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Ausgabe:

1973

Spalte:

362-367

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte des Kirchenkampfes 1973

Rezensent:

Niemöller, Wilhelm

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361

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 5

362

ausschließende Seinsweisen des ganzen Menschen" (271).
Gleichzeitig wird aber Luther der Simul-Aspekt von neuem
wichtig.

Man kann die vorliegende Arbeit nur mit großem Respekt
vor der in ihr enthaltenen Leistung zur Kenntnis nehmen.
s'e stellt auch komplizierte Sachverhalte übersichtlich und
methodisch überzeugend dar und läßt den Leser an der großen
Bewegung teilhaben, die sich in Luthers Denken von der
Frühzeit bis zur Reife seiner Theologie vollzog. Wie sie
Stellung zu aktuellen Forschungsproblemen bezieht, ist etwa
in der Antithese zu Bizers Position in Fragen der eigentlichen
Wende zum Reformatorischen hin erkennbar: Vf. sieht die
Definition von Evangelium als promissio bereits als Folge
der sog. reformatorischen Wende an (184). Instruktiv sind
auch Anmerkungen, die im Umfang kleiner Exkurse auf die
Begründung der Ethik (123f) und auf das Verhältnis von
extra nos und pro me (149f) eingehen. Wichtig ist auch die
Korrektur, die Vf. für die Verhältnisbestimmung von Akt
der Verkündigung und vorgegebener Schrift in Luthers Wortverständnis
anbringt (240).

Hier und da wird man eine Lücke in der Verarbeitung
vorliegender Literatur feststellen, so etwa hinsichtlich der
Arbeit von M. Seils: Der Gedanke vom Zusammenwirken
G°ttcs und des Menschen in Luthers Theologie, Berlin 1962.

Nicht ganz befriedigend sind manche Passagen über Luthers
Sakramentsverständnis. Die (heute weithin gängige)
Aussage, nach Luther sei das Sakrament „eine andere Weise
des Wortgeschchens" (228), ist geeignet, auf Luther nicht zutreffende
Assoziationen wachzurufen. Zwei Lutherzitate in
diesem Zusammenhang sind ungenau bzw. nicht zutreffend
Wiedergegeben: WA 18, 193, 34-37 (255) und WA 18, 204,
(Luther spricht hier eben nicht vom „verheißenden Wort
des Sakraments") (247). Ist es Vf. selbst an dieser Stelle nicht
genügend gelungen, sich von der .antiken Signifikationshermeneutik
" zu lösen? Interessant wäre es, in diesem Zusammenhang
einmal der Behauptung von Frido Mann (Das
Abendmahl beim jungen Luther, München 1971, S. 74ff) nachgehen
, bei Luther habe sich die theologische Verbindung
zwischen Wort und Sakrament um 1519 - also in
der Periode der Profilierung der reformatorischen Entdek-
kur>g - stark gelockert und sei erst in der Auseinanderset-
Zun3 ab 1522 wieder enger geworden (ebd. S. 140ff).

Überhaupt bleibt zu fragen, ob der Eindruck zu Recht be-
steht, den die vorliegende Arbeit hinterläßt, daß die Entwicklung
der theologischen Gedanken Luthers in der vom
Vf- beschriebenen Periode seines Denkens wirklich stetig
Und geradlinig verlaufen ist. Vf. selbst macht gelegentlich
auf Unausgeglichcnhcitcn aufmerksam (vgl. S. 103 Anm. 48
interessanterweise geht es hier um die Hebräerbriefvor-
'esung, die, wenn nicht alles täuscht, eine Sonderstellung in
Luthers Entwicklung einnimmt).

ßei der Diskussion der sprachlichen Wurzel der Wendung
e*tra nos wäre die Einbeziehung des transitus-Begriffs beim
,ungen Luther fruchtbar gewesen. Es könnte sogar sein, daß
Slch dabei auf dem reichhaltigen patristischen und liturgi-
Schen Hintergrund des Begriffs transitus noch ein differen-
^erteres Bild der Herkunft der Wendung extra nos aus der
Mystik ergeben hätte.

Druckfehler: S. 94 letzte Z.: Gen. 12,1. S. 127 Abs 2 Z. 11:
r3^ S. 196 Abs. 3 Z. 8: daß. S. 207 Z. 5: -gelii. S. 219 Anm.

13 Z. 5: Christus. S. 262 letzte Z.: Oeko-.
Inzwischen geht die Erforschung des jungen Luther wei-

Cr (vgl. o. Bayer: Promissio. Geschichte der reformatori-
fehen Wende in der Theologie Luthers, Göttingen 1971). Es

c-steht kein Zweifel daran, daß die vorliegende Arbeit ihren

"übersehbaren Platz in dieser Forschungsarbeit behaupten
Wird.

Eisenach Ernst Koch

llT>er, Hermann: Valentin Vannius und die Reformation
lr» Württemberg (Thcol. Diss., Tübingen 1972).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Zur Geschichte des Kirchenkampfes. Gesammelte Aufsätze,

II. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1971. 332 S. gr. 8°

= Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes, hrsg. v. H.

Brunotte u. E. Wolf f. 26. Kart. DM 40.-.

Manchmal scheint es doch gut zu sein, wenn Sammelbände
wie der hier vorliegende nicht allzu planvoll „aufgebaut"
werden, wenn vielmehr zusammengetragen wird, was verschiedene
Autoren zum gleichen Gesamtthema gerade durcharbeiten
und zur Kenntnis geben oder zur Diskussion stellen.
Bereits im Jahre 1965 war ein Band I Gesammelte Aufsätze
in der gleichen Sammlung erschienen. Man wird von diesem
wie von jenem sagen müssen, daß gute Arbeiten geliefert
wurden und daß gerade durch die Verschiedenheit der Themen
ein gutes Gesamtbild erzielt wurde. Die seit langer
Zeit drohende Gefahr, daß die Geschichte des Kirchenkampfes
sich in eine Geschichte der Umwelt, der politischen Kräfte,
des „Widerstandes" auflösen würde, und daß für die Kirchen-
geschichtc nicht viel mehr übriggelassen würde als ein bißchen
Chronologie und Territorialgeschichte, scheint gebannt.
Eine völlige Verkennung dessen, „was die Welt bewegt",
wäre ja auch ein trauriger Epilog.

Es ist bei den zwölf Beiträgen, die hier vorliegen, unmöglich
, dem einzelnen Verfasser und seinem Anliegen gerecht
zu werden. Manches, was in der Besprechung zu kurz kommt,
wird später schon zu seinem Recht und zu seiner Geltung
gelangen. Die Hauptsache ist, daß man feststellen kann, daß
die Forschung sich nicht festgefahren hat, und daß noch einiges
zu tun übrigbleibt, was für die junge Generation sicher
die Freude an diesem Thema stärkt, was aber auch davon
Zeugnis ablegt, daß Vorstellungen, Motive, Zielsetzungen aus
der Zeit des Kirchenkampfes noch virulent sind.

Die inzwischen allenthalben anerkannte Gewißheit, daß
man den Kirchenkampf nicht isoliert darstellen kann (der
Weg zu dieser Einsicht war reichlich lang und beschwerlich!),
hat Kurt M e i e r zu einer Studie über „Die Religionspolitik
der NSDAP in der Zeit der Weimarer Republik" geführt.
Seine große Arbeit über die Deutschen Christen aus dem
Jahr 1964 ist bekannt. Die Namen von Schönerer, Ludendorff
, Dinter, Buttmann, Feder und Rosenberg lassen die
Spannweite dieser seiner neuen Arbeit erkennen, aber auch
die Schwierigkeit, die Ansichten der unzähligen Individualisten
in der Partei und unter den Sympathisanten zu ordnen
oder gar unter einen Hut zu bringen. Wo zur Sache geredet
werden müßte, flüchtet man sich in der „Religionspolitik
" in allgemeine Redensarten. Wo man sich selbst in Verlegenheiten
bringt, spricht man von „Privatarbeiten" einzelner
. Gerade über d i e Privatarbeit Rosenbergs und über den
Mißbrauch dieser Etikettierung in der Auseinandersetzung
mit den Kirchen wäre noch einiges anzubringen. Die Arbeit
des Reichsleiters war „Privatarbeit". Aber der Vf. war sakrosankt
. Wer seine Privatarbeit angriff, war Staatsfeind oder
Volksfeind. Frage: Hat es eine „Religionspolitik der NSDAP"
in der Weimarer Republik gegeben?

Während John S. C o n w a y den Versuch macht, über
„Staatliche Akten zum Kirchenkampf, Archive und Bestände"
zu referieren, ohne freilich eine Anregung dazu zu liefern,
wie man aus dem desolaten Riesenwust einen möglichen
Ansatzpunkt für Kenntnis, Erkenntnis und Geschichtsschreibung
des Kirchenkampfes gewinnen kann, gibt uns Oskar
Söhngen in erzählender Form einen Bericht über „die Reaktion
der .amtlichen' Kirche auf die Einsetzung eines
Staatskommissars durch den nationalsozialistischen Staat".
Da er selbst um jene Zeit Hilfsarbeiter im Evangelischen
Oberkirchenrat in Berlin war, kann der Vf. sachliche Kenntnis
und persönliche Erfahrung miteinander verbinden und
dadurch besonderes Interesse wecken. Allerdings bringt er
eine Reihe von Dokumenten zur Sache an, die bereits mehrere
Male gedruckt wurden, zu denen das Gespräch zwischen