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Ausgabe:

1973

Spalte:

280-282

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Marboeck, Johann

Titel/Untertitel:

Weisheit im Wandel 1973

Rezensent:

Sauer, Georg

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27tt

Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 4

280

„Mensch" gleichzusetzen. Erst hier schafft Gott den
Menschen seiner sinnlich-wahrnehmbaren Natur nach,
>md erst dieser niederen Natur des Menschen ist dann der
Bereich des Sexuellen, die Polarität Männlich/Weiblich
zugeordnet. Daß die einschlägigen Texte (bes. De opif.
mundi 134ff.) so schwer eindeutig zu interpretieren sind,
hängt mit der bunten, immer wieder wechselnden Terminologie
Philons zusammen; B. veranschaulicht sie durch
tabellarische Übersichten (S.löf.; vgl. 58ff.) und kann
m.E. überzeugend den gemeinsamen Nenner einer in sich
klaren anthropologischen Anschauung aufweisen.

Der andere Hauptteil (III, S. 45-64) befaßt sich mit der
Anwendung der sexuellen Terminologie auf dem Gebiet
religiöser bzw. soteriologischer Aussagen. Insoweit Philon
das Ziel des menschlichen Fortschreitens zur Vollkommenheit
sowohl als Männlichwerden als auch als Erreichung
der Virginität oder als Eins-Werden beschreiben kann,
wird deutlich, daß damit kein bisexueller (androgyner)
Zustand gemeint ist, sondern daß Erlösung als Anglei-
chung an den „Menschen nach dem Bilde Gottes", den
Menschen des wahren Nous. der „rationalen Seele"
O-oyixfi if'f/t/) jenseits aller sexuellen Polarität gedacht
ist. Das hat Belang auch für das Verständnis der Aussagen
Philons über die prophetische Ekstase als Ziel des
Vervollkommnungsweges: diese Terminologie meint nicht
besondere psychische Erlebnisse, sondern die Entjeerung
des Menschen von aller eigenen Potenz und die Öffnung
für die göttliche Befruchtung (divine impregnation).
In solchem Zusammenhang kann Philon das Ziel des
Menschen (ob Mann oder Frau) als ein Weiblich-Werden
beschreiben, und er meint damit eben das Moment des
Passivwerdens und der Empfangsbereitschaft gegenüber
Gott, keine Bisexualität als Zustand im irdisch-soma-
tischen Bereich. Auch da, wo Philon die Arete oder die
Sophia teils mit männlichen, teils mit weiblichen Attributen
versieht, steht kein androgyner Mythus im Hintergrund
, sondern ist das zu verstehen im Blick auf die
doppelte Rolle dieser Mittel-Hypostasen: sie ist weiblichempfangend
gegenüber Gott, märmlich-imprägnierend
gegenüber dem sich dem Göttlichen öffnenden Menschen.

Im Schlußteil (IV, S. 65-80) stellt Baer in knappem
Abriß die Aussagen einiger gnostischer Systeme zum
Bereich des Sexuellen in Bezug auf die Erlösung dar und
ermöglicht so den Vergleich mit Philons Anschauungen
und ein Urteil über seine Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede
zur Gnosis in diesem Aussagenbereich. Schließlich
(S.76ff.) deutet B. die Linien an, die sich im Verfolg
des Themas über Philon hinaus zum Neuen Testament,
insbesondere zu Paulus hin ergeben könnten. Die Bewertung
der geschaffenen Welt als von Gott herkommend
und daher gut teilt Paulus mit Philon. Aber dennoch
scheint auch Paulus - wie Philon - das Ziel der religiösen
Vervollkommnung auch in Richtung auf ein Freiwerden
von den Gegebenheiten der Welt - für die die Sexualität
nur exemplarisch steht - zu sehen. In 1 Kor 7, Gal 3,26-28
u.a. möchte Baer stärker, als es in der gegenwärtigen
Exegese üblich ist, nicht nur durch die Naherwartung
bedingte, sondern grundsätzliche Vorbehalte gegenüber
der Welt des Sexuellen angedeutet sehen. Er fragt, ob
nicht auch für das Neue Testament - wie für Philon -
der Aspekt einer gewissermaßen durch religiöse Vervollkommnung
realisierbaren Eschatologie wichtiger sein
könnte als die Konzentration auf die Frage, wieweit die
einzelnen Autoren eine apokalyptisch-futurische Eschatologie
vertreten. In Gal 3,26-28 spricht Paulus nach der
Meinung Baers nicht nur von einer Wirklichkeit coram
deo oder in der künftigen Welt, sondern von einer in der
Kirche sich verwirklichenden Überbietung irdischer Gegensätze
, wie von Juden und Griechen bzw. Sklaven und
Freien, so auch von Männlichem und Weiblichem.

Es folgen 10 Exkurse (Appendixes, S. 81-102), in denen

Einzelpunkte geklärt und Abgrenzungen vollzogen werden
, sowie eine auf das Wesentliche beschränkte Bibliographie
, die allerdings nur bis 1965 führt (S. 103-106);
es ist schade, daß Vf. bis zum Abschluß des Manuskripts
(1968) die einschlägige Arbeit von U.Früchtel (Diss.
Hamburg 1962; gedruckt in der gleichen Reihe wie Baers
Arbeit 1968; vgl. die Rezension von G. Bertram, ThLZ 95,
1970, 110-112) und andere Monographien zur Hermeneutik
Philons noch nicht zur Kenntnis nehmen konnte. Den
Schluß bildet ein Stellen- sowie ein gemischter Sach- und
Autorenindex (S. 107-112).

Insgesamt liegt eine Arbeit vor, die wichtige Aspekte
des philonischen Denkens auf der Basis sorgfältiger Textinterpretation
überzeugend klärt, damit auch zur besseren
Einordnung der Theologie Philons in das Denken seiner
Zeit hilft und darüber hinaus auch der Bemühung
um das Verstellen neutestamentlieher Aussagen über das
Spannungsfeld zwischen Glauben und Welt Anregungen
zu geben vermag.

Naumburg (Saale) Nikolaus Waller

Marböck, Johann, Dr.: Weisheit im Wandel. Untersuchungen
zur Weisheitstheologie bei Ben Sira. Bonn: Hanstein 1971.
XXVII, 192 S. gr. 8° — Bonner biblische Beiträge, hrsg. v.
G. J. Botterweck, H.Zimmermann, 37.

Die der katholisch-t lieologischen Fakultät der Universität
Graz im Sonimersemester 1970 als Habilitationsschrift
vorgelegene Untersuchung unternimmt den Versuch
, durch eingehende Exegesen verschiedener Abschnitte
des Buches des Ben Sira (Jesus Sirach) die im
Mittelpunkt der Gedanken des Verfassers stehenden Vorstellungen
von der Weisheit zu erhellen, zu deuten und zu
würdigen. Es gelingt ihm, ein fundiertes and in sich geschlossenes
Bild zu entwerfen, von dem her frühere Vorstellungen
eine Korrektur an sich erfahren lassen müssen.

In der Einführung (S. 1-5) skizziert der Vf. die Pr°'
blemlage und weist auf die Schwierigkeiten bei der Et'
forschung des ursprünglichen Textes hin. Es ist erfreulich;
daß in den vergangenen Jahren mit dem wachsenden
Interesse an den Problemen, die die Geschichte des
Judentums in den letzten Jahrhunderten v. Chr. aufgibt
, auch eine immer bessere Bezeugung der für diese Zeit
maßgebenden Texte Hand in Hand geht. So darf scholl
hier gesagt werden, daß die vorgelegte Untersuchung ei"
dringendes Desiderat der Forschung darstellt und eine
schmerzlich empfundene Lücke auszufüllen sich an*
schickt.

In einem einleitenden ersten Teil (S.6-12), der nur a'3
Vorbereitung für die eigentlichen Ausführungen zu verstehen
ist, wird der „Kontext für das Werk des Sir*'
ziden" behandelt. Allgemeinen und summarisch gehaltenen
Angaben über die Bedeutung der biblischen Weisheit
folgen kurze Hinweise auf den zeitgeschichtliche11
Hintergrund für das Werk Ben Siras.

Der zweite Teil: „Untersuchung von Weisheitstexten
bei Ben Sira" bildet den eigentlichen Mittelpunkt der
ganzen Abhandlung (S. 13-133). Ausgehend von der richtigen
Erkenntnis, dal.S weder einzelne Vokabeln (8.13-lß)
noch nur kurze Erwähnungen, sondern allein die Behandlung
größerer Zusammenhänge (Vf. nennt sie „Weisheit*"
penkopen", S. 15-16) die richtige Grundlage für eine
sachgemäße Exegese abgeben können (hier auch Berufung
auf J.Barr), führt der Vf. im zweiten Kapitel des zweiten
Teiles in medias res mit der Behandlung der Abschnitt«
1,1-10 (S.17-34) und c.24 (S.34-96).

Hier wie bei allen folgenden Textbehandlungen gehl de*
Vf. besonnen zu Werke. Nach allgemeinen Angaben ii'"'1'
den jeweiligen Zustand des Textes folgt die Übersetziih!^
die in eingehender Diskussion bezüglich der verschiedenen