzensbildung gewesen sein, sonst hätte
er sich in seinem Geschichtswerk nicht so nachdrücklich
für Mitmenschlichkeit und gute Manieren eingesetzt" (95).
Wichtig sind ihm nicht diese, deren ebenfalls traditionelle
llochschätzung den Hintergrund bildet, sondern der als
deuteronomistisch bezeichnete Redaktor RE.I, der beide
verarbeitete, harmonisierte, dabei verstümmelte und seine
eigenen Zusätze in den Text hineinbrachte, deren Geist nun
ein grundsätzlich anderer ist. Auf das Haupt des Redaktors,
der im klassischen Sinne der Hochblüte literarkritischer
Sicht der Jahrhundertwende als reiner Schreibtischtheologe
geschildert wird („daß er sein Werk sogleich ins reine geschrieben
hat", 60; „ohne ein Konzept anzufertigen . 39;
oder vielmehr: das „Konzept" ist bereits „Literatur geworden
", 40; vgl. 402; indem „Gedanken, noch bevor sie
ausgegoren waren, schon dem Papyrus anvertraut worden
sind", 44, u. ö.), werden alle Vorwürfe ausgeschüttet, die es
vor einem Dreivierteljahrhundert üblich war diesem Sündenbock
für alles das anzulasten, was dem modernen ästhetischen
Empfinden zu widersprechen schien. Stereotype
Redeweise, Verwendung von abstrakten Begriffen, pauschale
Umschreibungen, Allerweltswörter, überhaupt gedankliche
und inhaltliche Unschärfe (86: „seine übliche Unachtsamkeil,
Flüchtigkeit und Kleinkrämerei") sind typische Kennzeichen
von REJ, wie am Schluß in der Zusammenfassung, 390 ff,
festgestellt wird. Man findet „zahlreiche und oftmals schwerwiegende
stilistische Mängel" (397), ja, „gravierende Verstöße
gegen Grundregeln der hebräischen Sprache" (398).
Gut, möchte man sagen, daß ein moderner Mitteleuropäer
diese besser beherrscht als ein Judäer aus der Zeit der
üeuteronomisten (VII)! In seiner Kompositionstechnik (399 ff)
hat der Redaktor sich von „zufälligen Gesichtspunkten
und Bedürfnissen" leiten lassen; Stiehwortanknüpfung und
vor allem das Umbiegen von Begriffen und Einzelangaben
sind charakteristisch, wobei er anstößige Aussagen der Vorlagen
ausschied oder verdunkelte. Dabei ist die typisch
deuteronomistische Gesetzes- und llcilsgeschichtstheologie
und ein mit einer gesteigerten Wundergläubigkeit gekoppelter
Rationalismus die zugrunde liegende Geisteshaltung.

Iis ist schade, daß die als notwendige Aufgabe der Pen-
tateuchforschung anzusehende Erforschung der nicht den
drei llauptquellen zuzuordnenden Bestandteile der peuta-

leuchischen Erzählung hier mit einer einseitigen Methodik
unter veralteten Gesichtspunkten betrieben wird. Wie unsicher
die Maßstäbe in diesem Bereich noch sind, kann man
u. a. daran sehen, daß viele der von Fuß dem Ergänzer zugeschriebenen
Passagen von Vertretern der „neuesten Ur-
kundenhypolhcse", wie 0. Eißfeldt und G. Fohrer'1, gerade
zu der ältesten Quelle, L bzw. N gerechnet werden! Also
eine genau gegensätzliche Einschätzung von Milieu, Wortwahl
und Stilistik! Für ein abgewogenes Urteil wäre ein

möglichst großer Methodenpluralismus nötig, wobei uach
dein z. B. von C. Westermann für die Genesis gelieferten
Vorbild die Erzählungen vom Dornbusch usw. als volks-
Iümliches Erzählgut kompositionsteehnisch-gatlungsmäßig
gewürdigt (entsprechende Slilinerkmale werden z. B. 27/8
nur als Quellenindiz gewertet), grammatisch-rhetorische
Strukturuntersuchungen nach der Weise W. Richters4 vorgenommen
und traditionsgeschichtlich das Verhältnis von
mündlicher Uberlieferungsgrundlage und schriftlicher Koni"
position"' geprüft werden müßte''1. Die gegenseitige Isolation
der unterschiedlichen Blickpunkte führt zur Einseitigkeil
und verhindert damit einen echten Forlschritt. Dabei wäre
das „Leitwortprinzip" gerade überlioferungsgeschichtlich zu
würdigen, das modern-ästhetische Ideal des Wechsels durch

das antike der Wiederholung und des Wortspiels unter A.US1
Schöpfung der semantischen Variationsbreite zu ersetzen.
Die redaktionsgcschichtliche Frage wäre durch die nach
dem Sitz im Leben gerade der kompositorischen Arbeit an
den Erzählungen des Pentateuchs zu ergänzen und dabei
/.. B. auch die verschütteten Fragestellungen G. von Kails
wieder aufzunehmen.

Der Leser des Werkes hat. sieh durch eine Fülle von
Material durchzuarbeiten. Non multum, sed multa wäre
besser gewesen. Es wäre vorzusehlagen, die Kooperation der
Methoden auf einem kleinen Feld, etwa der Dornhusch-
geschichte zu beginnen.

Bochum Henning Graf Reventlovi

1 Vgl. C. Wcstermnnn, Genesis ;IJK I), 1966 ff; ders., Genesis 1 —Ü
(Erträge der Forschung, Bd. 7), 1972.

1 W. Kuß, Die sogenannte Paradieserx&hlnng. Gütersloh I9tis.
Was er dort, S. 10, ,,rrdaklionsgcschiehtlirh" nennt, ist tatsächlich
im klassischen Sinne Quellcnschcidung — nur daU der Itedaktur zun»
Verfasser einer eigenen, sekundär aus den ihm vorliegenden ge-
schaffenefl Quelle wird.

• O. Eißfeldt, Hoxatcuch-Synopse, 1922 (Neudruck 1962); G.
Kohrer, Üherlieferung und Geschichte des Exodus fllZAW 91), 1DH4-

4 W. Richter, Die sogenannten vorprophetischen Berufnngsberichte
(FRLANT 101), 1970; vgl. ders., Exegese als Literaturwissenschaft,
1971.

6 II. Schulte, Die Entstehung der Geschichtsschreibung im Allen
Israel (HZAVV 128), 1972.

* In diesem Zusammenhang wäre auf die unlängst erschi.....Mie

Tübinger Dissertation von Andreas Reichert, Der Jehowist und die
sogenannten Deuleronomischcn Erweiterungen im Much Exodus, hinzuweisen
, die in ihrer Methodik den) Gewünsehlen sehr viel näher
kommt und moderne Gesichtspunkte berücksiehtigt; vgl. auch Moshe
Grecnherg, The Kedaclion of the Plague Narrative in Exodus, in:
Nenr Eastcrn Studies. Kestschr. W. F. Albright, 1971, S. 24,1-252.

Wildberger, Hans: Jeeaja I. Kapitel 1—12. Neukirchen:
Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins [1972]. 495 S.
gr. 8° = Biblischer Kommentar, Altes Testament, X.
Die erste Lieferung dieses Kommentars wurde den Lesern
dieser Zeitschrift bereits vorgestellt (ThLZ 92, 1967, 754-
756); mittlerweile sind sechs Lieferungen, die die Exegese
von Kapitel 1—12 des Jesajabuchcs umfassen, gebunden
und um Register erweitert — erschienen. Dabei hält sich die
schon zu Anfang erkennbare Tendenz der Auslegung im
wesentlichen durch. Der llauptton ruht auf dem Abschnitt
„Wort", der vielfach recht ausführliche Begriffsbestimmungen
— gelegentlich in einem Forschungsüberblick (so zu
Jes 7, 14) —- vorträgt. Schon die Untersuchung der „Form' >
in der man eine strenge Gliederung des Textes unter Beachtung
seiner verschiedenen Elemente erwartet, tritt etwas