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1973

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 5

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beit von Dvornik dessen neuere und neueste Untersuchungen
neben einer Auswahl anderer Autoren wünschenswert gewesen
. Das gilt ebenso für die Beziehungen zwischen der
Rus und Byzanz, denen der Vf. fortlaufend in allen Kapiteln
seine Aufmerksamkeit schenkt. Das zweifellos reichlich
komplizierte Problem der warägischen und der slavischen
Rus erscheint mir etwas zu undifferenziert wiedergegeben
zu sein (die Rus der S. 247 erwähnten Annales Bertiniani
gehörten ohne Zweifel zu den ersteren, d. h., sie waren
schwedische Waräger. Daneben gab es aber im 9. Jh. „Rus"
als Bezeichnung der slavischen Bevölkerung). Aufs Ganze
zeigt sich Vf. aber auch über die Randgebiete seines Fachbereiches
bestens informiert. Es ist sehr zu begrüßen, daß in
einem solchen, einen weiten Leserkreis erfassenden Handbuch
die Tätigkeit der byzantinischen Slavenlehrcr Kirill
und Method im großen historischen Kontext und in Verbindung
mit dem Patriarchen Photios gedacht wird (S. 298f). In
der Literatur wäre wiederum eine Ergänzung anzumelden i
Franz Grivec, „Konstantin und Method. Lehrer der Slaven",
Wiesbaden 1960. Um sogleich bei den Ergänzungen zu bleiben
: Zur Kirchen- und Theologiegeschichte: Werner Eiert,
„Der Ausgang der Altkirchlichen Christologie", (West-)Berlin
1957; Byzanz und die Juden jetzt Michael Avi-Yonah, „Geschichte
der Juden im Zeitalter des Talmud", (West-)Berlin
1964; Bogomilen: D. Angelov, „Bogomilstvoto v Bolgarii",
Sofija 1961-; Dmitri Obolensky, „The Bogomils. A Study in
Balkan Neo-Manichaeism", Cambridge 1948; Hesychasmus:
Jean Meyendorff, „Introduction ä l'Etude de Gregoire Pala-
mas", Paris 1961. Als prekär erscheint der fast völlige Ausfall
der sowjetischen Fachliteratur. Zumindest hätte doch
die dreibändige Istorija Vizantii, Moskau 1967, erwähnt werden
sollen. Dieser Mangel ist um so auffälliger, als Vf. indirekt
mit Auffassungen sowjetischer Forscher, wie etwa
Frau Z. V. Udal'cova, M. V. Levcenko, E. E. Lipäic, M. Ja.
Sjuzjumov u. a. bekannt zu sein scheint, jedenfalls sich z. T.
mit ihnen auseinandersetzt. Zu den nicht wenigen wertvollen
Aspekten des Buches gehört die Zerstörung des bei vielen
Gebildeten und Belesenen immer noch lebendigen Mythos
von der Erstarrung der byzantinischen Kultur in allen ihren
Bereichen. Nachdem H.-G. Beck verschiedentlich gezeigt hat,
wie stark der Begriff der „oikonomia" Recht, Jurisdiktion,
Kultus, Disziplin und Frömmigkeit nicht nur in der Kirche
regulativ beherrschte, weist W. im einzelnen nach, wie sich
unter Beibehaltung bestimmter Modelle Institutionen, Formen
und Erscheinungen der verschiedensten Kulturbereiche
im Laufe der Jahrhunderte nach durchaus pragmatischen
Gesichtspunkten wandelten und „gelungene Improvisationen
" darstellen. Ein weiteres Verdienst der Darstellung von
W. ist es, gezeigt zu haben, daß die byzantinische Kultur
keineswegs nur vom Sakralen her zu verstehen ist, wie es
leicht nach dem obenerwähnten ausgezeichneten Buch von
Hunger erscheinen könnte, sondern ebenso aus einer Fülle
von außersakralen Bereichen, wie z. B. Medizin, Pharmakologie
, Astronomie, Mathematik, Geometrie, Fortifikations-
wissenschaften, Philosophie, Literaturwissenschaften, Rechtswissenschaften
. Die sie einende Klammer blieb die antike
Tradition und die mit ihr oft genug in Spannung stehende
christliche Lehre orthodoxer Prägung. Die Theologie ist das
Schicksal von Byzanz geworden. Das Reich zerbrach, weil es
an ihr vorbei (mit Hilfe der gemeinsamen Bildung in Ost
und West) keine Union des Geistes geben konnte. „Die Emigration
des Geistes" (S. 508-512) beschreibt deshalb die
heute noch kaum zu unterschätzenden Nachwirkungen der
byzantinischen auf die Kultur Europas.

Nach Aufbau, Inhalt und Bildinformation dürfte das Werk
des Vf.s vorläufig vorbildlich bleiben. Es ist nicht nur einem,
für manchen vielleicht erstaunlichen Informationsbedürfnis
weiter Kreise entgegengekommen, es hat auch verstanden,
dieses Bedürfnis für wenigstens eine Generation didaktisch
zu formen und zu prägen.

Halle (Saale) Konrad Onasch

Kesting, Marianne i Zwischen Anarchie und Vorplanung. Zur

Funktion der Kunst in der Industriegescllschaft (Kunst

und Kirche 35, 1972 S. 166-173).
Rombold, Günter: Die Frage nach dem Ort der Kunst (Kunst

und Kirche 35, 1972 S. 161-165).
Ruhrberg, Karl: Ist Kunst überflüssig? Mutmaßungen über

den Sinn von Kunst (Kunst u. Kirche 35, 1972 S. 161-165).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Rumscheidt, H. Martin, Prof.: Revelation and Theology. An

analysis of the Barth-Harnack corrcspondencc of 1923.
London i Cambridge University Press 1972. X, 219 S. 8° =
Monograph Supplements to the Scottish Journal of Theology
, ed. by T. F. Torrance and J. K. S. Reid. Lw. £ 3.40.
Der Autor, Assistant Professor of Historical Theology an
der University of Windsor'Canada, bietet - nach einer kurzen
Einführung, in deren Rahmen er die Beziehung zwischen
Barth und Harnack zu verdeutlichen sucht - zum ersten
Mal in englischer Sprache eine vollständige Übersetzung
dos gesamten Briefwechsels zwischen Karl Barth und Adolf
von Harnack aus dem Jahre 1923, analysiert den Text der
fünf (eine wichtige kirchen- bzw. dogmcngcschichtüchc Zäsur
markierenden) Dokumente. Darin liegt ein wesentliches
Verdienst dieser Arbeit.

Im Schlußteil der Untersuchung wird auf knapp dreißig
Seiten der Versuch unternommen, die gewonnenen Einsichten
für die heutige theologische Reflexion fruchtbar zu machen
. Im Blick auf diese letzten Partien, die am deutlichsten
die theologischen Intentionen des Vf.s widerspiegeln, sind
es vor allem zwei Punkte, die unsern Widerspruch herausfordern
oder jedenfalls den Wunsch nach differenzierterer
Darstellung wecken.

Da wäre zunächst auf S. 172 zu verweisen, wo es heißt:
„The creation of faith is not within the power of man's spca'k-
ing about God. The actual understanding of God and faith
in him derive from a source outside of man's way of speak-
ing about Gcd. Harnack and Barth were both aware of this."
So, wie der letzte Satz hier steht, verwischt er den entscheidenden
Unterschied zwischen Harnack und Barth. Ihn herauszustellen
, ist der Vf. zwar über weite Strecken seines
Buches bemüht, doch müßten sich gerade im Schlufjteil die
Konsequenzen deutlicher abzeichnen. Rumscheidt müßte
solch eine richtige Feststellung wie etwa auf S. 119 auch an
unserer Stelle kompromißlos anwenden. S. 119 nennt er Har-
nacks Theologie eine „idealistic-scientific theology" und
spricht von dessen „Christocentrism depended on the criti-
cal-historical theology". Ganz davon abgesehen, halten wir
es für angemessener, bei Harnack von einem Jesuanismus
mit antidoketischer Frontstellung zu sprechen. Von Christologie
kann im Rahmen der Harnackschen Theologie im
Ernst keine Rede sein. Und auf diesem Hintergrund wird
man denn auch - will man über die Wurzeln bzw. die Entstehung
des Glaubens nachdenken - Barth und Harnack
nicht in einem Atemzug nennen können.

Harnack ist es möglich, die Religion (was ihm identisch
ist mit dem Christus-Glauben) zu bestimmen als „höheren
Selbsterhaltungstrieb . . . nicht bezogen . . . auf das empirische
Ich und das irdische Leben, sondern auf einen inneren
Kern dieses Ichs, der in . . . der Welt der Freiheit und des
Guten, seine eigentliche Heimat erkennt" (Reden und Aufsätze
. Neue Folge, Bd. II, S. 56). Oder er bezieht die Kräfte
des Evangeliums „auf die tiefsten Grundlagen menschlichen
Wesens und nur auf sie; lediglich hier setzen sie ihren Hebel
an. Wer daher nicht auf die Wurzeln der Menschheit
zurückzugehen vermag, wer sie nicht empfindet und erkennt
, der wird das Evangelium nicht verstehen" (Wesen
des Christentums, S. 75). Solche Aussagen unterscheiden ihn
aber nicht nur quantitativ von Barth.