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Ausgabe:

1973

Spalte:

310-312

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Haussherr, Reiner

Titel/Untertitel:

Michelangelos Kruzifixus fuer Vittoria Colonna 1973

Rezensent:

Dinkler- von Schubert, Erika

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309

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 4

310

Nubian" die christliche Periode gemeint, aus der die
*unde in diesem Bande bearbeitet sind.

Vergleichen wir Säve-Söderberghs Abriß der nubischen
beschichte mit dem älteren Standardwerk von Ugo Monieret
de Villard (Storia della Nubia cristiana, Rom 1938),
so wird der enorme Fortschritt deutlich, der durch die
internationale Forschung in Nubien aus den Ergebnissen
der archäologischen Untersuchungen erzielt wurde. Es
mag sein, daß sich noch manche Einzelzüge verschieben
Verden, wenn erst einmal alle Expeditionen ihr Material
lückenlos vorgelegt haben und es in internationaler Zusammenarbeit
ausgewertet worden ist. Aber daß heute ein
solcher Überblick, wie ihn dieser Band enthält, überhaupt
möglich ist, dankt die Forschung - auch die kirchen-
|eschiehtliche - nicht allein dem überragenden Fund der
Ka! hnlrale von Karas und ihren bildlichen und inschrift-
liehen Zeugnissen, sondern auch der minutiösen Einzelheit
in den vom Glück weniger begünstigten Konzessionen
. Sie haben das von K. Michalowski in der Entdeckerfreude
schwungvoll hingeworfene neue Bild ehrist-
hch-nubischer Geschichte schon behutsam korrigiert und
'hm neue Züge hinzugefügt.

Das Faszinierende an diesen Entdeckungen und den
daraus gezogenen oder noch zu ziehenden Folgerungen ist,
daß wir in der Tat, wie es E.Dinkler in seiner Einleitung
£u dem erwähnten Sammelband formuliert hat, die Geburtsstunde
einer neuen Wissenschaft, derNubologie - die
Bezeichnung hat Dinkler vorgeschlagen - miterleben. Was
ln großem Maße ein weißer Fleck auf der Landkarte, auch
''er kirchengeschiehtliehen, die hier am nächsten betroffen
ist, war, nahm nicht nur Konturen an, sondern bietet
S!ch als ein weites Feld intensiver Forsehungsmöglich-
keitcn an. Die genauere und umfassendere Kenntnis der
beschichte des mittelalterlich-christlichen Nubien und seiner
Kirche trägt zudem nicht wenig zur Erhellung der
beschichte des islamischen Ägypten bei. Es sei außerdem
i'ir die Kunstgeschichte darauf hingewiesen, daß die Frage
der Entstehung der christlichen Kunst Äthiopiens durch
die nubischen Funde in ein neues Licht rückt. Aber wir
Weichen vom Thema dieser Besprechung ab. Kehren wir
loch einmal zu Säve-Söderberghs Einleitung zurück, so
Wissen wir Zweifel anmelden an seiner Vermutung, die er
&ls Gewißheit formuliert, daß nämlich der Gegensatz
zwischen privatem Wohnbau und den bescheidenen Kir-
ehenbauten der späten christlichen Periode (nach 1050)
eme steigende Esoterik und eine Entfremdung der Kirche
Vom Volke anzeige. Er übernimmt hier eine Theorie von
"•Y.Adams wohl etwas zu unkritisch. Abgesehen da-
jpn, daß erst das Vorliegen des gesamten Materials aller
Konzessionen endgültige Schlüsse zuläßt, bliebe doch die
Frage nach der zahlenmäßigen Relation zwischen Bevölkerungsdichte
und einerseits Wohnbauten, andrerseits
Kirchenbauten offen. Soweit ich sehe, sind die meisten
"ubischen Kirchen, abgesehen von den großen Kathedralen
, den Bedürfnissen der jeweiligen Gemeinden angepaßte
Zweckbauten und keine Repräsentativgebäude.
Out gebaute Wohnhäuser sagen sicher etwas aus über
Wohlhabenheit und Komfortbedürfnis der Besitzer, kleine
u,id bescheidene Kirchen aber eher etwas über die Größe
der Gemeinde, als über die Haltung der Kirche zur Bevölkerung
. Man sollte m.E. sehr vorsichtig sein bei der
Au.sWertung archäologischer Zeugnisse für Fragen wie die
{lach dem Verhältnis der Kirche zum Volk oder umgekehrt
. So lange keine schriftlichen Zeugnisse für Adams'
"hese angeführt werden können, sollte man sie als Hypothese
und nicht als Aussage werten.

Im Hauptteil des Buches, unterteilt in „I. Churches"
Und ()U Fortifications and Settlements" beschreibt
Gardberg katalogartig folgende Kirchen: Faras, Ufer-
Kirche; Faras, Wüstenkirche; Ost-Serra, Südkirche;
«di Amir cl-Sahaba, Kirche mit umliegenden Fundstätten
und Tinonaman, Kirche; im zweiten Kapitel folgen,
nach Distrikten geordnet, die Funde fortifikatorischen
und Siedlungscharakters. Die Darstellungen folgen alle
dem gleichen Schema: Angabe der Fundortnummer, der
Bezeichnung des Fundes, des Ortsnamens und der Tafeln,
sodann eine geographische Lagebeschreibung; dem folgt
die Fundbeschreibung, die nach Art und Umfang sehr
variabel gehalten wird; dabei verzichtet G. auf eine neuerliche
Beschreibung dann, wenn die Untersuchung die einwandfreie
Richtigkeit eventueller älterer Publikationen
ergaben; sonst wird vor allem die Architektur sehr eingehend
und archäologisch exakt beschrieben. Da Auswertungen
selten sind - sie treten vorwiegend hinter der
Materialvorlage zurück, was m.E. angesichts der Gesamtlage
auf dem neuen Forschungsfeld Nubien richtig ist -,
ist das keine spannende Lektüre, sondern eine zuverlässige
Fundpublikation und damit ein Baustein für das künftige
Gebäude einer umfassenden Darstellung der nubischen
Architektur-, Kunst- und Kulturgeschichte.

Eine ausgewählte Bibliographie schließt den Textteil
ab. Der Abbildungsteil zeichnet sich durch eine überraschende
und dankenswerte Fülle von ausgezeichnet reproduzierten
Grabungs- und Forschungsaufgaben sowie
von Grundrissen, Schnitten u.ä. aus. Er macht den Text
dem Fachmann lebendig und verdient höchstes Lob.

Alles in allem ein gutes, weil ungemein sachliches, und
ein nützliches Buch, weil es bis ins kleine Detail genau
festhält, was gefunden wurde und was seither größtenteils
für immer versunken ist. Bände dieser Art, Produkte einer
hingebungsvollen Kärrnerarbeit, bilden, wenn sie so gemacht
sind wie der hier vorgelegte, eine verläßliche Grundlage
für die weitere Arbeit. Mögen diesem Band bald alle
die Bände folgen, die wie dieser die „nubologischen" Erkenntnisse
, Funde und Untersuchungsergebnisse der verschiedenen
Expeditionen vorlegen, und mögen sie von
gleicher hoher Qualität sein!

Gauting b- München Klaus Wessel

Haussherr, Reiner: Michelangelos Kruzifixiis für Vittoria Colon
na. Bemerkungen zu Ikonographie und theologischer
Deutung. Opladen: Westdeutscher Verlag [1971]. 55 S.,
50Abb. auf 48 Taf. gr. 8° = Wissenschaftl. Äbhandlgn der
Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, 44.
Lw. DM 40,—.

Das aus H.s Antrittsvorlesung in Bonn hervorgegangene
Buch behandelt eine von Michelangelo um 1540
für Vittoria Colonna (gest. 1547) geschaffene Kruzifixus-
Darstellung. Sie ist in zweierlei Hinsicht bedeutend: Iko-
nographisch leitet sie die Entstehung eines neuen Kruzi-
fixus-Typus ein, der neben den seit dem 13. Jh. gültigen
Typus des Christus patiens tritt, und bildet damit „in der
Geschichte der Darstellungen des Gekreuzigten einen Wendepunkt
" (54). Theologisch führt sie in den Umkreis des
.Italienischen Evangeliums' des lö.Jh.s und stellt „ein
wichtiges Zeugnis für die religiöse Gedankenwelt" dar, die
M. in der Freundschaft mit Vittoria Colonna beeindruckt
hat (7). Das Ungewöhnliche der Darstellung beruht - wie
schon M.s Schüler und Interpret A.Condivi 1533 formulierte
- darin, daß der Gekreuzigte „nicht wie üblich als
Toter gezeigt wird, „sondern als Lebender, das Antlitz
zum Vater erhoben als wolle er rufen ,Heli, Heli' und
man sieht den Körper... wie er unter der grausen Marter
sich krümmt und leidet" (12). Auf das künstlerische Vorbild
dieser Leidensdarstellung, den Laokoon, hat H.v
Einem hingewiesen (Anm.39). Biblische Grundlage ist
nicht, wie Vasari irrtümlich annahm, der lukanische Passionsbericht
(Lk 23,46) mit dem Zitat von Ps 30,6 („Vater
, ich befehle meinen Geist in deine Hände"), sondern
Mt 27,46 (u. Mk 15,34) mit dem Wort aus Ps 21,2: „Mein