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Ausgabe:

1973

Spalte:

302-303

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Weigelt, Horst

Titel/Untertitel:

Sebastian Franck und die lutherische Reformation 1973

Rezensent:

Zeller, Winfried

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 4

302

füllruiigen über Tatian (ausgerichtet an den Editionen
Leloirs und Marmardijs) geniigen (schwerlich!) und ob etwa
für Irenaus beispielsweise nicht die Ausgabe von Har-
yey den Vorzug verdient hätte (man mag es offen lassen!)?
Noch dringlicher sind jedenfalls jene Vorbehalte, die das
Endresultat selbst betreffen. Betreibt der Vf. unter dem
vorwand einer zunächst geschichtlichen Untersuchung
Miel11 selbst eine handfeste ,dogmatische Geschichtsprojektion
' ? Tst nicht schon seine Auswahl der Väterzeugen
ein Problem? Hat er die Geschichte des Joh-Evgls im
2. Jh.

wirklich in der gebotenen Sorgfalt und Gründlichkeit
bedacht? Wir vermissen ein Eingehen auf die Alexandriner
und sie sog. apokryphe Literatur der Zeit. Pjine
Auseinandersetzung mit W.von Loewenich (Das Joh-
»erständnia im 2. Jh., 1932) hätte sich von der Hauptthese
des Buches her im besonderen nahegelegt. Hatten nicht
auch die gnostisicrenden Gemeinden (waren sie wirklich
Wie häretisch?) ein besonderes Verhältnis zu Joh? Und
könnte daran nicht eine Gefahr aufgezeigt werden? Was
mehr oder weniger zufällig an sogen, orthodoxer Literatur
des 2.Jh.s erhalten geblieben ist (gar mit diesem oder
Jenem Zitat), kann kaum zum entscheidenden Argument
Iber den ,Sinn der Kanonbildung' zum Nutzen der heutigen
Kirche gemacht werden. Kann sich überdies heutige
Theologie auf jene sehr beschränkte, um nicht zu sagen:
fragwürdige Auswahl von 5 oder 6 Stimmen der Jahre 160
Wa 180 stützen? Der Vf. mutet im Endeffekt seinen Lesern
etwas zu viel zu. Daher dürfte das Buch auch dem gutgemeinten
Zweck im ökumenischen Gespräch (s.S. 17)
nicht gerecht werden. Die spätere Unterschätzung des
Paulus ist darüberhinaus eher ein Argument für ihn als
gegen ihn (so man will!), denn man wird nicht übersehen,
•laß gerade die Frühgeschichte der Kanonbildung, die mit
den paulinischen Briefsammlungen einsetzt (und überhaupt
das Gewicht des Pls-kreises beweist), aufschlußreich
ist. Indessen möchten wir ein solches Argument
nicht ebenfalls überspannen. Die Argumentation will nur
feigen, daß die Kanonizität niemals über eine Person,
sondern nur über den Gehalt des Zeugnisses selbst festgestellt
werden sollte. Denken wir vom Inhalt her, so wird
mich deutlich, daß die Schrift nicht eine mehr oder weniger
bedeutsame Beigabe (etwa gar ein: donum super-
additum S.200) zum Amt ist, sondern in Wahrheit sein
Ursprung und Korrektiv, wodurch allein feststeht, was es
um die immer wieder herausgehobene apostolische Sukzession
sei. Ist der ,Sinn der Kanonbildung' also nicht doch
einfacher zu erheben? Wir meinen, daß mit dem neu-
testamentliehen Kanon das Wort Christi und seiner Jünger
allezeit für die spätere Kirche verbindlich gemacht
Verden sollte, damit gleichsam der Sollgehalt wahrer
Verkündigung feststünde. Um den Sinn der Kanonbildung
zu bestimmen, halten wir es daher lieber mit einer so
altmodischen Formulierung wie dieser, daß mit dem
Kanon neutestamentlicher Schriften herausgehoben wurde
, was genuin christlich, legitim, gültig und wesentlich
•st. Schließlich soll Jesu Wort sachgemäß, nämlich als
Evangelium, zu Gehör gebracht werden. Niemand wird
dabei die hohe Bedeutung des joh. Zeugnisses unterschätzen
. Niemand wird aber auch diese sehr spezifische
Stimme einseitig zur hermeneutischen Nonn erheben.

Corrigenda: ,unertscheiden! statt .unterscheiden' (118),
-seine Apostolizität' statt .ihre Apostolizität' (201), .Dahlmann
' statt .Dalman' (213), .Löwenich' statt .Loewenich'
(221).

Nciicnilettclmui AiiRiwt Sliobcl

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Weigert, Horst: Sebastian Franck und die lutherische Reformation
. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn
[1972]. 84 S. 8° = Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte
, Nr. 186, Jahrg. 77. Kart. DM 16,80.

Der Verfasser hat sich die bisher kaum behandelte Aufgabe
gestellt, die Beziehungen Sebastian Francks zur
lutherischen Reformation zu untersuchen. Trotz dieses
scheinbar begrenzten Spezialthemas hat Weigelt jedoch
eine theologiegeschichtliche Studie geliefert, die wohl als
die beste derzeitige Einführung in das Denken Sebastian
Francks bezeichnet werden kann. Dazu trägt vor allem die
Konzentration auf die entscheidenden theologischen Fragen
bei, die auch in den Textanführungen und im Zitatenapparat
spürbar ist.

Weigelt würdigt Franck als Antithese zur Reformation
Luthers. Die gegen die geschichtlich geprägte Reformation
gerichtete Grundeinstellung bildet die Klammer,
die Francks Leben zu einer Einheit zusammenfaßt. Daher
lehnt Weigelt auch das psychologisierende Franck-Bild
Will-Erieh Peuckerts ab, das bei Franck einen geistigen
Wandel feststellen zu können glaubte. Freilich weiß auch
der Vf. gelegentlich von einer Entwicklung im Denken
Francks zu reden. Die anfängliche Enttäuschung über die
Reformation schlägt bei ihm später zweifelsohne in einen
grundsätzlichen Pessimismus um, der für eine verstärkte
Aufnahme mystischen Geistesgutes offen wird. Aber in
Francks spiritualistischer Grundhaltung gegenüber der
Reformation liegt von Anbeginn ein tiefer innerer Gegensatz
zur Sichtbarkeit und Geschichtlichkeit der Kirche
überhaupt.

Der Spiritualismus Francks verstand sich als konsequente
Reformation und damit zwangsläufig als Gegensatz
zur geschichtlichen Reformation. Da er weniger von
mystischen als von humanistischen Elementen bestimmt
war, handelte es sich hier um einen rationalistisch durch-
setzten Spiritualismus. Francks spiritualistische Kritik
gegenüber der Reformation konzentriert sich auf die
Rechtfertigungslehre, das Kirchenverständnis und das
Schriftprinzip. In der Wiedergeburt vollzieht sich die
Aktualisierung des inneren Wortes. Der Verfall der sichtbaren
, äußeren Kirche in die Veräußerlichung hat das
landesherrliche Kirchenregiment in den Reformationskirchen
als notwendige Folge, das Franck besonders zuwider
gewesen ist. Und die von Franck immer wieder betont
« Widersprüchlichkeit des äußeren Buchstabens der
Schrift ist für ihn ein eindeutiger Beweis gegen die reformatorische
„claritas scripturae", deren Unzulänglichkeit
Franck anscheinend erst allmählich aufgegangen ist.

Wie Weigelt mit Recht feststellt, ist das ethische Anliegen
Francks bisher nicht genügend gesehen worden.
Franck ist weder ein spekulativer Denker noch ein eigenständiger
Mystiker, sondern ein von humanistischen Ideen
beeinflußter Moralist. Sein Moralismus bildet letztlich den
Grund, der ihn die anfängliche Hoffnung auf eine allgemeine
Weltverbesserung aufgeben und allein die sittliche
Erneuerung einzelner Individuen erstreben läßt.

Der Vf. hat abschließend Ausführungen zur Wirkungs-
geschichte der Theologie Sebastian Francks angefügt.
Während im nachreformatorischen Spiritualismus bei
Valentin Weigel und Jakob Boehme sowie in Schlesien,
Holland und England Einflüsse Francks feststellbar sind,
hat im Pietismus, wie ja schon Erich Seeberg nachgewiesen
hat, vor allem Gottfried Arnold Anregungen Francks aufgenommen
. Für den deutschen Idealismus nennt Weigelt
besonders Lessing, Jean Paul und Jacob Grimm.

Die kenntnisreiche Franck-Studie schließt mit einem