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1972

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Systematische Theologie: Allgemeines

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 2

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wehrt alle Alternativen an diesem Punkte ah. Eine lebendige
Betrachtung von Lebensbeziehungen dürfe weder in Gott
noch im Menschen apriorisch „Natur" und „Person" auseinanderreißen
oder die vorliegende Wirklichkeit des neuen
Seins ganz dem Geschaffenen, weil sie nicht ganz ungeschaffene
Realität sei, zuweisen. Das Verständnis der inhabitatio
Gottes im Menschen müsse beim göttlichen „Wesen", das
„in Natur subsistierende Person" sei, ansetzen. Gott mache
seinen Geist zu unserem Geist. Hier dürfe man nicht von for-
malontologisch fixierten Begriffen ausgehen.

Obwohl der Autor erkennt, wieweit sich Scheeben der
nachtridentinischen Gnadentheologie entwindet, geht er doch
nicht auf die spezifisch evangelischen Fragen nach Scheebens
Verhältnis zur reformatorischen Rechtfertigungslehre ein. Es
ist Paul entgangen, daß in dem Buch von Micskey, „Katholische
Rechtfertigungslehren nach ihren Aussagestrukturen",
eine direkte evangelische Anfrage vorliegt. Dem evangelischen
Beurteiler fällt auf, daß nach Scheeben auch noch die
gefallene Natur des Menschen für die Beschaffenheit der
übernatürlichen Gnade konstitutiv ist. Die Gnade setzt dieser
Natur kein radikales Ende und auch keinen radikalen
Neuanfang, sondern nimmt ihre verbleibenden Möglichkeiten
in ihr Wirken erhöhend und umformend auf. In den „Mysterien
des Christentums" (1865) ist Rechtfertigung des Sünders
als faktisch wortloses Geschehen verstanden, eingefügt in den
Vorgang wesenhafter Vereinigung zweier Liebenden, Gottes
und der Seele, wobei diese Vereinigung notwendig mit Sündenvergebung
und übernatürlicher Erhebung der Seele verbunden
ist. Was nach landläufiger katholischer Sicht das
Entscheidende ist, nämlich das Verständnis der Rechtfertigung
als Eingießung des übernatürlichen Gnadenhabitus in
die Seelensubstanz, wird als Auswirkung von etwas Größerem
verstanden, nämlich als Folge der unio zwischen Gott
und Mensch in der Mitteilung der Gotteskindschaft — Wurzel
und Trägerin der eingegossenen habituellen Gnaden. Dem
Protestanten Micskey ist an Scheeben, was die Aussagestruktur
betrifft, das gleiche aufgefallen wie Eugen Paul: Scheeben
beschreibt das Rechtfertigungsgeschehen wie einen objektiv
überschaubaren Vorgang, bei dem sich der Beschreiber nicht
nur in der Lage befindet, alle Momente des Prozesses zu erfassen
, sondern zugleich auch ihre Notwendigkeit versteht.

Die dringende Frage der heutigen Generation, inwiefern
aktuell gültiger Wahrheitsanspruch in der Scheebenschen
Spekulation enthalten sei, stellt das Paulsche Buch nicht. Es
stellt zwar eine „Differenz zwischen Scheebens Grundintention
und deren Artikulierung, eine Differenz, die er einzuholen
ständig bemüht ist" fest, aber die Frage fehlt, ob wir uns
noch in einem System einrichten können, in dem Gott von
vornherein ein sicherer Platz zugewiesen ist, von dem aus das
Ganze sich konstruieren läßt. In diesem Punkte ist Scheeben
nicht den östlichen Vätern gefolgt, die, was Gott angeht, die
via negationis gehen. Für Scheeben ist Gottes Leben „erkennendes
Beisichsein in liebendem Selbstbesitz und so auch zuinnerst
schöpferisch transeunt". Der Begriff sapientia gilt
ihm als adäquatester Ausdruck für den spezifischen Charakter
göttlichen Lebens. Gott als „totale Selbstgelichtetheit"
begründet und begrenzt je die Gelichtetheit der Kreatur.
Über Gott weiß Scheeben so gut Bescheid, daß er, was über
Kreatur zu sagen ist, von diesem festen Ausgangspunkt aus
entwerfen kann. Der Mensch kommt ihm als Adressat der
Lebensmitteilung Gottes ins Visier. Die „in Gott selbst existierende
imago" ist das „Ideal" des Menschen in dem Sinne,
daß der Mensch im Blick auf Teilnahme am trinitarischen Leben
geschaffen ist. In der Leiblichkeit wird dies Gottesbild
„plastisch". Es geht um Heimholung auch der Leiblichkeit
in die Finalität Gottes. In allen diesen Sätzen bleibt Scheeben
deutlich noch diesseits der „anthropologischen Wende"
in der katholischen Theologie, die durch Rahner markiert ist.

Das Paulsche Buch zeigt einen Scheeben, der mit dem Zentralbegriff
„Leben" noch romantisches Vokabular benutzt
und noch in die Wirkungsgeschichte der Tübinger Schule
hineingehört, wenn er sich auch in entscheidenden Punkten

entromantisiert hat. Das ist verblüffend für alle, die bisher in
gängiger Weise in Scheeben denjenigen Germaniker sahen,
der aus Rom den Schulthomismus heimbrachte.

Unter ökumenischem Aspekt sollte man heute bewußt
machen, daß schon zwei katholische „Romantiker" des 19.
Jh.s östlich-patristische Infusionen vermittelten: Johann
Adam Möhler eine erste ekklesiologische und Matthias Joseph
Scheeben im Bereich der Trinitäts- und Gnadentheologie
. Das sind Pfeiler einer Brücke, die Ostkirche und Westkirche
verbinden könnte.

Heidelberg Friedrich Heyer

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