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Ausgabe:

1973

Spalte:

350-351

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Trilling, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zum zweiten Thessalonicherbrief 1973

Rezensent:

Marxsen, Willi

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 5

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Weise herangezogen. Die Darstellung ist klar und stets charismatischer Manier ausschließlich den Juden lange vor

streng sachbezogen. 70 eine prophetisch-apokalyptische Botschaft im Rahmen

In einem ersten Teil (S. 13-79) wird der Nachweis ver- akuter Naherwartung verkündigt - wie kommt es dann

sucht, dar} in Q eine akute Naherwartung der Basileia begeg- überhaupt zu einer Schrift? Wie erklärt es sich ferner,

net. Dieses Urteil wird vor allem durch eine Auslegung der daß in dieser Schrift ausgesprochen hellenistische und chri-

Verkündigung Johannes des Täufers (Mt 3,7-12 par) und stologisch entwickelte Stücke begegnen wie die Versuchungs-

des .Stürmerspruchs' (Mt 11,12-15) gewonnen. „Das Auf- geschichte und die Wundererzählung vom Hauptmann zu Ka-

treten des Johannes markiert den Wendepunkt der Zeiten, pernaum? Diese Geschichten wie auch z. B. das Apophthegma

mit ihm beginnt die Endzeit" (S. 78f). mit der Täuferanfrage (Mt 11,2-6 par) oder das Logion von

Der zweite Teil (S. 82-233) steht unter der Überschrift: der Einheit des Vaters mit dem Sohn (Mt 11,27 par) sind von
Jesus, der Menschensohn'. In der Spruchquelle wird der der Feststellung, Johannes der Täufer bringe die Äonen-
kommende Menschensohn mit Jesus identifiziert. Diese Iden- wende, zu weit entfernt, als daß man dabei mit einer Ent-
tifizierung geschieht auf Grund des Ostergeschehens. In Lk wicklung innerhalb der Gruppe um Q rechnen könnte;
10,21f par findet der Vf. in einem kühnen Beweisgang den eine solche Entwicklung zu hoch differenzierten christologi-
Beleg für seine These, der Gruppe um Q seien durch die sehen Aussagen ließe sich m. E. auch nicht mit Hilfe der von
österliche Apokalypsis die Rolle Jesu als des kommenden P. Hoffmann angenommenen apokalyptischen Identifizierung
Menschensohnes und im Zusammenhang damit die bleibende Jesu und des kommenden Menschensohnes erklären.
Geltung seiner Botschaft deutlich geworden; die Naherwar- Diese Identifizierung hat in der Spruchquelle allerdings
tung verbiete es dieser Gruppe freilich, die gegenwärtige stattgefunden, aber sie in einem Ostererlebnis der Gruppe
Herrschaft des Erhöhten als eine weitere christologische Stufe um Q selbst begründet zu sehen, bleibt ein bloßes Postulat
zu installieren. Eine Exegese der einschlägigen Menschen- des Verfassers, und ein unwahrscheinliches zumal, solange
sohn-Logicn unterstützt diese These. Die Identifizierung Jesu er mit guten Gründen daran festhält, daß Q keinerlei Oster-
m't dem Menschensohn überformt eine ältere Prophetenvor- Überlieferung kennt. Wie P. Hoffmann mit Recht beobachtet,
Stellung, wie sich unter anderem darin zeigt, daß der Tod wird in Q die Menschensohnwürde Jesu nie thematisiert;
Jesu in Q als Prophetenschicksal gedeutet wird. Mit der dieser Tatbestand erklärt sich m. E. nur dann, wenn die Ein-
°sterlichcn Identifizierung Jesu und des Menschensohnes heit von Jesus und Menschensohn nicht eine in der Q-Gruppe
'öst sich die Gruppe um Q aus dem Kreis der Anhänger des selbst sekundär gewonnene Erkenntnis ist, sondern der alten
Taufers, dem sie ursprünglich ganz integriert gewesen sein Q-Tradition erst von einer kirchlichen Redaktion aufge-
muß, da sie den Anfang der Endzeit mit Johannes und sei- pfropft wurde.

nem Auftreten ansetzt. Überhaupt sind die theologischen Differenzen im Q-Stoff

Im dritten Teil (S. 236-331) untersucht Paul Hoffmann die größer, als es in den Studien des Vf. und in den von ihm

«otensprüche in der synoptischen Tradition, Er rekonstruiert ausgewählten Texten sichtbar wird. Die von P. Hoffmann

sehr sachgemäß aus Mt 9,35-11,1 par die Botenrede der vor anem untersuchte alte Traditionsschicht ist vofn keryg-

bPruchquclle und entnimmt dieser Rede sodann wesentliche matischen Christentum weit entfernt; sie enthält aber die

inhaltliche Momente der Verkündigung der Gruppe um Q, früheste und am meisten authentische Jesusüberlieferung,

wie Jesus und in der Erwartung seiner selbst als des die wir besitzen; die jüngste Schicht in Q ist durchaus keryg-

Wenschensohnes die Nähe des Gottesreiches ansagt, das Tun matisch und christologisch geprägt und verrät zugleich ein

«er Worte Jesu als Weg zur Rettung anpreist und sich dabei ganz sekundäres Stadium der Jesusüberlieferung. Das Rätsel

^°r allem in antizelotischer Tendenz auf das Gebot der Fein- von q wjrd man nur iösen können, wenn man diese Kluft

desliebe stützt;----die Boten eilen von Ort zu Ort, bemüht, nicht verdeckt, sondern aufreißt, zumal sie auch formge-

Tp -Söhne des Friedens' zu sammeln. Sie heilen unter ihnen schichtlich beobachtet werden kann: die alte, vorchristologi-

«e Kranken und bringen ihnen die freudige Nachricht von sche Schicht enthält nur Logien; Apophtegmen, Wunderüber-

°er Nähe des Reiches, vom Ende aller Drangsal" (S. 311). lieferung und Erzählgut, durchweg an den Anfang der

Mit .Zusammenfassung und Fragen' schließen die Studien Spruchquelle plaziert, gehören dagegen ausschließlich der

»■ 331-334). Der Verfasser fragt, ob wir es bei der hinter späten, der christologischen Schicht an.

^ stehenden Gruppe mit den ehemals regulären Trägern der Erst wenn man von der vor auem durcn das lukanische
ruhen urchristlichen Mission zu tun haben und ob in ihrem Geschichtsbild suggerierten Annahme des einheitlichen Ur-
«eich die Jesus-Überlieferung weitergegeben wurde. sprungs aller christlichen Traditionen in der Jerusalemer
So zweifelsfrei auch angesichts der Existenz der Spruch- Urgemeinde Abstand nimmt, wird man m. E. der alten
quelle das letztere anzunehmen ist, so zweifelhaft ist das Spruchüberlieferung und ihrer Redaktion einen konkreten
erstere. Paulus bezeugt in 1 Kor 15,1-11 und öfter die funda- historischen und theologischen Ort zuweisen können. Galiläa
' entale Gemeinsamkeit im Christuskerygma, welche die Je- z. B. vermittelte seine eigenen Jesustraditionen, und Jerusa-
^usalemer Urgemeinde und seine eigene Mission verbindet. lern spielt nicht von ungefähr in der alten Q-Schicht nur als
'es gemeinsame Kerygma von Kreuz und Auferstehung ist Stadt der Prophetenmörder eine Rolle; die Jerusalemer Außer
den von P. Hoffmann beschriebenen Trägern der Spruch- toritäten sind der Spruchquelle fremd,
erlicferung ebenso fremd wie umgekehrt die Menschen- Dje eindringlichen Analysen Paul Hoffmanns lösen des-
'merwartung dem Kerygma. Die von P. Hoffmann mit halb das Rätsel der Spruchquelle noch nicht, aber ich bin
echt so genannte ,Gruppe' um Q steht also außerhalb des überzeugt, daß sie sich im Rahmen einer umfassenden Lö-
on Petrus zu Paulus führenden kerygmatischen Tradition*- sung weitgehend bewähren werden.
,anSrs, wie auch das Fehlen von Jcsusüberlieferung bei Pau- „ ,, , ,, , , ., ,

Us zeigt Berlin Walter Schmithals

Diese Einsicht führt zu Fragen an die Untersuchung Paul
M°ffmanns, deren Ergebnisse im einzelnen ich übrigens weitgehend
für richtig halte. Aber diese Ergebnisse sind auf einer Trilling, Wolfgang: Untersuchungen zum zweiten Thessalo-
f<*r schmalen Textbasis gewonnen. Nur darum kann sich nicherbrief. Leipzig: St. Benno-Verlag 1972. 176 S. gr. 8° =
beispielsweise der Vf. durch die berechtigte Kritik an den Erfurter theologische Studien, im Auftrag des Philos.-theol.
unzureichenden Versuchen von D. Lührmann und A. P. Polog, Studiums hrsg. v. E. Kleineidam, H. Schürmann u. W.
Tl'adition und Redaktion in Q zu scheiden, dazu verleiten Ernst, 27. Kart. M 19.50.

assen, das Problem solcher Scheidung überhaupt zu ver- Das Hauptproblem des zu rezensierenden Buches kreist

nach]ässjgen Wenn P. Hoffmann zufolge die Gruppe um Q immer wieder um die Frage der „Echtheit" oder „Unechtheit"

ln großer Nähe zu Johannes dem Täufer und zu Jesus in des Briefes. Ein Konsensus ist darüber bis heute nicht er-