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Ausgabe:

1973

Spalte:

382-384

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Die Predigt als Kommunikation 1973

Rezensent:

Lerle, Ernst

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381

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 5

382

reflektierten Umgangs mit Sprache im Bereich der Glaubensaussagen
leisten (12). Ausgangspunkt ist die Gemeindeerfahrung
, daß sich vermeintliche Glaubensdifferenzen häufig
als reine Sprachdifferenzen entpuppten (15). Der Leser soll
darum über die »Probleme des Zusammenhangs von Sprachform
und Aussageinhalt" informiert werden (19), indem er
durch die unter didaktischen Gesichtspunkten ausgewählte
Literatur geführt wird, die ihm die in diesem Bereich geleistete
Forschung vermittelt. Das Werk hat sich nicht primär
die Aufgabe gestellt, das Wahrheits- und Erkenntnisproblem
theologischer Aussagen zu behandeln (wer an dieser
Fragestellung interessiert ist, sei auf W. A. de Pater, Theologische
Sprachlogik, München 1971, verwiesen). Unser Buch
beschränkt sich zunächst darauf, den Leser für das Sprach-
problem zu sensibilisieren, indem es seinen Blick für diese
Sache schärft. Dieser Zielsetzung ensprechend informiert der

1. Teil des Buches »Sprachtheoretische Grundlegung" (26 bis
183) über die Grundprobleme der Sprache, die für die Verkündigung
von Belang sein können, während der 2. Teil
.Problemfelder der Praxis" (184-320) dies dann an Hand
der Predigtliteratur exemplarisch auf die Verkündigung anwendet
.

Im ersten Teil wild über „Das Wesen der Sprache" zunächst
unter philosophischem, linguistischem, psychologischem
und kybernetischem Blickwinkel referiert (26-65),
danach hinsichtlich der wesentlichen Aspekte des Zeichencharakters
(Verhältnis zur Wirklichkeit einerseits und zur
Lautgestalt andererseits) informiert (65-86). Zum Verhältnis
von »Sprache und Denken" wird mit bevorzugter Auswertung
der Sprachpsychologie von F. Kainz, dem am häufigsten
zitierten Autor in diesem Buch, deutlich gemacht, daß sprachunabhängiges
Denken empirisch nicht nachzuweisen ist und
beide in »funktionssymbiotischer Leistungsgemeinschaft"
stehen (86-136). Dies wird bezüglich der „Leistung der Sprache
" vor allem im Hinblick auf die Rolle der Sprache bei der
Wahrnehmung der Wirklichkeit im Sinne L. Weisgerbers
ausführlich vorgestellt (137-183).

In dem stärker direkt auf die kirchliche Praxis bezogenen

2. Teil werden sechs Problemfelder aufgegriffen und durchleuchtet
: (1.) Der naive „Sprachrealismus" mit seiner Überschätzung
der Etymologie wird bis in die Erbauungssprache
hinein als Gefährdung verdeutlicht (184-192). (2.) Indem der
Blick für die Differenzen, Abwandlungen und Überlagerungen
zwischen den „Wortarten" geschärft wird (193-218),
wird vor allem die Unfruchtbarkeit hypostasierender Redeweisen
in den Glaubensaussagen aufgewiesen. (3.) Im Bereich
der .Syntax" (219-247) wird unser Subjekt-Prädikat-
Schema als partikular und konventionell bestimmt. Dies
wird dann auf die Schöpfungs- und Gottesaussagen so angewendet
, dafi die Frage entsteht, ob die Logik der Sprache,
die unser Denken bestimmt, mit der Logik der Sache identisch
sein muß. Eine Lösung wird in der sprachwissenschaftlichen
Aufarbeitung und Weiterführung der bei H. Braun
und M. Mezger vorhandenen Ansätze von nicht-aktivischem
Reden von Gott gesehen. (4.) Nicht weniger stimulierend
dürften die Ausführungen über ein mehr praktologisches
Problemfeld »Code und Kommunikation" (248-260) sein:
Die Code-Unterschiede bei Sendern und Empfängern der
Glaubensaussagen setzen eine Sprachbarriere, die die Kommunikation
unmöglich macht. (5.) Die Untersuchung des
.metaphorischen Redens" (261-291) macht deutlich, dafi Analogien
nur heuristische oder suggestive, nie aber verifizierende
Kraft haben; das muß sowohl in der dogmatischen
wie in der praktischen Argumentation bedacht werden;
(zur Frage der Metapher wäre noch heranzuziehen; H. Wein-
rich, Semantik der kühnen Metaphern, DVfLG 37, 1963, 325
bis 344; K. Maurer [Hrsg.], Die Metapher [Bochumer Diskussion
], Poetica 2, 1968, 100-130). (6) Als letztes Problem wird
die Gefahr der »Leerformeln" verhandelt (292-320); diese
entstehen auch dann, wenn ein Wort des alten Weltbildes in
das Beziehungsgefüge neuzeitlichen Denkens eingetragen

wird. - Der Band schließt mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis
und mit hilfreichen Autoren- und Sachregistern.

Dem Buch kommt das unbestreitbare Verdienst zu, für den
Bereich der Praktischen Theologie erstmalig die Frage der
Sprachstrukturen thematisiert zu haben, wie E. Güttgc-manns
dies für den Bereich der neutestamentlichen Wissenschaft
getan hat. Bedauern darf man, dafi die Namen von Güttge-
manns und Magaft sowie das interdisziplinäre Programm
der „Generativen Poetik", das von ihnen getragen wird, im
ganzen Buch nicht erwähnt werden, und daß ein Hinweis
auf die seit 1970 erscheinende Zeitschrift „Linguistica Bibli-
ca", die auch schon praktisch-theologische Fragen verhandelte
, nicht einmal im Literaturverzeichnis auftaucht.

Hinsichtlich des zentralen Problems von „Sprache und Denken
" wird der Terminus „Sprache" zu undifferenziert verwendet
und die Saussuresche Unterscheidung wie der Zusammenhang
zwischen der universalen »faculte de langage" und
dem konkreten Sprachsystem der „langue" nicht durchgehalten
. Es wird zum Teil so dargestellt, als gäbe es nicht in und
über der jeweils bestimmten „langue" die universale
„faculte de langage". Dies hat z. B. zur Folge, dafi der Autor
sich näher bei Th. Boman als bei J. Barr ansiedelt (21, 287f)
und dem dabei zugrunde liegenden linguistischen Relativitätsprinzip
von Sapir-Whorf zustimmt (160-162), obgleich
dieses Prinzip noch nicht zur Theorie erhoben werden konnte
und im Fortgang der linguistischen Forschung eher überwunden
als bestätigt wurde (vgl. J. D. Apresjan, Ideen und
Methoden der modernen strukturellen Linguistik, Berlin
1971, 45f). Eine zu enge Abhängigkeit der Denkform vom
Sprachsystem und eine dementsprechende Unterscheidung
wie der von hebräischem und griechischem Geist aber ist
zu kurzsichtig an der Oberflächenstruktur fixiert, während
von der Tiefenstruktur her Übergänge aufweisbar sind. Das
hat dann seine Konsequenzen auch für den Bereich der Übersetzung
, für den leider S. 162 nur mit sehr ungeprüften Allgemeinurteilen
argumentiert wird. Dagegen zeigt das linguistisch
fundierte Arbeitsbuch des Weltbundes der Bibelgesellschaften
von Eugene A. Nida - Ch. R. Taber, The Theory
and Practice of Translation, Leiden 1969,4: „Alles, was in
einer Sprache gesagt werden kann, kann auch in einer anderen
gesagt werden." (Auch den Namen des für die kirchliche
Arbeit direkt wichtigen Pionierlinguisten E. A. Nida sucht
man im Buch im Unterschied zu marxistischen Arbeiten vergebens
; vgl. dagegen schon ThLZ 93, 1968 Sp. 174f).

Schließlich sei die Frage erlaubt, ob die Empfehlung eines
„nicht-aktivischen Redens von Gott" (245f) uns wirklich in
die richtige Richtung weist. Hier ist mindestens zunächst
ebenso auf das zu hören, was P. H. Jorgensen, Die Bedeutung
des Subjekt-Objekt-Verhältnisses für die Theologie, ThF 46,
Hamburg 1967 S. 368-385 in § 17 über „Das Verhältnis der
Sprache zur Subjekt-Objekt-Relation und der Mystik" an kritischen
Hinweisen gegeben hat.

Auch wenn man die Lösung mancher der angeschnittenen
Fragen anders sieht als der Autor, so ist ihm doch zu danken
, daß er der kirchlichen Arbeit wie der Praktischen Theologie
das Problembewußtsein für die Wirklichkeit der Sprache
schärft. Man wird mit ihm wünschen, daß sein Ruf zur
Arbeit an empirischen Analysen und zur Zusammenarbeit im
Austausch der Ergebnisse nicht länger ungehört verhallt.

Naumburg Wolfgang Schenk

Roloff, Jürgen (Hrsg.): Die Predigt als Kommunikation.

Stuttgart: Calwer Verlag 1972. 106 S. 8°. Kart. DM 8.50.

Diese Veröffentlichung ist eine Sammlung von Beiträgen,
die zum größten Teil als Referate auf einer Mitarbeitertagung
der Calwer Predigthilfen vorgetragen worden sind.
Der erste Beitrag behandelt die Sprache der Verkündigung
im Prisma der modernen Literatur. Wolfgang Hammer analysiert
eine Vielfalt sprachlicher Mittel, die in der modernen
Literatur üblich sind: Verfremdung, meditative Stilform, Un-