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Ausgabe:

1973

Spalte:

272-273

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Mauser, Ulrich

Titel/Untertitel:

Gottesbild und Menschwerdung 1973

Rezensent:

Smend, Rudolph

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Theologische Literaturzeitung 98. Jahrgang 1973 Nr. 4

272

Testament sind die altorientalisohen Materialien umfassend
herangezogen. Vielfach erscheinen auch Hinweise
auf mündlich eingeholte Ratschläge von Fachleuten.
Wenn auch der rhetorische Charakter des Dt. nicht zum
erstenmal dargestellt wird, wird seine Eigenart doch übersichtlich
und vor allem im Vergleich mit den älteren Quellen
und P. vielfach scharfsichtig geschildert. Die Gegenüberstellung
mit den zeitgenössischen Vertragsformularen
verleiht dieser Parallele, deren Wert neuerdings schon
(durch Fohrer u.a.) (übrigens vom Vf. anscheinend unbemerkt
) in Frage gestellt worden war, neue Beachtung.
Ohne Frage ist das Problem der Bedeutung der Vasallenverträge
, gerade in ihrer neuassyrischen Ausprägung, für
das Alte Testament keineswegs ausdiskutiert und verdient
weitere Nachprüfung. Hierin liegt wahrscheinlich
der wichtigste Beitrag der vorliegenden Arbeit.

Ist aber die Hauptthese des Buches selbst haltbar?
Hier erheben sich doch vielfältige Bedenken. Wenn am
Anfang der rhetorische Charakter der deuteronomischen
Literatur so eindrücklich herausgearbeitet wird, steht das
im Grunde der Behauptung, es handele sich ausschließlich
um lebensferne Schreibtischarbeit, im Wege. Man spürt
doch auf Schritt und Tritt das Bemühen der Prediger,
ihre Hörer beim Herzen zu packen, und diese homiletische
Absicht, in einer Zeit, wo Lesen und Schreiben
Gelehrtenkönnen bedeutete, gegenüber der breiten Masse,
auf die es das Dt. absieht, nur in mündlicher Verkündigung
zu verwirklichen, erklärt auch die spezielle Färbung
etwa gegenüber P. Es ist auch nicht zulässig, die sicherlich
literarisch gestalteten Reden im dtr. Geschichtswerk
mit dem Anredecharakter des Dt. auf eine Ebene zu stellen
(ganz zu schweigen von den noch komplizierteren,
weithin ungeklärten Traditionsverhältnissen in der
Redenschicht bei Jer). Hier wird der Vf., der sich mit
Recht von Wellhausens Entwicklungsschema distanziert
(das Verhältnis von P. und Dt. ist als ein Nebeneinander
verschiedenartiger Traditionen gewiß richtig gesehen),
sich selbst gegenüber inkonsequent, indem er gegen sakral
-magische Vorstellungen in P., urtümlich-situationsgebundene
in Bb. eine humanistisch-säkulare Umformung
in Dt. doch wieder als Stufen abhebt, die aufeinander
folgen. An dieser Charakterisierung hängt aber
wiederum die Bestimmung des Sitzes im Leben des Korpus
. Dabei wird der zweite Mangel sichtbar: das Verständnis
der Weisheit als säkular-utilitaristisches Denken
ist veraltet; ihr seit Gese1 u.a. sichtbar gewordener tief
religiöser Denkhintergrund ist nicht zur Kenntnis genommen2
, und so hängt die von der Wendung ad homi-
nem her gezogene Verbindung von Dt. und Weisheit in der
Luft. Schließlich: ist die historische Fixierung des Dt.
auf das 7. Jh. der Erkenntnis letzter Schluß ? Dem Problem
des Buches wird man letztlich wohl nur gerecht werden,
wenn man seine Traditionen vor einem tiefer gestaffelten
Hintergrund sieht, ähnlich wie der Vf. zwar gelegentlich
darauf hinweist, daß auch die assyrischen Verträge, gerade
in ihren Fluchteilen, auf ältere Vorformen, teilweise
aus anderem Sitz im Leben, zurückführen, es aber versäumt
, daraus die nötigen traditionsgeschichtlichen Folgerungen
zu ziehen, so daß aus ihren Entsprechungen zu Dt.
rein literarkritisch verstandene direkte Übernahme geschlossen
wird. Aber Dt. 28 ist nicht von Lev 26 zu isolieren
, die Vertragsflüche Asarhaddons nicht von Segen
und Fluch am Ende der altorientalischen Gesetzeskorpora
, und so eröffnen sich weiträumigere Traditionshorizonte
, die einer letztlich auf literarkritisch-historische
Blickpunkte fixierten Sicht verschlossen bleiben. Von
Rads Levitenhypothese für die Träger der deuteronomischen
Überlieferung mag ihre Schwächen haben - die
königlichen Schreiber kommen noch weniger ernsthaft in
Frage. Dabei sind die Entsprechungen weisheitlicher
Aussagen etwa in Spr zu den homiletisch-didaktischen in

Dt. durchaus der Beachtung wert (und teilweise trefflich
gezeichnet). Um sie angemessen zu würdigen, wäre es aber
nötig, mehr zu wissen über die doch ebenfalls ursprünglich
mündliche Unterweisungstätigkeit der „Weisen",
denn wo anders als im Sprüchebuch (abgesehen vielleicht
von Spr 1-9) wird der mündliche Traditionscharakter der
Sentenzen deutlicher, die schließliche Aufzeichnung als
ein sekundärer Vorgang sichtbarer, ähnlich wie es auch
im Dt. der Fall zu sein scheint? Was bedeutet die Stilisierung
als Mosesrede? Ist hier nicht doch eine breite
Schicht als Träger der Überlieferung zu vermuten? Erklärt
sich so der „Nationalismus" - der Blick auf das gesamte
Gottesvolk?

Man scheidet von der Arbeit mit der Erkenntnis, daß
sie mehr Fragen offengelassen hat, als sie zu lösen verstand
. Wohl aber hat sie die Probleme in ein helles Lieht
gerückt, und dafür ist ihr zu danken.

Bochum Henning ßraf BeventloW

1 H. Gese, Lehre und Wirklichkeit in der alten Weisheit)
1958.

2 So wird von W.Zimmerli z.B. nur der Aufsatz von 1933,
nicht jedoch seine revidierte Meinung von 1902 (in: Gottes
Offenbarung, 1963 S.300-315) berücksichtigt.

Mauser, Ulrich: Gottesbild und Menschwerdung. Eine Untersuchung
zur Einheit des Alten und Neuen Testaments. Tübingen
: Mohr 1971. VIII, 211 S. gr. 8° = Beiträge zur historischen
Theologie, hrsg. von G.Ebeling, 43. Kart. DM32,—■>
Lw. DM 38,—.

Das Ziel einer gesamtbiblischen Theologie ist heute in
vieler Munde. Mauser macht für den Weg dorthin einen
Gesichtspunkt geltend, den er im Anschluß an eine Kritik
der Bestimmungen des Verhältnisses der beiden Testamente
durch W.Zimmerli und R.Bultmann entwickelt-
Die von Zimmerli gezeichnete Verheißungsstruktur findet
er zu formal, so daß von ihr her das Kommen gerade des
Menschen Jesus nicht notwendig gefordert ist (S.7w'
Bultmanns Spieß dreht er um, indem er fragt, „ob es
nicht gerade die unlösliche Verbindung des Jenseitigen
mit dem Weltlichen im Alten Testament sein könnte, die
das Alte Testament zur Verheißung für die Botschaft des
Neuen Testaments macht; und zwar nicht zur Verheißung
im Sinne des Scheiterns und des Widerspruchs, sondern
so, daß gerade diese Verbindung des Jenseitigen mit dem
Weltlichen im Alten Testament auf eine Erfüllung weist,
die den eigentlichen Kern des Neuen Testaments darstellt
" (S.14). Die Inkarnation, so die Hauptthese des
Buches, bereitet sich in den alttestamentlichen Anthro-
pomorphismen vor, aber auch in einer „Theomorphie
von Menschen. M. schwimmt damit gegen den großen,
aus dem Griechentum kommenden Strom der Kritik arn
biblischen Anthropomorphismus (S.18ff.), er weiß sich
aber in seiner Würdigung der Anthropomorphismen in
Übereinstimmung mit neueren Exegeten wie G.v.Rao
(S.29); vor allem schließt er sich an A.Heschels Prophetenbuch
von 1936 mit seiner Rede vom „Pathos
Gottes" und der ihm korrespondierenden Haltung der
Propheten an (S.41ff.). Die These wird, das ist sachgemäß
der Hauptteil des Buches, entwickelt in der Interpretation
biblischer Autoren, und zwar aus dem Alten Testament
Hosea und Jeremia, aus dem Neuen Testament
Paulus. In den Gottesreden des Buches Hosea erscheint
Jahwe als „mitgeschichtlich", in Freude und Schmerz »n
den wechselhaften Verhältnissen der Geschichte Israel9
beteiligt, in sie hineingezogen (S.46ff.). In alledem ent
spricht der Prophet seinem Gott, zunächst in den Reden,
vor allem aber in Hos 1-3, wo die Geschichte des Pr0'
pheten die Geschichte Gottes abbildet und also Anthro