Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1973

Spalte:

303-305

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Wertelius, Gunnar

Titel/Untertitel:

Oratio continua 1973

Rezensent:

Schellong, Dieter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

303

Theologische Literaturzeiluns 98. Jahrgang 1973 Nr. 4

304

Verzeichnis der gedruckten Schriften Sebastian Francks
und hilfreichen Registern.

Marburg Winfried Zcller

Wertelius, Gumiar: Oratio Continua. Das Verhältnis zwischen
Glaube und Gebet in der Theologie Martin Luthers. Lund:
Gleerup 1970. 396 S. gr. 8° = Studia Theologica Lundensia,
Skrifter utgivna av Teologiska Fakulteten i Lund, 32. hfl.
40,-.

Der Verfasser hat sich vorgenommen, Luthers theologische
Auffassung vom Gebet darzulegen und deren
Stellenwert in der Gesamttheologie Luthers auszumachen.
Die These des Buches ist, daß die Lehre vom Gebet die
ganze Theologie Luthers durchzieht, d.h., daß jede theologische
Aussage mit dem Gebet zu tun hat und daß umgekehrt
die theologische Auffassung vom Gebet in jedem
Teilbereich der Theologie Luthers zur Geltung kommt.
Die Durchführung dieser These brachte es mit sich, daß
der Vf. eine Art Gesamtdarstellung der Lehre Luthers geschrieben
hat, um zu zeigen, wie in jedem Stück das Gebet
eingeschlossen ist bzw. wie das Gebet zu den einzelnen
Aussagen Luthers in notwendiger Beziehung steht.

Innerhalb der Lutherforschung sieht der Vf. es für seine
Aufgabe an, sich zu wehren gegen eine Deutung der Gebetstheologie
Luthers von der Rechtfertigungslehre aus,
was angesichts der Grundthese des Vf.s, daß die Gebetslehre
die Gesamtheologie Luthers betrifft, eine Kritik
an jeder Lutherdeutung impliziert, die das Denken und
Wollen des Reformators von der Rechtfertigungslehre als
Zentrum aus zu erklären und aufzuschlüsseln sucht. Direkte
Antipoden werden R.Hermann und H.Beintker, die
speziell über Luthers Gebetstheologie gearbeitet und hierbei
, wie oft bewährt, den Zugang über die Rechtfertigungslehre
gesucht haben. Was setzt Wertelius dem entgegen
? Einerseits seine These, daß das Gebet in Luthers
Theologie mit allen theologischen Aufstellungen zusammenhänge
. Damit ist aber noch nichts gegen die Schlüsselstellung
der Rechtfertigungslehre gesagt und auch nichts
über die prinzipielle Frage nach einem in allen theologischen
Aufstellungen und Zusammenhängen wirksamen
organisierenden Zentrum.

Der Vf. bleibt denn auch nicht bei der proklamierten
Dezentralisierung stehen, sondern nimmt seinerseits eine
neue Akzentsetzung vor, u. zw. eine Akzentsetzung beim
1. Artikel des Glaubensbekenntnisses. Er möchte Luthers
Gebetslehre primär von der Schöpfungslehre her verstehen
. Wenn nun die Gebetstheologie die ganze Theologie
Luthers durchzieht, so heißt das, daß diese überhaupt von
der Schöpfungstheologie aus interpretiert werden müsse.
In der Tat zieht der Vf. stellenweise die Linien bis dahin
aus. Die Schöpfungslehre kann ihm Zentrum werden, weil
in ihr Gottes unablässiges und machtvolles, eben:
schöpferisches Wirken ausgesprochen wird und davon
sind nach Meinung des Vf.s. die Gnadenlchre und andere
theologische Aussagen abgeleitet (,,Neue Kreatur"; „viva
vox evangelii"; Ablehnung des freien Willens, um das
Schöpfertum Gottes zur Geltung zu bringen u.a.m.). Der
Obergedanke ist also der des Allwirkens Gottes. Aber so
richtig es ist, daß die Auffassung von der Allwirksamkeit
Gottes in Luthers Schöpfungslehre zum Ausdruck gebracht
wird und aus der Schöpfungstheologie das Vokabular
bezieht, so wenig ist damit gesagt, da ß diese Auffassung
für Luther gerade da beheimatet sein und gerade von daher
zum Grundzug seiner Theologie geworden sein muß.

Man käme im Verständnis nur weiter, wenn Luther
historisch eingeordnet und auch in seiner Entwicklung
durchleuchtet würde. Darauf verzichtet Wertelius jedoch
völlig. Die Kämpfe der Reformationszeit bleiben draußen
- bestenfalls werden ab und an einige Gegner Luthers genannt
, um an ihnen zu demonstrieren, daß Luther ihren
theologischen ,,Abweg'' vermieden habe. Aber historisches
Verstehen findet nicht statt. Luthers Theologie wird als in
sich ruhendes Gedankengebäude genommen. Auch die
Frage nach ihrem Initium bleibt draußen. Was als zentral
figuriert, ist dann etwas zufällig von den Assoziationen
des Vf.s abhängig.

Eine Ordnung innerhalb der Theologie Luthers nimmt
er nach den drei Glaubensartikeln vor. Da bietet sich di<'
Schöpfungstheologie schon dadurch, daß sie am Anfang
steht, als Grundlage an. Aber davon einmal abgesehen:
Ich halte es für richtig und wichtig, daß die theologische
Gebctsauffassung Luthers in irgend einer Weise in die Gesamttheologie
des Reformators eingeordnet wird, um aus
[hrei Isolierung und überhaupt aus ihrem Schattendasein
herauszukommen. Das Gebet war für die Reformation eine
zentrale Stelle, in der die reformatorische Grunderkenntnis
ihren ersten und intimsten Lebensbezug, ja Lebensvollzug
hatte. Deshalb führen in der Tat alle theologischen
Aussagen zum Gebet und werden an ihm existentiell ausgelegt
. Es ist sehr zu begrüßen, daß in jüngerer Zeit die
reformatorische Gebetsauffassung mehr Aufmerksamkeit
auf sich zieht (gleichzeitig mit unserem Buch: H. Scholl
für Calvin). Daß dies gerade in den letzten Jahren gc-
schieht, mag damit zusammenhängen, daß die rein akademisch
-lehrhafte Auffassung der Reformation sich totgelaufen
hat und daß es mittlerweile als unbefriedigend
empfunden wird, den Wirklichkeitsbczug immer wieder
einerseits auf die kirchlich-liturgische, andererseits auf die
sozialethische Dimension auszurichten. Das Gebet ist eine
gute Stelle, Theologie und Wirklichkeit der Reformation
in einem lebensnahen und sinnvollen Bezug zu sehen. Und
so, wie der Vf. von ,.oratio continua" spricht, wird auch
der liturgisch-kirchliche Rahmen überschritten. Die Bevorzugung
der Schöpfungstheologie mag mit dieser Suche
nach dem Wirklichkeitsbezug zusammenhängen. Es sei
präzisierend gesagt: Wertelius geht es um den Wirklich-
keitsbezug von Theologie als theologischer Frage. D'c
Wirklichkeit der Reformation wird nicht als solche untersucht
- was angesichts der Peinlichkeiten, die eine Untersuchung
über das faktische Beten leicht mit sich bringt,
zu begrüßen ist.

Die „oratio continua" leitet der Vf. aus der creatio continua
ab, der der Mensch als cooperator Dei zugeordnet ist.
Es gibt auch eine ehristologische Begründung der oratio
continua in dem stellvertretenden Gebet Christi, doch ist
die Verbindung zwischen dem ersten und zweiten Glaubensartikel
nicht herausgearbeitet, ja sie scheint für W<
kein Thema und kein Problem zu sein. Der Untertitel des
Buches (,,Das Verhältnis zwischen Glaube und Gebet")
kommt nicht zu seinem Recht, da das Glaubensverständ-
nis Luthers von der Rechtfertigungslehre her entwickelt
werden müßte, der Vf. aber die Rechtfertigungslehrc
nicht nur aus dem Zentrum entfernt, sondern sie dann
auch in sich nicht mehr recht klar machen kann, vor allein
was den Glaubensbegriff und die Bedeutung des Glaubens
innerhalb der HechtfertignngHlelire betrifft. Ks fällt öfter
auf, wie er bei der Interpretation von Lutherzitaten an den
Aussagen über den Glauben vorbeigeht.

Im ganzen hat der Vf. die Tendenz, Luther als Theologen
der Mitte darzustellen, der alle Einseitigkeiten und
Extreme vermieden habe. Bei jedem Sachkomplex legt et
das mit Nachdruck dar. Diese in der skandinavischen
Lutherforschung beliebte Deutungsweise entzieht Luthe*
dem altbekannten Vorwurf der Einseitigkeit. Wenn man»
langsam mürbe gemacht, geneigt sein sollte, diese Lutherdeutung
anzunehmen, müßte man allerdings gewahr werden
, daß Luther dann strukturell dem Tridentinum gleichkommt
, das ja auch eine Theologie der Mitte bieten wollt*]
Dann wäre der Streit der Reformationszeit ein Streit um
die ausgewogenste Theologie der Mitte gewesen, um eine