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Ausgabe:

1973

Spalte:

291-293

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Vögtle, Anton

Titel/Untertitel:

Messias und Gottessohn 1973

Rezensent:

Roloff, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 4

Vögtie, Anton: Das Evangelium und die Evangelien. Beiträge
zur Evangelienforschung. Düsseldorf: Patmos-Verlag [1971].
360 S. gr. 8° = Kommentare und Beiträge zum Alten und
Neuen Testament. Lw. DM 48,—.

-: Messias und Gottessohn. Herkunft und Sinn der matthäi-
schen Geburts- und Kindheitsgeschichte. Düssoldorf: Patmos
-Verlag [1971]. 88 S. 8° = Theologische Perspektiven.
DM 9,80.

Der Freiburger Neutestamentier stellt mit der vorliegenden
Aufsatzsammlung seinen Kuf als einer der Begründer
der modernen katholischen Exegese unter Beweis.
Was die hier zusammengetragenen Aufsätze zu den Evangelien
aus fast zwei Jahrzehnten kennzeichnet, sind neben
historischer und philologischer Akribie Konsequenz und
Mut. Bereits der Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt
nämlich, daß Vögtle sich vorwiegend mit Themen beschäftigt
, die für die traditionelle katholische Kirchenlehre
besonders kritische Punkte angehen: so die für die
Begründung der Mariologie wichtigen Geburts- und Kindheitsgeschichten
der beiden synoptischen Großevangelien
, so die für den römischen Primatanspruch konstitutive
Petrusperikope Mt 16, so auch die für die Ekklesio-
logie grundlegenden Sendungsworte des Auferstandenen.

Der 1970 zuerst veröffentlichte Aufsatz „Offene Fragen
zur lukanischen Geburts- und Kindheitsgeschichte"
führt ein sehr lehrreiches kritisches Gespräch mit H.
Schürmann, dem Verfasser des Lk-Kommentars im
Herderschen Kommentarwerk, dessen Kompromißbereitschaft
Vögtle nicht teilt: er betont einerseits die
Randposition des Motivs der vaterlosen Zeugung Jesu im
NT, andererseits den Charakter der lukanischen Annun-
ziations- und Geburtsgeschichten als „Bekenntnis- und
Verkündigungsgeschichten". Zu ähnlichen Ergebnissen
im Blick auf Matthäus kommt die Studie „Die Genealogie
Mt 1,2-16 und die matthäische Kindheitsgeschichte".
Demnach ist die matthäische Vorgeschichte streng als die
christologische Thematik des Evangeliums vorbereitender
Prolog zu sehen: „es geht um Verkündigung und Begründung
der Messianität Jesu" (S.84) mittels des Nachweises
der providentiellen Abstammung, den Mt in dem
von ihm selbst geschaffenen, nicht auf Tradition basierenden
Stammbau Jesu in Kap 1 erbringt, sowie mittels der
Darstellung des providentiellen Schicksals des Kleinkindes
, die mit den literarischen Mitteln des hagga-
dischen Midrasch gearbeitet ist (Kap 2).

Am bekanntesten dürfte die erstmals 1957/58 veröffentlichte
Arbeit „Messiasbekenntnis und Petrusverheißung
" geworden sein. In ihr führt Vögtle den seinerzeit
aufsehenerregenden, inzwischen freilich auch auf
katholischer Seite durch radikalere Kritik überholten
Nachweis des unhistorischen Charakters der matthäi-
schen Cäsarea-Philippi-Szene: Mt 16,15-20 ist demnach
eine redaktionelle Neufassung von Mk8,29; das Verheißungswort
Mt 16,18f ist zwar vormatthäisch, geht jedoch
vermutlich erst auf den Auferstandenen zurück.
An einem Einzelproblem wird hier mit großer methodischer
Stringenz die redaktionsgeschichtliche Arbeitsweise
erprobt.

Die Untersuchung über „Ekklesiologische Auftragsworte
des Auferstandenen" befaßt sich des näheren mit
dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Sendeworte
des Auferstandenen und versucht insbesondere die
Rückführung von Mt 28,19f und Joh 20,21 ff auf Mt 18,18
als gemeinsame traditionsgeschichtliche Basis. Es ist
freilich nicht unproblematisch, wenn Vögtle hier von
einem „verbum ipsissimum" des Auferstandenen spricht
(S.249). Daß die Entstehung der Kirche nicht ohne das
Ereignis der nachösterlichen Berufung und Sendung des
Jüngerkreises erklärt werden kann, scheint zwar selbstverständlich
; es bedürfte jedoch einer genaueren Klärung,
in welchem Sinne man Sendungsworte des Auferstandenen

historischen Kriterien unterwerfen kann. - Eng verwandt
damit ist der Aufsatz „Das christologische und ekklesiologische
Anliegen von Mt 28,18-20", der die von Lohmeyer
, Michel und Trilling in Gang gebrachte Diskussion
um den Abschluß des Mt-Ev weiterführt.

In „Der Spruch vom Jonaszeichen" nimmt Vögtle
zu einem vielverhandelten Problem Stellung. Er spricht
sich für die Echtheit von Mt 12,39/Lk 11,29 aus und sieht
darin ein prophetisches Wort, in dem Jesus selbst seine
endzeitliche Parusie als das diesem Geschlecht zugehende
Jonaszeichen erblickt hat (S.130).

Der Band enthält auch einige bislang'unveröffentlichte
Aufsätze, von denen hier nur der umfangreichste und auch
thematisch wichtigste genannt sei: „Die Einladung zum
großen Gastmahl und zum königlichen Hochzeitsmahl.
Ein Paradigma für den Wandel des geschichtlichen Verständnishorizonts
". Anders als Jeremias versteht Vögtle
das Gleichnis Mt 22/Lk 14 im Munde Jesu nicht als
Rechtfertigung des Evangeliums gegenüber seinen Kritikern
, sondern als „drohende Mahnung", „die allen
Israeliten ... gilt: Die Gottesherrschaft wird selbst dann
zu ihrem Ziel kommen und als Heil erfahren werden, wenn
Israel sich dem Heilsangebot verschließt; an seiner Stelle
werden dann die Heiden das Heil Gottes erlangen
(S. 194). War die Heranholung der Ersatzgäste im Munde
Jesu nur Hinweis auf eine extreme Möglichkeit, so wurde
sie im Horizont der nachösterlichen Kirche zur Darstellung
eines bereits in Gestalt der Heidenmission vollzogenen
Geschehens. Mit dieser Verschiebung der Perspektive war
der Allegorisierung Tür und Tor geöffnet, die sich in der
Mt- und in der Lk-Fassung in verschiedener Weise manifestiert
hat. Im übrigen sieht Vögtle beide Fassungen als
in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis zueinander
stehende Varianten an.

Vögtles eigentliche Domäne ist die exegetische Einzelarbeit
an konkreten Texten. Trotzdem fallen die beiden
stärker systematisch-hermeneutisch orientierten Beiträge
, die den Band eröffnen, nicht aus dem Rahmen, weil sie
einerseits verdeutlichen, in welchem Maße diese Arbeit
grundlegende theologische Reflexion voraussetzt, andererseits
aber auch zeigen, wie stark auch die heutige katholische
Exegese speziell durch die Diskussion um R.
Bultmann bewegt wird.

Das hier außerdem noch anzuzeigende kleine Buch des
Vf.s, „Messias und Gottessohn", ist inhaltlich eine Weiterführung
des oben erwähnten Aufsatzes „Die Genealogie
Mt 1,2-16 und die matthäische Kindheitsgeschichte".
Vögtle präzisiert hier seine frühere Sicht an vielen Punkten
: als vormatthäischen Überlieferungskern macht er
eine nach dem Vorbild spätjüdisch-haggadischer Mosegeschichten
gestaltete Erzählung von der providentiellen
Bewahrung des Messiaskindes in der Verfolgung durch
Herodes wahrscheinlich. Eingeflossen in diese Erzählung
ist neben dem Motiv der Errettung des Mose vor Pharao
auch das Motiv seiner Flucht (Ex 2,11-14), während eine
Einwirkung der Jakob-Laban-Tradition trotz des Reflexionszitats
Mt 2,15 (= Hos 11,1) unwahrscheinlich ist.
Der Bericht vom Kommen der Magier hat, wie Vögtle
wahrscheinlich macht, niemals isoliert von der Herodes-
Kindermord-Erzählung existiert; vielmehr stellte er von
Anfang an den wirkungsvollen erzählerischen Kontrapunkt
her: den Erfahrungshintergrund bildet das gegensätzliche
Verhalten Israels und der Heiden zu der von der
Gemeinde verkündigten Botschaft vom Messias Jesus.

Matthäus hat „das Aussageanliegen dieser haggadisch
inspirierten und strukturierten Christusgeschichte übernommen
" (S.82) und es an einigen Punkten verdeutlicht.
So durch die Reflexionszitate, die den von Gott verordneten
Heilscharakter des Geschehens herausstellen und den
Verlust des Privilegs Israels, als das Volk Gottes der