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Ausgabe:

1973

Spalte:

284-287

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Tradition und Glaube 1973

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 4

284

die Ausführungen in I, die von verschiedenen Gesichtspunkten
her „Das literarische Gesicht der Apostelgeschichte
als Funktion des lukanischen Bildes vom
Christentum", d. h. als von ihm bestimmt, erweisen wollen
(9-31). Entsprechend dem Grundsatz der hellenistischen
Welt, daß die Form der Darstellung dem Inhalt gemäß
sein müsse, nimmt Lukas gewisse Stilmittel der Literatur
der Zeit auf. Spezieller ausgeführt wird das in II an den
Beziehungen der Missionsreden zu ihr. Analog den Reden
in der hellenistischen Historiographie bestimmen die
Missionsreden das geschichtliche Geschehen entscheidend
(33-38). Sodann entspricht die durch P. mannigfach
belegte Nachahmung des Stils der LXX in diesen der
klassizistischen Mimesis, wie sie vor allem an der Imitation
des Thukydides und des Demosthenes bei Dionysios
von Halikarnassos vorgeführt wird, aber auch an Hand
des Romans usw. Lukas imitiert freilich nicht die griechischen
Klassiker, sondern die LXX, um die Anfangszeit
des Christentums - die imitatio der LXX wendet Lukas
nach P. fast nur2 in Apg 1-15 an (abgesehen von der
Abschiedsrede des Paulus in Milet) - als heilige, ideale
Zeit zu charakterisieren (P. übersieht nicht, daß Lukas
damit „streckenweise seinen eigenen Intentionen zuwider
handelte" [138]3, jedenfalls nach deren Darstellung durch
P., s.o. das erste Zitat).Mit dem Genannten vergleichbar
ist „Das Stilmittel der Archaisierung" (72-78), d.h. der
Aufnahme von altertümlichen Elementen der christlichen
Sprache, für die Livius formal Vergleichbares bietet.

In III stellt P. zuerst anschaulich und an zahlreichen
Texten mehr oder minder eingehend4 den „dramatischen
Episodenstil" in Acta dar (80-111). Lukas verwendet ihn,
um programmatische Sätze am Exempel zu demonstrieren
und sie so eindrücklich zu machen (101 usw.). Formale
Parallelen werden wieder zunächst aus Livius (im Vergleich
zu seiner Quelle Polybios [111-121] usw.), aber
auch aus griechischen Texten vorgeführt. Je verbreiteter
freilich die Darstellungsform der Episode nach P. insgesamt
ist (135f), desto mehr scheint sich mir die Frage
nahezulegen, ob sie in Acta bewußt als hellenistischliterarisches
Stilmittel aufgegriffen wird. Zum Spezifischen
der Episode gehört nach P. insbesondere auch die Abgrenzung
gegenüber dem Kontext; in Wirklichkeit scheinen
mir die (ausgesprochenen oder unausgesprochenen) Querverbindungen
in den Acta eine Rolle zu spielen, in die auch
die Erzählungen einbezogen sind. Die Frage nach dem
Verhältnis von Tradition und Komposition innerhalb der
Erzählung bleibt von der Aufgabenstellung P.s her außer
Betracht5.

P. hat in seiner geschickt geschriebenen Arbeit eine
Fülle von Textmaterial zusammengetragen und die
Literatur umfänglich ausgewertet, insbesondere auch die
nicht immer leicht aufzuspürende ältere (aber auch die
neuere) zu paganen Schriftstellern der hellenistischrömischen
Zeit. Stilistisch und geistesgeschichtlich interessant
wäre vermutlich, gerade im Blick auf die Beurteilung
der Arbeitsweise des - nach P. nur mäßig gebildeten -
Lukas, eine Einbeziehung jüdisch-hellenistischer Schriften
, wie etwa 2-4 Makk gewesen (sie werden nur gelegentlich
erwähnt, s. das Register). Durch teilweise umfängliche
Stilvergleiche und die Aufstellung akzentuierter Thesen
führt jedenfalls die Diskussion um Acta weiter und gibt
ihr neue Anregungen.

Halle (Saale) Gerhard Dellin«

1 Die Apostel werden nach dorn Bild des Sokrates gezeichnet

(ist)-

2 Immerhin not iert P. auch außerhalb von Apg 20,18-35
eine ganze Reihe von Ausnahmen (48).

3 Freilich ist mit dieser Bemerkung die Tatsache kaum ausreichend
gowertet, daß Lukas den hellenistisch gebildeten
Lesern ein barbarisches Griechisch wie das der LXX vorsetzte
. Übrigens könnte Lukas manche sog. Septuagintismen
„der Gemeindesprache seiner Zeit verdanken", ohne daß die
Abhängigkeit von der LXX immer bewußt sein muß,Traugott
Holtz, Untersuchungen über die alttestamentlichen Zitate bei
Lukas, Berlin 1968, 172.

4 Auch die Pfingstgeschichte wird als Episode deklariert
(107f). - Der für Lukas sachlich offenbar sehr wichtige (s. die
Dubletten) und gewiß dramatische Bericht über die Bekehrung
des Paulus wird in diesem Rahmen nur ganz beiläufig erwähnt
(135 A 36).

5 Vgl. 95 A 71 zu Apg 16,16-40. S. grundsätzlich J.Roloff.
ThLZ 97, 1972, 440.

[Kuhn, Karl Georg:] Tradition und Glaube. Das frühe Christentum
in seiner Umwelt. Festgabe für Karl Georg Kuhn zum
65.Geburtstag, hrsg. v. G.Jeremias, H.-W.Kuhn, u.
H. Stegemann. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [19711-
434 S„ 8 Taf., 1 Porträt gr. 8°. Lw. DM 85,—.

Der Band beginnt mit einem Aufsatz zur ägyptischen
Religionsgeschichte (Eb.Otto, Gott als Retter in Ägypten
) und endet mit zwei Beiträgen zur Apc (Ferd.Hahn,
Die Sendschreiben der Johannesapokalypse. Ein Beitrag
zur Bestimmung prophetischer Redeformen ; A. Vögt-
le, Mythos und Botschaft in Apokalypse 12). Darin
zeichnet sich die inhaltliche Weite dieser Festschrift ab.
Merkwürdigerweise freilich fehlen völlig Arbeiten zu Act
und der gesamten Briefliteratur des Neuen Testaments.

Zwei Aufsätze behandeln in sehr spezieller Weise alt-
testamentliche Fragen. L.Delekat (Yahö-Yahwae und
die alttestamentliche Gottesnamenkorrektur) versucht in
dem längsten Beitrag der Sammlung nachzuweisen, daß
der Gottesname Jahve erst relativ spät (ab 722 v.Chr.)
von Samarien ausgehend in Gebrauch kam und in die
älteren alttestamentlichen Texte hineinkorrigiert wurde,
sich aber noch in der persischen Zeit nicht voll durchgesetzt
hatte, und vielleicht sogar noch die Meidung der
Aussprache des Jahve-Namens bei den Juden durch den
Bruch mit den Samaritanern mitbegründet sei. -
K.Beyer (Althebräische Syntax in Prosa und Poesie)
bietet Umschrift, Übersetzung und grammatische Erläuterung
von Gen l,l-2,4a.5,lf. und Jes 5,1-7 gemäß den
Grundsätzen seiner „Althebräischen Grammatik" (1969);
Transkription und Übersetzung der Texte weichen durchaus
von dem gewohnten Bilde ab. Der Rezensent ist nicht
in der Lage, über diese beiden Arbeiten kritisch zu urteilen
. Erfreulich ist allerdings in jedem Falle, daß in ihnen
mit beträchtlichem Einsatz sprachgeschichtliche und
grammatische Fragen als solche angegangen werden.

H.Bardtke (Der Mardochäustag) untersucht, ausgehend
von der Nennung des Mardochäustages II Makk
15,36, die Wandlung des Mardochai-Bildes in den griechischen
Zusätzen zum Estherbuch gegenüber dessen
hebräischer Gestalt. Dieser Gestaltwandcl ist bedingt
durch eine singuläre Situation in der jüdischen Geschichte
(Erhebung der Makkabäer) und daher in der Folgezeit
(Josephus, Targume) wieder aufgegeben werden.

Drei Aufsätze bieten Erstveröffentlichungen von Quni-
rantexten und interpretieren sie: J.T.Milik (Turfan et
Qumran. Livre des Geants juif et manichecn) stellt Fragmente
zusammen und identifiziert sie als zugehörig zum
„Buch der Giganten". Dieses jüdische Werk hat Mani sich
angeeignet („parfois une traduetion prosque mot ä mot,
parfois des resumes des narratives, parfois de legeres ela-
borations", S. 126) und seinem Kanon eingefügt. Da der
Manichäismus in der byzantinischen Zeit und im hohen
Mittelalter eine ethnische und sprachliche Ausdehnung
hatte wie keine andere Religion, gilt: „Aucun ouvrage de
l'ancienne litterature juive n'avait fait dans l'antiquitc
une carriere comparable ä celle du livre des G6ants
(S. 127). Bemerkenswert ist freilich, daß dieses Werk bis
auf Fragmente untergegangen ist. - J.P.M. van der