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Ausgabe:

1973

Spalte:

13-19

Autor/Hrsg.:

Schenke, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

"Die Taten des Petrus und der zwölf Apostel" 1973

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 1

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„Die Taten des Petrus und der zwölf Apostel'

Die erste Schrift aus Nag-Hammadi-Codex VI

eingeleitet und übersetzt vom
Berliner Arbeitskreis für koptisch-gnostische Schriften*

Die erste Schrift des NHC VI (p. 1-12; Titel abgekürzt:
ActPt), die seit kurzem - durch die Faksimile-Edition des
ganzen Codex1 - für die wissenschaftliche Erschließung
zur Verfügung steht, ist eine unorganische, von Widersprüchen
und Ungereimtheiten durchzogene, aber merkwürdigerweise
dennoch als in sich geschlossene Einheit
wirkende, vulgär-christliche Komposition von geradezu
surrealistischem Charakter. Vielleicht ist das problematische
Verhältnil des in der Schrift Berichteten zur
Wirklichkeit das Allerauffälligste an ihr und zugleich der
Schlüssel zum Verständnis ihres "Werdens. Kurz, man hat
sich wohl vorzustellen, daß ActPtim Prinzip durch Historisierung
einer Visionsschilderung oder einer Allegorie
entstanden ist.

Damit ist vorweggenommen, was als letztes Ergebnis
einer Motiv-Analyse von ActPt herauskommen könnte.
Es finden sich hier nämlich in großer Dichte lauter anderswoher
wohl vertraute Motive, nur eben in problematischer
Zusammenfügung und Verflechtung. Der Visionsaspekt
wird besonders deutlich in der Szene, wo Petrus
die Stadt im Meer von Wogen und Mauern umgeben sieht
(p.6,28ff). An den Sachverhalt der Allegorie fühlt man
sich erinnert durch die Art, wie von der Gefährdung des
Wandels auf dem Weg zur Himmelsstadt durch wilde
Tiere gesprochen wird, zumal der Begriff parabole selber
im Text erscheint (p. 10,24). In diesem Zusammenhang
sind dann auch die symbolischen Namen der irdischen wie
der himmlischen Stadt zu sehen (vgl. zum Prinzip solcher
Namen z.B. Jes 1,26; 60,18; 62,4.12; Jer 3,17; 33,16; Ez
48,35; 2 Tim 2,19), wie ja denn die kleine Stadt im Meer
und die Stadt des Lithargöel selber die Welt und das
Himmelreich symbolisieren. Das Motiv, daß die Apostel
im Himmel den Auftrag zur Weltmission bekommen, ist
uns auch aus dem Buch der Einsetzung des Erzengels
Michael bekannt. (CD.G.Müller [ed.]: Die Bücher der
Einsetzung der Erzengel Michael und Gabriel, CSCO
225/226 [= Scriptores Coptici 31/32], Louvain 1962.) Es
heißt da CSCO 226, S.71, 7-13: „Der Heiland sprach zu
ihnen (den Aposteln): .Erhebt Euch, gehen Wir zum Vater
, daß Er Euch segne, und Ihr loszieht und in der ganzen
Welt predigt'. Und wir begaben uns in den Himmel
mit Michael und Unserem Heuand. Wir kamen zu dem
ersten Tor. Die Engel beteten Ihn (seil, den Heiland) an,
und Er brachte uns zu allen Toren. Alle Engel beteten
Ihn an, indem sie Ihn priesen. Er stellte uns vor Seinen
Vater, Der uns segnete." (Übers.: Müller; Kopt. Text:
CSCO 225, S. 59,7-12.) Dieser Text ist zugleich eine
Illustration des symbolischen Namens der Himmelsstadt
: „Tn neun Toren laßt uns Gott preisen / bedenkend,
daß das zehnte das erhabenste ist" (p. 6,23-26). Im
Hintergrund steht eine Vorstellung, wie sie in ihren
charakteristischen Modifikationen durch die Transponierung
Jerusalems und seines Heiligtums in den Himmel
zustande gekommen ist. Aus den Toren der einen Stadtmauer
bzw. des einen Heiligtums werden Tore, von denen
je eins durch je eine der hintereinander liegenden kosmischen
Ringmauern ( = Firmamenten) führt, die das
himmlische Jerusalem umschließen. Die Zahl der Mauern
und Tore richtet sich nach der Zahl der Himmel, oder die
Zahl der Himmel ergibt sich umgekehrt aus der Zahl der
Tore des wirklichen oder idealisierten Jerusalem. In der
„Einsetzung Michaels" z.B. sind zwölf Mauern mit je
einem Himmelstor vorausgesetzt (zwölf Mauern und zwölf

Tore auch ApcPl 23. 29 [Hennecke/Schneemelcher II
550f. 552]). In ActPt sind es zehn. Das entspricht zunächst
einmal den zehn Himmeln von ApcPl NHC V.
Aber es wird außerdem deutlich - aus den genannten
Zahlen und dem kultischen Ton des Satzes (vgl. bes. Ps 24
und 100) -, daß die Grundlage der Metamorphose hier die
zehn Tore des herodianischen Tempels sind (vier von Süden
, vier von Norden, zwei [hintereinander] von Osten;
vgl. Jos. bell. V5,2f [§190-206]). Das zehnte Tor unseres
Textes wäre demnach nichts anderes als die kosmische
Version des sog. Nikanor-Tores, das unmittelbar zum
Thron Gottes führt.

Für das Motiv, daß das Paradies' bzw. das himmlische
Jerusalem als Stadt Christi gilt, die er entsprechend
„meine Stadt" nennt, vgl. ApcPl 22-24 (Hennecke/
Schneemelcher II 550f). Unser Text bekommt gegen Ende
•/Am Stichwort „die Reichen" plötzlich einmal den Aspekt
einer Kirchenordnung. Allgemeine paränetische Topoi
sind häufig (vgl. zur These, daß die Geduld die Grundtugend
sei (p. 7,6-8), z.B. Test Jos 2,7; 10,1; 17,1; 4Makk;
1 Kor 13,4-7; Tit 2,2), ebenso wie biblische Motive überhaupt
, von denen das Wiedererkennungsmotiv, das hier
auf Petrus übertragen und besonders ausgestaltet ist
(p. 9,1 ff), noch hervorgehoben zu werden verdient. Das
plötzlich, im Widerspruch zum Titel auftauchende Motiv
der elf Jünger (p.9,20-22) verrät, daß hinter der betreffenden
Szene eine Östergeschichte steht.

Das Charakteristischste aus dem Einzelmaterial von
ActPt ist zweifellos die Gestalt und der Name des Lithargöel
, unter denen Jesus hier erscheint. Dieser Name
ist, wie es scheint, extrem selten. Bislang war nur ein einziger
Beleg anderswo aufzufinden; der allerdings ist
außerordentlich aufschlußreich, da er mit dem Namen
zugleich auch die Sache betrifft. Er findet sich, nur leicht
modifiziert, im Buch der Einsetzung des Erzengels Gabriel
, u. zw. als Name des fünften und letzten einer Gruppe
von fünf Engelfürsten (1. Üriel; 2. Sürathiel; 3. Dauei-
thael; 4. Icremiel; 5. Litharküel), die, neben anderen
Engelfürsten, vor Jesus und den Aposteln erscheinen und
sich vorstellen. Die entscheidende Stelle lautet (CSCO
226, S.86,23-25): „Der fünfte Engel antwortete: ,Ich bin
Litharküel, in dessen Hand der Arzneikasten ist, gefüllt
mit Lebensmedizin - ich heile jede Seele. ...M" (Ubers.:
Müller; kopt. Text: CSCO 225, S.71,3-5.) Es ist unmittelbar
deutlich, daß der Engel-Charakter des Lithargöel
offenbar das ursprüngliche ist, die Beziehung auf Jesus
mithin sekundär. Lithargöel ist also eigentlich ein jüdischer
Engel mit der speziellen Aufgabe des Heilens von
Körper und Seele, so etwas wie ein jüdischer Askle-
pius. Das heißt wiederum, der ursprüngliche Kontext der
Gestalt des Lithargöel ist nur in der zweiten Hälfte von
ActPt noch zu fassen: Er gehört als himmlischer Arzt ins
himmlische Jerusalem. Von der mehr als merkwürdigen
Kleidung, die Lithargöel bei seinem Auftreten in der
Inselstadt trägt, ist nur der goldene Gürtel noch ein Zeichen
, daß er eigentlich ein Engel ist (vgl. zu diesem
Engelattribut z.B. ApcPl 12 [Hennecke/Schneemelcher II
543]; Einsetzung Gabriels, CSCO 226, S.78,2-4 bzw.
CSCO 225, S. 64,11-13), das übrige dürfte biblizistischc
Phantasie sein und die Bekleidung des Begrabenen mei
nen, während Füße, Hände und ein Teil der Brust wohl
eigentlich nur deswegen frei sind, daß man die Wunden des
Gekreuzigten sehen können soll.